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Für ein solidarisches und demokratisches Europa

Rede von Alexander Ulrich,


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Westerwelle, Sie haben über den Iran gesprochen. Hören Sie doch bitte auf, nach mehr Sanktionen zu rufen, die nur die Bevölkerung treffen! Denn damit tragen Sie zur Eskalation bei und machen einen Krieg gegen den Iran wahrscheinlicher.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber lassen Sie uns über Europa reden. Die Krisenpolitik Europas, der Troika, die letztendlich diktiert worden ist von Merkel und bis vor kurzem auch noch von Sarkozy, ist gescheitert. Wenn es eines Beweises dafür bedarf, verweise ich auf die EZB-Entscheidung in der letzten Woche. Dass die EZB zu dieser Notbremse greifen musste, ist ja ein Eingeständnis dafür, dass die Politik versagt hat.
Wenn Herr Westerwelle sich hier hinstellt und sagt, er möchte, dass man der Bevölkerung Europas eine neue Vision gibt, die sich nicht aus der Geschichte ableitet, dann muss man sich die Frage stellen: Was macht diese Bundesregierung, um den Menschen in Europa eine Vision zu geben? Ganz nebenbei sei erwähnt darauf will ich gar nicht näher eingehen , dass Herr Westerwelle europapolitisch überhaupt nicht agiert, weil er vom Kanzleramt ins Abseits gestellt worden ist. Schauen wir uns an, wie sich die Menschen in Europa von Europa abwenden. Schauen wir nach Südeuropa! Was wird dort von Europa wahrgenommen? Sozialabbau, Abbau von Beschäftigung, niedrigere Renten, kein Geld mehr für die Gesundheitsversorgung das ist das Bild von Europa, das dort vermittelt wird. In Deutschland erweckt die Bundesregierung den Eindruck, dass wir, obwohl wir in dieser Krise Hauptgewinner sind, nur für Europa zahlen müssen, und es kommen Leute wie Söder und Dobrindt mit nationalistischen Ressentiments, die die Stammtische nicht nur in Bayern, sondern auch in der rechten Szene bedienen. Das klappt vielleicht in Bezug auf die bayerische Landtagswahl. Aber es klappt nicht, um Europa eine Vision für die Zukunft zu geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie uns hier einmal mit ein paar Mythen aufräumen. Es wird immer wieder erzählt, wir hätten eine Staatsschuldenkrise. Nein, wir haben keine Staatsschuldenkrise. Wir haben eine Finanz- und Bankenkrise. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann sehen wir, dass die Schuldenquote im Euro-Raum 2007 66,3 Prozent betrug; jetzt sind es 87,4 Prozent. Nehmen wir Spanien als Beispiel: 2007 gab es dort eine Staatsschuldenquote von 36,3 Prozent; jetzt sind es knapp 70 Prozent. Das, was in Europa als Staatsschuldenkrise bezeichnet wird, sind letztendlich die Kosten für die Bankenrettung. Diese haben sich von 2007 bis jetzt auf 1,6 Billionen Euro summiert. Dafür müssen wir zahlen. Es liegt nicht an ausufernden Sozialsystemen, es liegt nicht daran, dass die Menschen in Europa über ihre Verhältnisse leben. Vielmehr diente das Geld, das wir ausgegeben haben, der Bankenrettung.
Deshalb, glaube ich, müssen wir darum kämpfen, endlich das wahr zu machen, was in Sonntagsreden immer gefordert wird: Wir müssen das Primat der Politik über die Finanzmärkte wiederbekommen. Dafür brauchen wir eine Entkopplung der Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten. Es ist nicht einzusehen, dass die Europäische Zentralbank für 1 Prozent oder jetzt 0,75 Prozent das Geld auf die Märkte wirft, aber die Deutsche Bank, die Commerzbank und andere Banken es für 6, 7 oder 8 Prozent weiterverleihen. Die Staaten können das nicht finanzieren. Die Finanzwelt soll sich auch daran wieder eine goldene Nase verdienen. Wenn wir es entkoppeln, wäre der Spuk, auf Staatspleiten zu wetten, vorbei. Das ist unsere Forderung als Partei und Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen endlich eine Finanztransaktionsteuer. Aber das, was Kanzlerin Merkel heute Morgen gesagt hat, deutet darauf hin, dass man auch da nichts machen will. Auch das ist nur eine Beruhigungspille gewesen. Jetzt schiebt man es auf die lange Bank; es wird nicht kommen. Mit dieser Regierung wird es eine Finanztransaktionsteuer in Europa und in Deutschland nicht geben.
Der zweite Punkt. Es ist auch ein Anschlag auf die Demokratie. Was ist das für eine Vision, Herr Westerwelle, wenn nicht mehr die Regierungen und die Parlamente in Lissabon, Madrid oder Rom über Löhne, Steuern oder Haushalte entscheiden, sondern wenn es die Troika ist, die wenig legitimiert ist, aber in die Länder einmarschiert und sagt, was dort zu tun ist? Diese Art der Politik wird die Menschen von Europa weiter entfremden. Deshalb muss Schluss sein mit diesen undemokratischen Maßnahmen der von EU und Troika.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man Schulden reduzieren will, dann kann man es machen wie Sie, was zu Sozialabbau führt, oder man kann es machen, wie wir es vorschlagen, nämlich indem man Vermögen reduziert. Denn die Schulden der einen sind nun einmal die Vermögen der anderen. Die Schulden in Europa werden von den privaten Vermögen, die in Europa vorhanden sind, überstiegen. Sie meinen, Sie könnten das Problem mit Sozialabbau lösen. Dies treibt die Euro-Zone in die Rezession. In Griechenland ist die Wirtschaft in den letzten Jahren um 20 Prozent geschrumpft. Auch in Deutschland kommt es langsam an. Mit dieser Art der Politik werden die Schulden größer. Deshalb muss man die Vermögen reduzieren, wenn man die Schulden reduzieren will. Deshalb brauchen wir eine Millionärsteuer. Deshalb brauchen wir eine europaweite Vermögensabgabe. Wir müssen die Steueroasen trockenlegen. Ich glaube, wir brauchen auch einen deutlichen Schuldenschnitt, damit die Länder wieder Luft zum Atmen bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der heutigen Entscheidung von Karlsruhe ist der Kampf um ein sozialeres Europa noch nicht beendet. Auch wenn alle Fraktionen das, was in Karlsruhe entschieden wurde, bejubelt haben, ist es ein weiterer Schritt, Europa undemokratischer und unsozialer zu machen, ein weiterer Schritt, dass Europa nicht ein Europa der Menschen wird, sondern ein Europa der Finanzmärkte, ein Europa der Banken, ein Europa der Großkonzerne. Wir werden unseren Widerstand fortsetzen; denn was jetzt kommt, wird auch in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden müssen. Die Bundesregierung sagt der Bevölkerung auch nicht, dass im Fiskalpakt vorgesehen ist, dass man auch in Deutschland die Schulden schrittweise zurückführen muss. Aber woher werden die 25 Milliarden Euro kommen, die ab 2014 dafür pro Jahr benötigt werden? Ich behaupte, wenn Sie so weitermachen, wird auch das nur über Sozialabbau, über weniger Geld für Bildung und Forschung, weniger Geld für einen sozialökologischen Umbau gelingen. Deshalb müssen wir handeln.
Die Linke wird weiterhin mit den Gewerkschaften, mit den außerparlamentarischen Bewegungen, mit Attac und anderen für ein soziales, friedliches und demokratisches Europa streiten. Die SPD und die Grünen haben leider bei allen europapolitischen Entscheidungen der Regierung die Hand gereicht. Deshalb sind sie nicht die Richtigen, um für diese Gruppen das Wort zu ergreifen.

(Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben Europa die Hand gereicht!)

Die Linke wird auch bei Abstimmungen im Parlament auf der Seite dieser genannten Gruppen stehen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)