Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ilja Seifert, Fraktion
Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, auch einige Betroffene auf den Besucherrängen
zu sehen. Ich weiß, dass viele dieser Debatte mit
sehr großer Aufmerksamkeit folgen. Ich grüße auch Sie
draußen. Die Hilfe derjenigen, die betroffen sind, dabei,
dieses Gesetz - wenn es geht, ein besseres, ein stärkeres
Gesetz - durchzusetzen, ist sehr dringend. Ihre Rede,
Herr Kollege, hat das sehr deutlich gemacht.
Es ist sehr wichtig, dass wir von diesem Parlament
aus allen Menschen sagen, zeigen und alle Menschen
auch spüren lassen: Wer diskriminiert, ist in diesem
Land geächtet. Und wer diskriminiert wird, hat die Unterstützung
des Staates, auch die Unterstützung aller Parlamentarierinnen
und Parlamentarier in diesem Parlament.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der heute wieder vorgelegte Gesetzentwurf geht nur
sehr geringfügig - ich finde: viel zu wenig - über das hinaus,
was die EU zwingend vorschreibt. Ich vermute sogar,
wir würden uns mit den Kollegen der Grünen sehr
schnell darüber einigen können, dass das eigentlich weiter
gehen müsste. Es ist, finde ich, kein besonders gut
ausgewogener Kompromiss, sondern ein sehr schwacher.
Deshalb schlagen wir klipp und klar vor, das Gesetz
mindestens an sechs Stellen zu verstärken. Ich will
Ihnen auch gleich sagen, an welchen:
Erstens geht es darum, anstelle des eingeschränkten
Anwendungsbereichs des Benachteiligungsverbots
ein klares Bekenntnis dafür abzugeben, dass es auf alle
Schuldverhältnisse - meinetwegen mit Ausnahme des
Familien- und des Erbrechts - ausgedehnt wird.
Zweitens. Außer bei Gefahren für Leib und Leben des
Betroffenen bzw. der Betroffenen oder von Dritten - darauf
werde ich noch etwas näher eingehen - sollte es
keine Ausnahmetatbestände beim Diskriminierungsverbot
geben.
Drittens. Wir brauchen ein echtes Verbandsklagerecht
und nicht das Abtretungsrecht, wie es jetzt vorgesehen
ist.
Viertens. Das Gesetz braucht wirksame und natürlich
verhältnismäßige, also dem erlittenen Schaden angemessene,
und abschreckende Schadenersatz- und Schmerzensgeldregelungen,
damit Diskriminierer, egal ob es
sich um Personen oder Institutionen handelt, wissen,
dass ihre Taten geahndet werden - momentan ist das leider
nicht der Fall -, und zwar mit empfindlichen Strafen
oder Geldbußen.
Fünftens. Wir meinen, der Begriff „Rasse“ sollte in
einem deutschen Gesetz nicht vorkommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Man kann anstelle dessen die Merkmale Hautfarbe,
Sprache, Nationalität und Staatsangehörigkeit aufnehmen.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das steht nun mal im Europarecht!)
- Das heißt aber nicht, dass wir es nicht anders machen
dürfen.
(Christine Lambrecht [SPD]: Doch!)
Sechstens. Arbeitgeber sollten zusätzlich verpflichtet
werden, zum diskriminierungsfreien Verhalten innerhalb
ihres Betriebs dadurch beizutragen, dass sie entsprechende
Schulungen und andere auf das Verhalten zielende
Maßnahmen durchführen.
Lassen Sie mich jetzt noch zwei detaillierte Bemerkungen
zu dem machen, was ich mit der Änderung der
Ausnahmebestimmungen meine: Jetzt steht in § 20 des
Gesetzentwurfs, dass es ausreicht, einen „sachlichen
Grund“ geltend zu machen, um doch diskriminieren zu
können. Was ist denn ein „sachlicher Grund“? Da kann
alles Mögliche geltend gemacht werden; das ist viel zu
schwammig. Deswegen sagen wir: Außer bei Gefahr für
Leib und Leben des Betroffenen bzw. der Betroffenen
und von Dritten sollte es keine Ausnahmetatbestände geben.
(Beifall bei der LINKEN)
Was bedeutet es, wenn in § 19 Abs. 1 des Gesetzentwurfs
auf Schuldverhältnisse und Verträge abgehoben
wird, die „ohne Ansehen der Person“ geschlossen werden?
Da lache ich mich tot. - Entschuldigung! - Wenn
ich einen Vertrag abschließe, sehe ich die Person, mit der
ich den Vertrag abschließe, immer an.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Es dürfen auch
Sympathie und Antipathie eine Rolle spielen!
Sie müssen eine Rolle spielen! Sympathie, Antipathie,
Motive! Wir haben keine Motivzensur
in Deutschland!)
- Deswegen sage ich ja gerade, dass dieser Ausnahmetatbestand
abgeschafft werden muss. Er bringt nichts.
Wir brauchen klare Verhältnisse. Es dürfen nicht Vorschriften
erlassen werden, die dazu führen, dass dem
Missbrauch des Gesetzes Tür und Tor geöffnet wird.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Dann gibt es keine Frauensauna
und keinen Behindertenparkplatz
mehr! Das sind sachliche Gründe, anders zu
handeln!)
- Das sind Bevorzugungen. Die kann, ja muss es geben.
Ich habe nicht gesagt, dass Bevorzugungen abgeschafft
werden sollen. Das sind erforderliche Nachteilsausgleiche.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Seifert, da Sie ohnehin nur noch eine
knappe Redezeit haben, möchte ich einen Vorschlag machen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da es zu diesem
Gegenstand ganz offenkundig spontan keine hinreichende
Übereinstimmung gibt, wird es sich gar nicht
vermeiden lassen, das Thema in den Ausschussberatungen
vertieft zu behandeln. Im Hinblick darauf lässt sich
vielleicht auch das Maß an Zwischenrufen reduzieren,
sodass das Thema hier im Rahmen der vereinbarten Redezeiten
für heute hinreichend behandelt werden kann.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie
bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Kollege Seifert.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident, für die freundlichen
Hinweise. Die Kolleginnen und Kollegen könnten ja
auch Zwischenfragen stellen. Ich denke, wir werden das
auch im Ausschuss noch behandeln.
Ich will nur noch eines sagen. Wenn in § 19 Abs. 3
steht, dass die „Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen
und ausgewogener Siedlungsstrukturen“ ausreicht,
um Diskriminierung zu begründen, dann heißt
das, dass ein schwules Pärchen mit der Begründung abgelehnt
werden kann, dass in der Gegend schon drei
wohnen und ein viertes nicht geduldet werden kann. Das
kann ja wohl nicht sein.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Doch!)
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: Verhindern
Sie Diskriminierung, schützen Sie die Diskriminierten!
Dann werden wir vorankommen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)

Für ein besseres und stärkeres Antidiskriminierungsgesetz
Rede
von
Ilja Seifert,