Zum Hauptinhalt springen

Friedrich Straetmanns: Die Kandidatenaufstellung ist Sache der Parteien, nicht Seehofers

Rede von Friedrich Straetmanns,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Die Krise ist die Stunde der Exekutive.“ Hand hoch, wer diesen Satz nicht mehr hören kann! Er wurde in den vergangenen Monaten inflationär gesagt. Aber, werte Kolleginnen und Kollegen, das Mantra der Regierungsdominanz ist wichtig und notwendig. Denn es stimmt: Die Regierung reißt in dieser Krise Kompetenzen in einer Art und Weise an sich, die unserer parlamentarischen Demokratie nicht gut zu Gesicht stehen, ja ihr sogar schaden können.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich möchte damit nicht sagen, dass Rechtsverordnungen per se abzulehnen sind. Gerade in der Coronakrise haben wir es mit dynamischen Situationen zu tun, die entschlossenes Handeln erfordern. Das hier vorliegende Gesetz zur Kandidatenaufstellung für die Bundestagswahl ist aber ganz sicher kein solcher Fall. Es gibt schlicht und ergreifend keinerlei Gründe dafür, dass wir als Parlament Ihnen eine Verordnungsermächtigung erteilen, mit der Horst Seehofer die Regelungen zur Kandidatenaufstellung ins persönliche Belieben gelegt werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD Falsch!)

Denn es ist keineswegs so, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf schreiben, dass eine Rechtsverordnung erst erlassen werden kann, wenn eine entsprechende Notlage bereits eingetreten ist, in der der Bundestag nicht mehr rechtzeitig zusammentreten könnte. Wir können auch jetzt schon darüber entscheiden, welche Möglichkeiten wir den Parteien eröffnen. Ob diese dann in einer Notlage umgesetzt werden, könnte beispielsweise der Bundeswahlleiter entscheiden, wie es der Antrag der Grünen zu Recht vorsieht.

Unsere Verfassung berechtigt den Bundestag, bestimmte Bereiche per Rechtsverordnungen durch die Bundesregierung regeln zu lassen. Für eine solche Verordnungsermächtigung setzt uns aber Artikel 80 des Grundgesetzes Grenzen, und zwar müssen deren „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ klar definiert sein. Genau diesem Bestimmtheitsgrundsatz widerspricht der vorgelegte Gesetzentwurf der Regierung eindeutig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Mit einer offenen Aufzählung beschreiben Sie zwar, wie die Regelungen aussehen könnten; aber ein Konjunktiv ist keine Verbform, die eine Gesetzesgrundlage bildet. Sie müssten hier klare Rahmenbedingungen schaffen. Das versäumen Sie sträflich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch ist nicht klar geregelt, in welchen Fällen die Verordnung erlassen werden kann und in welchen nicht. Auch das hätte klar formuliert werden müssen und darf nicht im Ungefähren bleiben, besonders dann nicht, wenn Sie die Möglichkeiten der Anwendung weiter fassen, als es die Überschrift suggeriert. Während es in der Überschrift heißt, es gehe um die Bekämpfung der Folgen der Covid-19-Pandemie, ist der Wortlaut in Artikel 1 Nummer 3 plötzlich – Anführungszeichen –: „im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt“. Liebe Koalition, mit solchen Unschärfen geben Sie den Verschwörungsideologen völlig ohne Not Futter. Das ist fahrlässig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das Sinnvollste an Ihrem Gesetzentwurf ist noch, dass Sie die alte durch die neue Rechtschreibung ersetzen. Dass das Innenministerium Gestaltungshoheit in parteiinternen Verfahren erhalten soll, ist ein grober Fehler und nicht hinnehmbar. Ganz besonders bei Ihrer unsauberen Arbeitsweise und dem Hang, mit heißer Nadel zu stricken, ist es absolut geboten, dass wir die parlamentarischen Abläufe mit erster Lesung, Behandlung im Ausschuss, Anhörung und abschließender Beratung einhalten, noch dazu, wenn so empfindliche Bereiche unserer demokratischen Willensbildung betroffen sind.

Die Grünen – ich komme zum Schlusssatz – haben das in ihrem Änderungsantrag wesentlich besser berücksichtigt, weshalb wir diesem zustimmen und den Gesetzentwurf der Regierung ablehnen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)