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Friedrich Straetmanns: Gerechtigkeit im Strafprozess ohne Axt ans Grundgesetz

Rede von Friedrich Straetmanns,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorliegend beraten wir über einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, der mit den blumigen Worten „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ daherkommt. Tatsächlich handelt es sich aber um einen schwerwiegenden Angriff auf die grundgesetzliche Ordnung, namentlich auf das Doppelbestrafungsverbot des Artikels 103 Absatz 3 Grundgesetz.

Mit dem Grundgesetz wurde im Spannungsfeld zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit die Rechtssicherheit eindeutig höher gewichtet. Auch wenn manche Fälle, die mit Freispruch enden, unsäglich wirken – für einen Freispruch unter Vorbehalt lässt das Grundgesetz keinen Raum. Wo wir schon bei unsäglichen Fällen sind: Es wird solche bedauerlicherweise weiter geben.

Ein Beispiel hierfür ist der Fall Oury Jalloh. Dieser war im Januar 2005 im Polizeigewahrsam verbrannt. Die zuständigen Polizeibeamten wiesen jegliche Verantwortung von sich. Seither wird in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, wie in aller Welt der gefesselte Mann bitte seine Matratze anzünden konnte, so wie von den Polizeibeamten geäußert. „Oury Jalloh – das war Mord“, diese Parole findet man immer wieder, beispielsweise an Hauswänden. Der Bundesgerichtshof hat den Fall nunmehr entschieden und bestätigte eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Den Verdacht, dass Polizeibeamte Oury Jalloh misshandelten und dann in Verdeckungsabsicht einen Suizid inszenierten, wird das Land Sachsen-Anhalt nie mehr ausräumen können, da die Ermittlungen eine Tendenz zur Nichtverfolgung polizeilicher Straftaten aufwiesen.

Es gäbe unzählige Möglichkeiten, materielle Gerechtigkeit herzustellen, ohne die Axt an das Grundgesetz anzulegen, diese werden allerdings von dieser Koalition schlichtweg ignoriert. So könnten Sie beispielsweise die Justiz endlich ertüchtigen, wie Sie es zu Beginn dieser Legislatur vollmundig angekündigt haben. Im Rahmen dieser Ertüchtigung könnten zusammen mit den Ländern Institutionen eingerichtet werden, die vernünftige Ermittlungen bei möglichen Straftaten seitens Polizeibeamter ermöglichen. Ein solches Vorgehen ist dringend nötig.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn es vergeht gefühlt keine Woche, in der nicht rechtsradikale Chatgruppen in Polizeieinheiten, sogenannte Munitionsverluste oder ein Todesfall unter widersprüchlichen Umständen in Polizeigewahrsam auftreten.

Was Sie auch zusammen mit den Ländern tun könnten, ist, Opfer von schweren Gewalttaten neben dem Strafrecht nicht mit den Folgen alleinzulassen und den institutionellen Opferschutz zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

So könnten Sie zum Beispiel Ausländern, die in Deutschland Opfer rassistischer oder vorurteilsmotivierter Gewalt werden, ein unbedingtes Bleiberecht in der Bundesrepublik gewähren, wie es meine Fraktion fordert.

Die Liste wäre noch lang; aber ich komme zum Schluss. Was Sie hier vorhaben, ist so falsch, dass Sie in der Sache nicht einmal das Bundesministerium der Justiz hinter sich haben. Lassen Sie es bitte.

(Beifall bei der LINKEN)