Sehr geehrte Frau/Herr Präsident/in,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
kaum eine Bevölkerungsgruppe steht mit ihren Bedürfnissen so wenig im Fokus der politischen Debatten, wie Jugendliche. Werden sie wahrgenommen, sind die Schlagzeilen meist negativ. Desillusioniert, gewalttätig, politikmüde, uninteressiert an der Gestaltung unserer Gesellschaft. Ein solches Bild von einer ganzen Bevölkerungsgruppe lässt nicht verwundern, dass Rufe nach der Verschärfung von Jugendstrafen, nach einer Einführung von Warnschussarresten schnell hochkommen und nicht selten auch begrüßt werden. Die Kehrseite, die vielleicht Ursachen für viele der Negativbilder in sich birgt, findet aber in der Öffentlichkeit kaum Gehör. Etwa, wenn ein Programm zur Begleitung von Schulverweigerern beendet werden soll, ohne dass ein neues Angebot für diese Jugendlichen geschaffen wird. Oder wenn es immer zuerst Angebote für Jugendliche sind, die dem Rotstift zum Opfer fallen, wenn sich die Kassen der Kommunen leeren. Es gibt kaum eine Bevölkerungsgruppe, über die es so wenige Erhebungen zu ihrer sozialen Situation gibt, kaum eine, deren Bedürfnisse und Anforderungen an die Gesellschaft von der Politik so wenig wahrgenommen werden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die schwarz- gelbe Bundesregierung, als sie im Koalitionsvertrag die Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik versprach.
Zweifel kamen auf durch das lange Warten auf eine Initiative, die dieses Versprechen einlöst. Enttäuscht wurden sie durch eine Ansammlung von Prüfaufträgen im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres, die wie ein Handlungsauftrag an die folgende Regierung wirkte, nicht aber wie das, was Jugendliche brauchen: Politikkonzepte, die Antworten auf ihre Fragen und Lösungen für ihre Probleme liefern.
Nun sind es wieder Oppositionsfraktionen, die versuchen, der Untätigkeit der Regierung etwas Fundiertes entgegenzusetzen.
Es wird die Kolleginnen und Kollegen der SPD- und Grünen- Fraktion nicht verwundern, dass mir einige wichtige Bestandteile fehlen. Die Forderung, endlich von der repressiven Sanktionspolitik insbesondere gegenüber jugendlichen Erwerbslosen abzukommen, begrüße ich sehr. Doch warum bleiben Sie bei der diskriminierenden Schlechterstellung der unter 25- jährigen bei der Höhe des ALG II-Regelsatzes. Auch die Praxis, dass diesen Erwerbslosen noch immer die Möglichkeit auf eine eigene Wohnung verwehrt wird, kann nicht im Sinne einer eigenständigen Jugendpolitik sein, die Jugendlichen hilft, selbstständig zu werden. Im Grünen- Antrag fehlen Armutsbekämpfung und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Entwicklung von Jugendlichen leider ganz in den aufgestellten Forderungen. Wir wissen doch aus den wenigen Studien, die es gibt, in welchem Umfang sich Armut auf Bildungskarrieren und die Entwicklung eigener Zukunftsperspektiven auswirkt.
Mir fehlt ein klares und deutliches Bekenntnis dazu, dass es nicht der soziale Status der Eltern sein darf, der über Bildungschancen entscheidet. Rechtsansprüche auf Ganztagsschulplätze sind ein guter und richtiger Bestandteil von Bildungsgerechtigkeit. Wie aber will man Bildungsgerechtigkeit schaffen, wenn alle ausgrenzenden Momente der teilhabeverhindernden ALG II Regelsätze nicht benannt oder gar aufgehoben werden?
Wenn es um ein Konzept für eine eigenständige Jugendpolitik ist es wichtig, die Arbeit von Jugendverbänden hervorzuheben. Denn das sind die Orte, wo Partizipation beginnt.
Beiden Anträgen aber fehlen Ansätze, die Jugendliche bei der Gestaltung einer eigenständigen Jugendpolitik auch auf der Bundesebene einbinden und die sie nicht nur über ihre Rechte besser informieren. Es muss aus meiner Sicht doch darum gehen, dass sie ihre Rechte nicht nur kennen, sondern auch wahrnehmen können. Dies alles sind Fragen und Punkte, die es zu diskutieren gilt. Dennoch bin ich dankbar dafür, dass es eine Grundlage für eine fachliche Diskussion gibt und freue mich auf diese Debatten.
Vielen Dank!