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Gefahren für Genossenschaften

Rede von Ulla Lötzer,

"Genossenschaften müssen insgesamt weiter gestärkt werden. Innerbetriebliche Demokratie und gleichberechtigte Kooperation in Genossenschaften sind Werte, die Linken verteidigen. Statt diese Werte im Sinne der Konkurrenzfähigkeit abzubauen, müssen Genossenschaften endlich angemessen gefördert werden, damit die Genossenschaft auch zukünftig eine Genossenschaft bleibt und nicht zu einer "Shareholderschaft" mutiert. Ulla Lötzer in der Debatte zur Änderung des Genossenschaftsrechts."

"Die Bundesregierung schlägt Änderungen des Genossenschaftsrechts vor. Und tatsächlich: Im Titel kommt es noch vor, das Wort Genossen. Ansonsten wird das Wort durch den Gesetzentwurf abgeschafft - rund 90-mal wird es explizit durch das Wort Mitglieder ersetzt. Genossen haben nach Meinung der Bundesregierung offenbar nichts mehr zu suchen in ihren Genossenschaften. Das ist mehr als eine Formalie. Das Streichen der Genossen offenbart nämlich, was die Regierung unter Modernisierung des Genossenschaftsrechts eigentlich versteht: Die Genossenschaften sollen kompatibel werden mit dem globalisierten Kapitalismus. Es geht der Regierung weniger um die Stärkung des Genossenschaftsgedankens, um Solidarität und innerbetriebliche Demokratie. Es geht ihr zu allererst um die Wettbewerbsfähigkeit von Genossenschaften in Konkurrenz zu anderen Rechtsformen. Und diese Wettbewerbsfähigkeit soll durch eine schleichende Angleichung des Genossenschaftsrechts an die Regeln für Kapitalgesellschaften geschaffen werden. Damit schließt sich die Regierung der Europäischen Kommission an, die schon 2004 forderte, die Vorschriften für Genossenschaften müssten "auch ihren Bedürfnissen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen einer modernen Marktwirtschaft" gerecht werden. Aber die wachsende Ähnlichkeit von Genossenschaften und Aktiengesellschaften zeigt sich nicht nur bei der - mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ja auch eingeführten - neuen Rechtsform der Europäischen Genossenschaft. Auch die Genossenschaften nach deutschem Recht erhalten zukünftig Merkmale, die dem ursprünglichen Charakter des Genossenschaftswesens zuwiderlaufen, insbesondere: die Öffnung für investierende Mitglieder. In § 8 Abs. 2 des neuen Genossenschaftsgesetzes soll es zukünftig heißen: "Die Satzung kann bestimmen, dass Personen, die für die Nutzung oder Produktion der Güter und die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Genossenschaft nicht infrage kommen, als investierende Mitglieder zugelassen werden können." Damit wird der Verwandlung von Genossenschaften in profitorientierte Unternehmen Tür und Tor geöffnet. Sicherlich, die Einführung von investierenden Mitgliedern ist eine Kannvorschrift. Auch sollen verschiedene Einschränkungen dafür sorgen, dass Investoren die Entscheidungsfindung innerhalb der Genossenschaft nicht zu sehr beeinflussen können. Dennoch: Wer wird verhindern, dass finanzstarke Investoren den Genossinnen und Genossen ihren Willen aufzwingen oder durch vermeintlichen betriebswirtschaftlichen Sachverstand schmackhaft machen? Alleine die Bezeichnung "Investierende Mitglieder" zeigt schon, worum es diesen Mitgliedern vor allem gehen wird: um eine ordentliche Dividende. Damit besteht die akute Gefahr, dass der eigentliche Zweck von Genossenschaften - die Förderung der nutzenden Mitglieder - einem neuen Zweck weichen muss: dem Wachstum des angelegten Kapitals der investierenden Mitglieder. Genossenschaftsanteile sichern den Genossinnen und Genossen dann mitunter nicht mehr eine angemessene Wohnraumversorgung, sondern allenfalls eine marktübliche Verzinsung. Gerade jetzt sind Finanzinvestoren landauf, landab unterwegs, um die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zu kaufen. Jetzt sollen den Heuschrecken auch noch die Genossenschaften angeboten werden? Wo bleibt ihre Kritik an der Heuschreckenplage, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD? Und vor allem: Wo bleiben die Konsequenzen? Diese Änderung lehnen wir ab. Auch in der Landwirtschaft gilt es, das Genossenschaftsmodell zu bewahren, das insbesondere in Ostdeutschland stark verankert ist. Dieses Modell ist den Veränderungen durch die Agrarpolitik der EU und WTO gut gewachsen. Eine Öffnung für nicht nutzende Investoren oder gar die Einführung eines an die Höhe der Beteiligung gekoppelten Mehrstimmrechts, wie es von interessierter Seite gefordert wird, wäre kontraproduktiv. Sicherlich, Einzelpunkte des Gesetzentwurfs sind auch zu begrüßen, etwa dass künftig nur drei anstatt sieben Mitglieder eine Genossenschaft gründen können oder die Erweiterung des Zwecks von Genossenschaften um soziale und kulturelle Ziele. Auch dass Mehrstimmrechte zukünftig nur bei Unternehmensgenossenschaften möglich sind, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir wollen, dass der Genossenschaftsgedanke insgesamt weiter gestärkt wird. Innerbetriebliche Demokratie und gleichberechtigte Kooperation in Genossenschaften sind Werte, die wir verteidigen. Statt diese Werte im Sinne der Konkurrenzfähigkeit abzubauen, müssen Genossenschaften endlich angemessen gefördert werden, damit die Genossenschaft auch zukünftig eine Genossenschaft bleibt und nicht zu einer "Shareholderschaft" mutiert."