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Frauenrechte erweitern – Pille danach von Rezeptpflicht befreien!

Rede von Birgit Wöllert,

Frauenrechte erweitern – Pille danach von Rezeptpflicht befreien!

Birgit Wöllert (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Mit unserem Antrag, den Bundesratsbeschluss zur rezeptfreien Pille danach schnell umzusetzen, folgt meine Fraktion, Die Linke, der Mehrheit der SPD-geführten Bundesländer und dem Land Baden-Württemberg im Bundesrat. Auch der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht im Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte gab im Januar bereits zum zweiten Mal die Empfehlung, Levonorgestrel in Zubereitung zur Notfallkontrazeption aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Weltgesundheitsorganisation und Europarat treten ebenfalls für die Freigabe ein. Die Empfehlungen der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten sind eindeutig. Auch die praktischen Erfahrungen in den meisten europäischen Ländern sprechen für die Entlassung aus der Verschreibungspflicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Studien und Untersuchungen nach jahrzehntelanger Erfahrung ergaben:

Erstens. Levonorgestrel ist für die Anwendung zur Nachverhütung medizinisch unbedenklich.

Zweitens. Es wirkt umso sicher, je früher es nach ungeschütztem Sexualkontakt eingenommen wird.

Drittens. Die Informationen zur Anwendung der Pille danach können auch von sehr jungen Frauen gut verstanden werden, und die Einnahme erfolgt auch ohne ärztliche Intervention korrekt.

Viertens. Die rezeptfreie Pille danach hat in den einzelnen Ländern nicht, wie von einigen Kollegen, vor allem aus der CDU/CSU-Fraktion, befürchtet, zu einem veränderten Verhütungsverhalten oder einem riskanteren Sexualverhalten geführt.

(Tino Sorge (CDU/CSU): Da sagen die Ärzte aber was anderes!)

Im Bundesrat gab es 2013 eindeutige Voten und Aufträge für die Entlassung aus der Verschreibungspflicht, so zuletzt am 8. November 2013.

Nun ist die Frage: Was hält einen Gesundheitsminister davon ab, einer solchen Aufforderung des Bundesrates zu folgen? Nun ist der Herr Bundesminister heute leider nicht da, aber, ich denke, die Frau Parlamentarische Staatssekretärin wird ihm das gern übermitteln. Dankenswerterweise hat er uns seine Beweggründe, warum er zu dieser Auffassung kommt, über Interviews mit der Presse bereits mitgeteilt. ‑ Schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Der Herr Bundesminister erklärt, er sorge sich um die Gesundheit der Frauen. Er sagt:

Wir brauchen einen zügigen, diskriminierungsfreien Zugang zur „Pille danach“, und wir brauchen eine gute Beratung.

Das war ein Zitat von ihm aus der Welt am Sonntag.

Bis dahin, denke ich, ist das alles in Ordnung. Herr Minister, da sind wir völlig einer Meinung; das können Sie ihm ausrichten, Frau Parlamentarische Staatssekretärin. Es gibt gar keinen Dissens.

Nun geht das Zitat aber mit einer Schlussfolgerung weiter. Er sagt:

Das

‑ gemeint ist die Beratung ‑

ist am besten gewährleistet, wenn es bei der Verschreibungspflicht bleibt.

Für mich ist die Frage: Möchte Minister Gröhe damit sagen, eine Apothekerin oder ein Apotheker kann diese Beratung nicht durchführen? Damit sind wir nun überhaupt nicht einverstanden. Die Pille danach soll es ja nicht am Kiosk oder im Supermarkt geben. Sie bleibt apothekenpflichtig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

„Zügig und diskriminierungsfrei“, wie von Herrn Minister selbst formuliert, heißt doch nichts anderes als: so schnell verfügbar wie möglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Aussage, dass in Deutschland eine zügige ärztliche Beratung meist innerhalb weniger Stunden ermöglicht werden könne, geht in vielen Regionen unseres Landes schon längst an der Realität vorbei. Ich lebe in der Niederlausitz, einer überwiegend ländlichen Gegend mit schon häufig unterdurchschnittlicher fachärztlicher Versorgung. Die Wege bis zu einer Gynäkologin oder einem Gynäkologen sind oft ziemlich lang. Ab freitagnachmittags sind nur noch die Rettungsstellen der Krankenhäuser erreichbar, und nicht in jedem Ort, in dem es eine Rettungsstelle im Krankenhaus gibt, ist dann auch eine Apotheke geöffnet.

(Kathrin Vogler (DIE LINKE): Genau so ist es!)

Da kommen ganz schnell schon mal 30 Kilometer Entfernung von der Stelle, wo man sich beim Arzt beraten lassen soll, bis zur nächsten Apotheke zusammen, und dann muss man auch noch zum Wohnort. Da frage ich: Ist das schnell und zügig?

Was also tun im Notfall? Hat frau nicht selbst Führerschein und Auto, muss sie jemanden fragen. Dann muss sie zu einer Ärztin oder einem Arzt, wo sie alles noch einmal erklären muss. Dann kommt die Apotheke. Alles zusammen sind das ziemlich viele Hürden.

Dabei rede ich noch nicht von den finanziellen Aufwendungen, die notwendig sind, um an das Notfallpräparat zu kommen. Sexuelle Selbstbestimmung und Frauengesundheit zusammenzubringen, darum geht es uns allen. Was aber soll der Hinweis von Herrn Minister Gröhe, in einzelnen Fällen könne es auch schwere Nebenwirkungen geben? Hier wird unzulässig übertrieben und Angst geschürt.

(Beifall bei der LINKEN)

Levonorgestrel ist als Wirkstoff seit über 40 Jahren auf dem internationalen Markt, ohne dass schwerwiegende Probleme bekannt geworden wären.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, 1994 erklärten in Kairo auf der internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung 179 Staaten die Familienplanung zum Menschenrecht. Damit wurde ein Richtungswechsel eingeleitet: von einem überwiegend bevölkerungspolitischen Ansatz zu einem Ansatz, der sich am einzelnen Menschen und an den allgemeinen Menschenrechten orientiert. Das schließt das Recht auf Entscheidung hinsichtlich der eigenen Fortpflanzung ebenso ein wie das Recht von Frauen, über ihre Sexualität selbstbestimmt und verantwortungsbewusst zu entscheiden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen die Augen jedoch nicht davor verschließen, dass sich nicht wenige Frauen Verhütungsmittel nicht mehr leisten können oder in Abwägung mit anderen Notwendigkeiten ihre Prioritäten anders setzen müssen. Die ökonomische Realität vieler Frauen, vor allem alleinerziehender junger Frauen, zeigt, dass sie überdurchschnittlich oft an der Armutsgrenze leben. Gerade deshalb muss mit der Entlassung aus der Verschreibungspflicht eine Regelung zur Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung einhergehen, damit es wenigstens keine Verschlechterung für Frauen bis zu 20 Jahren gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, werte Kolleginnen und Kollegen, wie es immer so schön heißt: Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Da bei der Pille danach das größte Risiko für die Frauen der Faktor Zeit ist, sollten wir dem kleinen Wörtchen „oder“ mehr Bedeutung beimessen und eine Rezeptfreiheit der Pille danach zügig auf den Weg bringen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Seit gestern gibt es dazu eine Unterschriftensammlung im Internet. Innerhalb von 36 Stunden kamen dabei schon 20 000 Unterschriften zusammen. Auch deshalb stimmt meine Fraktion der Überweisung der Vorlagen in den Gesundheitsausschuss zu. Ich denke, eine breite Diskussion kann uns helfen, das berechtigte Anliegen doch noch mit einer Mehrheit auf den Weg zu bringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)