Rede in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages am 30. März 2006 zum Haushaltsplan des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Bevor ich mit einer kritischen Analyse dieses Haushaltes beginne,
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Dazu gibt es keinen Anlass, Herr Kollege Claus!)
gestatte auch ich mir eine Sicht von oben auf die Substanz dieses Planes. Es ist schon beachtlich, über wie viel Substanz wir hier reden. Man kann das im Umkehrschluss deutlich machen, indem man sich einmal vorstellt, was wäre, wenn all das, worüber wir hier im Zusammenhang mit diesem Einzelplan reden, nicht existierte: Schienen, Straßen, städtische Infrastruktur, ja sogar der Wetterdienst.
(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Dann brauchten wir über den Haushalt überhaupt nicht mehr zu reden!)
Es geht also in der Tat um drei große Bereiche. Der erste ist die Frage der Mobilität: Wie wollen wir uns bewegen? Der zweite Bereich dreht sich um die Frage des Bauens und der Stadtentwicklung: Wie wollen wir wohnen? Der dritte Bereich betrifft die Frage: Wie wollen wir die Förderpolitik gegenüber den neuen Bundesländern gestalten? Ich will zunächst deutlich sagen, dass dieser Plan viel Gutes und Vernünftiges enthält. Wenn Dinge gut und vernünftig sind, finden sie natürlich auch die Zustimmung meiner Fraktion.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Hört! Hört!)
Sie nennen uns gerne Ideologen.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was auch stimmt, Herr Kollege Claus!)
Dazu will ich sagen: Die Sache wird nicht besser, wenn die einen Ideologen die anderen Ideologen „Ideologen“ nennen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dieser Haushalt - das kann man von keinem anderen Haushalt behaupten - enthält über die Hälfte Investitionsanteile. Ein solcher Haushalt fordert die politische Gestaltungskraft heraus.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Machen wir!)
Er fordert auch Verantwortung heraus. Wir meinen - das ist unsere generelle Kritik -, dass Sie vor allem im Verkehrsbereich die Prioritäten erneut falsch gesetzt haben.
(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Und wie?)
Ich komme noch auf die einzelnen Bereiche zu sprechen. Der Bundesfinanzminister hat uns am Dienstagmorgen zu verstärktem Optimismus aufgefordert. Bundesminister Tiefensee hat erwartungsgemäß sein Alles-wird-gut-Lächeln aufgesetzt.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie wollen wohl, dass alles schlechter wird?)
Nein, Herr Kampeter. Auch wir wollen, dass eher Hoffnungsträger als Bedenkenträger Konjunktur haben. Das ist keine Frage.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))
Es geht aber darum, erfüllbare Hoffnungen zu wecken, keine vorgetäuschten. Der hinter uns liegende Wahlsonntag hat doch Ihren gefühlten Aufschwung Lügen gestraft.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))
Die Wählerinnen und Wähler sehen diesen Aufschwung, von dem Sie pausenlos reden, nicht.
(Uwe Beckmeyer (SPD): Kommen Sie mal wieder zur Verkehrspolitik zurück!)
Jetzt will ich die einzelnen Bereiche durchgehen. Ich komme zuerst zum Thema „Mobilität und Verkehr“. Die Bundeskanzlerin hat ihre Regierungserklärung unter das Motto „Mehr Freiheit wagen!“ gestellt.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr gut!)
Freiheit und Mobilität hängen zusammen. Aber es ist heute bittere Realität, dass für eine Empfängerin von Arbeitslosengeld II die Freiheit schon an der Bushaltestelle endet, weil sie die teurer gewordenen Fahrscheine nicht mehr bezahlen kann.
(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist doch billige Polemik ohne sachlichen Hintergrund! - Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wie war das mit den Hoffnungsträgern?)
Deshalb wollen wir vor allem eine Frage in den Mittelpunkt stellen, Herr Minister. Im Herbst dieses Jahres steht der geplante Börsengang der Bahn AG ins Haus.
(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Nee!)
Unsere Aufgabe ist die politische Begleitung dieses Prozesses.
(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Nur die Ruhe!)
Dieser Prozess wird wahrscheinlich eines Tages mit Ihrem Namen verbunden sein, Herr Minister. Wir meinen, dass Sie damit bereit sind, die historische Fehlentscheidung des Jahres 2006 zu treffen.
(Beifall bei der LINKEN - Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch ist nichts entschieden!)
Ich höre mit Wohlwollen, dass noch nichts entschieden ist, Herr Kollege. Aber ich kenne den Stand der Vorbereitungen. Wir wollen vor allem auf folgende Fakten aufmerksam machen: Sie rechnen gegenwärtig den Wert der Bahn AG erheblich nach unten, Experten zufolge um mehr als das Zweieinhalbfache. Das ist nach unserer Auffassung ein Widerspruch zur Bundeshaushaltsordnung.
(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Welche Experten sagen das denn? Eher das Umgekehrte ist der Fall!)
Ich denke, Sie wissen sehr wohl, dass das gründlich berechnet worden ist. Sie müssen sich nur die internen Berechnungen anschauen.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie sind laut Grundgesetz dafür verantwortlich, zu gewährleisten, dass in Bezug auf die Bahn das Wohl der Allgemeinheit geachtet und den Verkehrsbedürfnissen Rechnung getragen wird. Mit dem geplanten Börsengang der Bahn gefährden Sie aber Kundinnen und Kunden und Beschäftigte der Bahn gleichermaßen.
(Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist doch Unsinn! Das wissen Sie aber auch!)
In Art. 14 unseres Grundgesetzes heißt es, dass eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist. Was Sie jetzt vorhaben, bedeutet die Enteignung von Vermögen der Bevölkerung.
(Zuruf von der SPD: Was?)
Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Die Bahn gehört nicht der Bundesregierung, sondern der gesamten Bevölkerung.
(Beifall bei der LINKEN)
An die Kolleginnen und Kollegen der Koalition gewandt möchte ich Folgendes feststellen: Ich hätte eigentlich von Ihnen ein bisschen mehr Dankbarkeit erwartet.
(Lachen bei der SPD)
Ich will Ihnen das erklären. Sie leben schließlich davon, dass es Opposition gibt. Ich erlebe aber seit Dienstag in den Haushaltsberatungen, dass Sie sich in der Auseinandersetzung mit den Liberalen oder den Grünen erkennbar künstlich aufregen müssen. Das merkt man Ihnen an. Mit uns müssen Sie sich aber so auseinander setzen, dass Sie sich ehrlich aufregen können. Das ist doch wohl ein gewisses Maß an Dankbarkeit wert.
(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU)
Wir kritisieren ausdrücklich die Kürzung der Regionalisierungsmittel für die Verkehre in den Bundesländern. Sie haben nun eine Diskussion über Fehlverwendungen eröffnet. Wir kennen ja den Verlauf solcher Debatten. Ich sage Ihnen dazu nur eines: Solange in diesem Land Fördermittel für Golfplätze eingesetzt werden und das als Investition in die Wirtschaft bezeichnet wird, so lange sollte niemand hier von Fehlverwendungen reden.
(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der SPD: Das ist ein Niveau!)
Herr Minister, die Art und Weise, wie Sie sich zu den ausstehenden 5 Milliarden Euro Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Mautvertrag geäußert haben Sie haben uns mit einem fröhlichen Lächeln darauf hingewiesen, dass wir hier noch ein paar Einnahmen zu erwarten hätten , ist angesichts der Bedeutung dieses Vorgangs etwas zu lax.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Bereich Bau- und Wohnungswesen gibt es viele Maßnahmen, die wir bereits positiv gewürdigt haben. Ich will daran erinnern, dass wir uns in den zuständigen Ausschüssen ausdrücklich für das CO2-Sanierungsprogramm stark gemacht haben. Wir sind der Meinung, dass die Mittel dafür erheblich aufgestockt werden sollten, und wir wollen Ihnen in den weiteren Haushaltsberatungen dazu Vorschläge machen. Wenn wie in diesem Fall ein vernünftiger Schritt gegangen wird, dann können Sie immer davon ausgehen, dass er die energische Unterstützung der linken Opposition in diesem Hause findet.
(Beifall bei der LINKEN - Christian Carstensen (SPD): Energisch ist sie auch noch!)
Kritischer sehen wir nach wie vor die Fragen betreffend den Bereich des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Hier haben sich viele in den letzten Jahren ich nehme uns nicht aus erheblich versündigt. Wir brauchen mehr Unterstützung für die Wohnungsunternehmen. Wir werden Ihnen in Bälde einen entsprechenden Antrag vorlegen, der vorsieht, die bislang gültigen Fristen aufzuheben. Wir müssen zudem endlich die kommunale Investitionskraft stärken. Das ist gerade für die Wohnungsbauwirtschaft nicht unwichtig. Meine Fraktion wird deshalb im Zuge der Haushaltsberatungen vorschlagen, erneut eine kommunale Investitionspauschale in Höhe von 1,5 Milliarden Euro aufzulegen.
(Beifall bei der LINKEN - Christian Carstensen (SPD): Sagen Sie mal was zur Finanzierung davon! - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wie soll die denn finanziert werden?)
Das bekommen Sie alles geliefert. Ich denke, Sie haben sich inzwischen gründlich mit unserem Steuerkonzept beschäftigt.
(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auf einen Fakt hinweisen: Unser Steuerkonzept sieht vor,
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Jetzt kommt der mit der Lafontaine-Masche!)
die Kommunen mit 20 Prozent am Mehrwertsteueraufkommen - von der Sünde, die Sie im nächsten Jahr begehen wollen, will ich gar nicht reden - zu beteiligen. Mit dieser Summe ließe sich Planungssicherheit schaffen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sind zudem mit den Plänen betreffend den Neubau des Bundesinnenministeriums das wird ebenfalls den Einzelplan 12 tangieren nicht einverstanden.
Ich will noch einige Worte zum Aufbau Ost sagen. Diesbezüglich werden in der Koalitionsvereinbarung viele relativ gute Ziele gesetzt. Die Abteilung „Überschriften“ hat ganze Arbeit geleistet.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die Substanzabteilung auch!)
Leider nicht, Herr Kollege. Nach der Beschreibung der Ziele heißt es aber nur, dass der bisherige Weg fortgesetzt wird und dabei auf die bewährten Instrumente zurückgegriffen wird. Wenn die bewährten Instrumente aber bislang nicht zu den Ergebnissen geführt haben, die man sich wünscht, dann werden sie auch nicht den neuen Zielen, die Sie in den Überschriften formuliert haben, gerecht werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Schauen wir uns einmal die Fakten an. Nach wie vor ist die Industrieproduktion in Westdeutschland zehnmal höher als die in Ostdeutschland. Wir haben es in Ostdeutschland mit einer verstetigten Abwanderung zu tun. Die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland liegt im Durchschnitt bei 8,5 Prozent, während sie in Ostdeutschland bei 18,4 Prozent liegt. Da das Bundesministerium neue Zahlen vorgelegt hat, kann ich allerdings den oft gemachten Vorwurf entkräften, die neuen Bundesländer hätten eine zu hohe Personalkostenquote. Das ist nichts anderes als eine Legende; denn aus den jüngsten Berechnungen geht hervor, dass der Anteil der Personalkosten an den Landeshaushalten in Ostdeutschland bei 26,3 Prozent, aber in Westdeutschland bei 40,6 Prozent liegt. Der Vorwurf geht also ins Leere. Die Absicht dieser Regierung, eine so genannte Hartz-IV-Optimierung vorzunehmen das darf man nicht ausblenden, wenn es um Ostdeutschland geht , bereitet mir große Sorgen. Wenn davon gesprochen wird, die Arbeitsuchenden oder ALG II-Bezieher sollen nicht auf dumme Gedanken kommen können, dann weiß ich, dass das wieder eine Verschärfung der Diskriminierung und der Repression von Arbeitsuchenden bedeutet.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie wollen doch nur die Bevölkerung verängstigen!)
Dazu will ich eines sagen: Solange es in diesem Lande ein legalisierter Volkssport ist, dass sich Begüterte bei der Steuer arm rechnen ich verweise nur darauf, dass eines der meistgekauften Bücher „1000 ganz legale Steuertricks“ ist , kann man es den Ärmsten der Gesellschaft nicht vorwerfen, dass sie anwenden, was das Gesetz hergibt. Wo kommen wir denn da hin?!
(Beifall bei der LINKEN)
Leider ist es so das wissen auch Sie , dass gemäß den wichtigsten wirtschaftlichen Indikatoren sich die Schere zwischen Ost und West seit 1997/1998 wieder öffnet. Deshalb schlagen wir ein Zukunftsinvestitionsprogramm „Jugend und Innovation“ für diesen Bereich vor. Dieses Programm wollen wir solide gegenfinanzieren. Ich will daran erinnern: Als wir im vergangenen Jahr da war von der Bundestagswahl eigentlich noch nicht die Rede davon gesprochen haben, dass wir ein solches Zukunftsinvestitionsprogramm brauchen, haben Sie schon diesen Begriff als sozialistisches Teufelszeug abgetan.
(Uwe Beckmeyer (SPD): Das hat Helmut Schmidt erfunden, doch nicht Sie! Dr. Uwe Küster (SPD): Denken Sie an die Vogelgrippe: „Wer sich mit falschen Federn schmückt …“!)
Inzwischen haben auch Sie sich damit angefreundet. Ich will damit sagen: Wir werden die Probleme dieses Landes nicht weglächeln können, wir müssen uns ihnen stellen da hilft weder schwarz malen noch schönreden. Es macht mir Sorgen, wenn ich mir anschaue, was die CDU macht, wenn sie Regierungsverantwortung hat. In dem Bundesland, aus dem ich komme, Sachsen-Anhalt,
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Weil wir so eine klasse Politik in Sachsen-Anhalt gemacht haben, sind wir gerade wieder gewählt worden, Herr Kollege Claus!)
waren die ersten Schritte der damaligen CDU/FDP-Regierung, das Kinderförderungsgesetz zu verschlechtern und ein Feststellenprogramm im Jugendbereich kurzerhand auslaufen zu lassen. Das sind völlig falsche Wege. Deswegen haben Sie kein Recht, Innovation, Familienfreundlichkeit oder Jugendfreundlichkeit als Überschrift für Ihre Programme zu nehmen.
(Uwe Beckmeyer (SPD): Kommen Sie doch wieder zurück zur Verkehrspolitik!)
Es ist uns in diesen Haushaltsberatungen von Vertretern der Regierung und der Koalition gerade erneut vorgehalten worden, ihre Haushalts- und Finanzpolitik sei alternativlos. Wer so etwas behauptet, stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus und sollte nicht den Anspruch erheben, in diesem Land etwas nach vorne bewegen zu können. Meine Damen und Herren, Politik ist immer Menschenwerk; deshalb ist sie nie alternativlos es geht immer auch anders. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)