Zum Hauptinhalt springen

Frank Tempel: Die Antwort heißt: Stärkung der Gefahrenabwehr und der Prävention!

Rede von Frank Tempel,

Danke schön. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Harbarth, es ist etwas peinlich, wenn man in den Kalender schaut und weiß, dass zum Zeitpunkt der Tat die rechtliche Zuständigkeit sowohl im Innen- als auch im Justizbereich in Berlin bei der CDU lag.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Regierungsverantwortung hatte gerade erst gewechselt. Das sollte zumindest hier im Bundestag bekannt sein.

Ein Terroranschlag mit Toten und Verletzten löst Angst aus. Wenn der Täter vorher monatelang im Fokus staatlicher Behörden stand und der Anschlag trotzdem nicht verhindert wurde, sorgt das zusätzlich für Besorgnis und Misstrauen. Das wird durch Streit nicht gerade beseitigt. War dieser Anschlag nicht doch zu verhindern? Kann das Risiko eines erneuten Anschlags für die Zukunft zumindest verringert werden? Mit diesen Fragen sollten wir uns auseinandersetzen, statt Schuldzuweisungen zu betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Die erste Frage ist ein Blick zurück, der uns bei der Beantwortung der zweiten Frage helfen sollte.

Bei beiden Fragen werden wir mit dem Phänomen des Gefährders konfrontiert, also einer Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird. Darum geht es. Es geht noch nicht um Strafmaßnahmen, sondern um die Abwehr einer konkreten Gefahr. Wir müssen also wissen: In welchen Bereichen – Islamismus, Rechtsextremismus – haben wir wie viele Gefährder? Wer ist für diese Gefährder eigentlich zuständig: Verfassungsschutz oder Polizei? Wann und wie wird ein Mensch zum Gefährder? Was ist da passiert, und kann man dagegen etwas tun? Welche gesetzlichen Grundlagen greifen hier eigentlich? – Diese Fragen müssen wir uns stellen.

Liebe Kollegen von der Union, mit Blick auf die Debatte fällt mir auf, dass Sie sich diese Fragen gar nicht stellen. Aber Sie geben Antworten, und viele beschäftigen sich – das haben wir eben auch bei Herrn Harbarth gehört – intensiv mit den Fragen der Asylpolitik. Asylpolitik und Sicherheitspolitik müssen aber getrennt voneinander diskutiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum? Gefährder, meine Damen und Herren, gibt es nicht nur im Islamismus. Der Bundestag beschäftigt sich noch heute mit dem rechtsextremen NSU-Terrortrio. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss ist kein Rohrkrepierer. Sie können darauf nicht mit Abschiebehaft reagieren. Die meisten Rechtsterroristen können Sie nicht abschieben; sie sind Deutsche. Diese verlieren Sie in der jetzigen Debatte wieder einmal aus dem Blick. Es kann sein, dass irgendwann wieder ein NSU existiert und dass es wieder Tote gibt.

Aber wir können bei der heutigen Debatte erst einmal bei Gefährdern mit islamistischem Hintergrund bleiben. Auch dabei handelt es sich nicht nur um Flüchtlinge. Viele von ihnen sind in Deutschland aufgewachsen und haben einen deutschen Pass. Der Ansatz, beim Phänomen der Gefährder über Abschiebung und Abschiebehaft zu reden, ist gefährlicher Unsinn; denn Sie beschäftigen sich tatsächlich nur mit einem Teil der Gefährder.

Wir müssen beim Thema „Sicherheit“, beim Thema „Gefährder“ über eine Gefahrenabwehr reden, die alle Gefährder unabhängig von ihrer Herkunft betrifft. Für die Gefahrenabwehr, meine Damen und Herren, ist laut Gesetz die Polizei zuständig. Diese Aufgabenzuweisung finden wir in jedem Polizeiaufgabengesetz. Da ist sogar klar geregelt, dass Gefahrenabwehr vor Strafverfolgung geht. Die Priorität der Geheimdienste dagegen ist die Informationsbeschaffung und nicht die Gefahrenabwehr. Um Quellen zu schützen, werden allzu oft wichtige Informationen nicht an Polizei und Justiz weitergegeben; auch das wissen wir durch Untersuchungsausschüsse. In der Doppelzuständigkeit bei der Terrorbekämpfung zwischen Polizei und Geheimdiensten entstehen immer wieder Informations- und Zeitverluste sowie Blockaden. Auch das, Herr Harbarth, wissen wir durch Untersuchungsausschüsse. Das ist eine strukturelle Fehlerquelle. Die Zuständigkeit für Gefährder, für die Terrorabwehr gehört in eine Hand, in die der Polizei – und das in einem föderalen Verbund.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Können wir ändern!)

Das ist übrigens ein konkreter Vorschlag, Herr Minister, von den Linken.

Die Problemlagen in München und Dresden können nun einmal völlig unterschiedlich sein. Die Länder können sich darauf mit entsprechenden Schwerpunktlagen einstellen und können so darauf reagieren. Dem Bund kommt hier lediglich eine Koordinierungs- und Kommunikationsfunktion zu. Das muss natürlich gut geregelt sein, also besser als bisher. Ich halte es für ein Sicherheitsrisiko, Herr Minister, flexibles Agieren der Exekutive durch die Aufgabe föderaler Strukturen einzuschränken.

Auf eine weitere Frage sollten wir achten: Was ist passiert, wenn ein Mensch zum Gefährder wurde? Wir wissen mittlerweile, dass sich viele dieser Menschen erst bei uns radikalisiert haben. Warum? Auch Amri hat sich erst in Europa radikalisiert, in einem italienischen Gefängnis. Das gehört zur ehrlichen Analyse dazu, wenn man Probleme lösen will.

(Burkhard Lischka [SPD]: Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob das stimmt!)

Zivilgesellschaftliche Organisationen, die genau da ansetzen, also bei der Familie, beim sozialen Umfeld und auch im Gefängnis, haben bei uns minimale Ressourcen. Wenn ein solcher Verein – zumindest gibt es solche Organisationen bei uns – mit nur zweieinhalb Personalstellen 235 Betreuungsfälle hat, aber mit Bürokratie überhäuft wird, sind die Prioritäten in Deutschland falsch gesetzt. Die SPD hat das in ihrem Papier zumindest angesprochen; das haben wir registriert. Darüber würden wir gerne mit Ihnen debattieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Stattdessen diskutieren Sie lieber über Fußfesseln, flächendeckende Videoüberwachung mit Gesichtserkennung und die Überwachung 14-Jähriger durch den Geheimdienst; auch solche Vorschläge gibt es aus der Union. Wenn einer wie Amri untertauchen will, dann macht er die Fußfessel einfach ab. Er ist dann weg, und wir haben dann maximal einen Haftbefehl mehr – mehr aber auch nicht. Das alles sind also Maßnahmen, die völlig überschätzt werden, wenn es um mehr Sicherheit geht, und in der Diskussion keinen Platz haben. Herr Minister, die Linke ist zu einer Debatte über eine bessere Gefahrenabwehr bereit, aber nicht zu einer Debatte über alte, unnütze Hüte.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)