Zum Hauptinhalt springen

Fünfte Kolonne für Sozialabbau

Rede von Sabine Zimmermann,

Die Große Koalition kündigt an die Bürokratie zu verringern und will dafür einen Normenkontrollrat einrichten. Dieses Verfahren öffnet die Tür für einen Abbau sozial-ökologischer Standards. Dafür ist DIE LINKE. nicht zu haben. Sabine Zimmermann in der Debatte um den Bürokratieabbau in Deutschland.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Kollegen Wend korrigieren: Der Normenkontrollrat soll keine Messungen durchführen; das sollen die Ministerien selber machen. Im Koalitionsvertrag haben die beiden Regierungsparteien eine Entlastung der Bürger und der Wirtschaft von Bürokratiekosten angekündigt. Dies ist ein gutes Vorhaben, solange mit Bürokratieabbau nicht ein Abbau von sozialen Rechten und ökologischen Standards gemeint ist. Hier beginnt eigentlich das Problem. Zunächst einmal muss man feststellen, dass der Bürger bei Ihren Plänen überhaupt nicht mehr vorkommt. Im Gegenteil: Mit der Verschärfung von Hartz IV werden die Arbeitslosen drangsaliert, in Armut gestürzt und die Menschenwürde wird einfach mit Füßen getreten. (Beifall bei der LINKEN  Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Sprechen Sie mal zum Thema!) Bis zu 45 Minuten braucht ein erfahrener Sachbearbeiter, um komplizierte Anträge zu bearbeiten. Wofür? Dafür, dass 90 Prozent der Anträge abgelehnt werden, um den Menschen ein menschenwürdiges Leben vorzuenthalten. Unter dieser Bürokratie leiden die Arbeitslosen und die Sachbearbeiter der Arbeitsagenturen und der Arbeitsgemeinschaften. Die Koalition  das wird deutlich  vertritt eine einseitige Ansicht von Bürokratieabbau. Aber wen wundert das? Der Vorkämpfer der Union für Bürokratieabbau, Herr Norbert Röttgen, wird künftig als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie seinen Dienst antreten. Ich muss sagen: Wir werden doch keine Freunde mehr, Herr Röttgen. (Beifall bei der LINKEN  Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ein echter Verlust!  Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das ist ein Lob!) Hören Sie mir bitte zu! In dieser Funktion und als Abgeordneter können Sie dafür sorgen, dass Bürokratieabbau im richtigen Interesse betrieben wird, nämlich im Interesse der Wirtschaft und nicht der Menschen in diesem Land. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nun zu Ihrem Gesetzesvorschlag, den Sie heute verabschieden wollen. Sie meinen, wir haben in Deutschland zu viel Bürokratie, die die Wirtschaft fesselt. Ein wenig wundert mich das schon. Gerade die Union und die SPD tragen doch die Verantwortung für den derzeitigen Wulst an Bürokratie; denn sie waren in den letzten zehn Jahren an der Regierung. Nun wollen Sie einen so genannten Normenkontrollrat einrichten. Dessen Aufgabe soll es sein, die Kosten zu bewerten, die den Unternehmen durch staatliche Informationspflichten entstehen. Er soll Vorschläge machen, wie sie reduziert werden können. Die Regierung verweist mit ihrem geplanten Vorhaben auf die Erfahrungen in den Niederlanden. Danach ist dort der Bürokratieabbau äußerst erfolgreich. Deshalb will sie dieses Modell in Deutschland umsetzen. Einige Abgeordnete durften deswegen in der letzten Woche  Herr Wend hat es schon erwähnt  in die Niederlande reisen. Ich war dabei und muss sagen: Es läuft dort keineswegs so toll und erfolgreich, wie uns die Bundesregierung glauben machen will. Meine Kollegin Frau Berg von der SPD hat gestern im Ausschuss beklagt, dass die Unternehmen dort den Bürokratieabbau nicht honorieren, sondern mehr fordern. Dazu kommen kritische Stimmen, die beklagen, dass dem Bürokratieabbau der Umweltschutz oder sogar Frauenrechte zum Opfer gefallen sind. Nimmt man dies alles auf, dann muss man, vorsichtig gesagt, zu einer skeptischen Einschätzung des niederländischen Modells kommen. Union und SPD haben versucht, die Debatte um die Einrichtung eines Normenkontrollrates und die Frage des Bürokratieabbaus zu entpolitisieren, frei nach dem Motto: Es geht nur darum, einige überflüssige Vorschriften zu streichen. Erst auf Druck der Opposition hat dann eine Anhörung stattgefunden. (Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das ist mir aber neu!) Dort hat unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund die Sorge geäußert, dass hier möglicherweise Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, beispielsweise beim Arbeitsschutz und beim Datenschutz, abgebaut werden können. Einige Wirtschaftsvertreter haben das erschreckend deutlich bestätigt, als sie das Antidiskriminierungsgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz  Herr Wend, Sie waren dabei  als ein Projekt für den Bürokratieabbau benannten. Interessant ist, dass dieses Problem auch in der SPD wahrgenommen wird. Herr Wend, Sie räumen ehrlich ein, dass solche Äußerungen das Misstrauen nähren, dass es im Hinblick auf den Normenkontrollrat nicht nur darum geht, Informations- und Dokumentationspflichten zu nennen, sondern auch darum, mit politischer Absicht Gesetze zu verhindern. In den letzten Jahren ergriffen einige Bundesländer verschiedene Initiativen zum Bürokratieabbau. Stets hieß es: Soziale Rechte, Umweltschutzvorschriften und die Bürgerbeteiligung fallen dem Bürokratieabbau nicht zum Opfer. Oftmals stiegen jedoch Umweltverbände und Gewerkschaften aus diesen Vorhaben aus, weil genau das passierte. Kollege Wend meint, dass dies mit dem Gesetzentwurf nicht beabsichtigt ist. (Dr. Rainer Wend (SPD): Steht vor allem nicht drin!) Er weiß aber, dass diese Begehrlichkeiten existieren. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie denn daraus? Dieses Problem hätte sich im Gesetzentwurf zumindest widerspiegeln müssen. Aber es war davon leider nichts zu lesen. (Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Zum Glück nichts zu lesen!) Auch nach einer Antwort auf die Frage, warum Verbraucherverbände, Gewerkschaften und Sozialverbände nicht einbezogen werden sollen, sucht man vergeblich. Die Linke hat grundsätzliche Zweifel an dem geplanten Bürokratieabbau. Wenn davon gesprochen wird, ist meist Deregulierung gemeint. Wir sind dafür, die Verwaltung effektiver zu organisieren. Auch die Erfüllung von Informationspflichten kann sicherlich effektiver gestaltet werden. Aber das darf eben nicht bedeuten, gesellschaftlich notwendige Regelungen abzubauen. Wir schlagen deshalb vor, statt eines Normenkontrollrates eine interministerielle Arbeitsgruppe für eine rationelle Verwaltung einzurichten. Diese soll die Informationsgewinnung effektiver machen, aber keinen einseitigen Abbau vorschlagen. Zum Schluss muss ich feststellen, dass Sie alle beim Bürokratieabbau das Lied des Neoliberalismus singen. (Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): So ein Unfug!) Wir werden unsere Partner am kommenden Samstag in Berlin außerhalb des Parlaments treffen, wenn Arbeitslose, Gewerkschafter und viele andere gegen die asoziale Reformpolitik der großen Koalition auf die Straße gehen werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und lade Sie herzlich ein, am Sonnabend dabei zu sein. (Beifall bei der LINKEN)