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Frank Tempel: Cannabisregulierung statt Schwarzmarkt

Rede von Frank Tempel,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Ende dieser Legislatur möchte auch ich beim Thema Drogenpolitik etwas grundsätzlicher werden.

(Zuruf von der SPD: Ihre letzte Rede?)

Sie wissen, dass mein Blickwinkel durch die Arbeit als Kriminalbeamter in der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität geprägt wurde. Doch auch viele Suchtmediziner, Streetworker und betroffene Konsumenten haben mich mit ihren Argumenten bestärkt. Aber in den politischen Debatten zur Drogenpolitik sind auch heute noch viele Reden von Vorurteilen und falschen Begrifflichkeiten geprägt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir reden zum Beispiel ausdrücklich nicht davon, Drogen, auch nicht Cannabis, freizugeben. Die Linke redet von einer durchdachten Regulierung auf legaler Basis. Das gilt auch für die Grünen mit ihrem hier vorgelegten Gesetzentwurf.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist etwas ganz anderes als eine Freigabe, meine Damen und Herren; denn das beinhaltet Regeln, die es auf dem Schwarzmarkt nicht gibt.

Regulierung heißt, man kann Festlegungen treffen: zum Wirkstoffgehalt, zur Zusammensetzung der Inhaltsstoffe, zum Jugendschutz, zu den erlaubten Mengen usw. Aus den Reihen der Union wird ja häufig beklagt, Cannabis habe heute einen höheren Wirkstoffgehalt und sei deswegen gefährlicher.

Oh, das ist meine erste Zwischenfrage nach siebeneinhalb Jahren. Daher gestatte ich sie natürlich.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Irgendwann ist immer das erste Mal! Man kann dadurch auch zu Erkenntnissen kommen! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber zehn Minuten Redezeit waren ganz schön viel! Das hätte eigentlich reichen sollen!)

Geschätzter Kollege, Sie sagen ja immer, es gehe Ihnen nicht um eine pauschale Legalisierung, sondern um eine Regulierung. Aber das passt nicht zu dem Gesetzentwurf, den Sie eingebracht haben. Da haben Sie nämlich für Ihre Partei formuliert:

"Wir treten ... für eine rationale und humane Drogenpolitik ein, was eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums und langfristig eine Legalisierung aller Drogen beinhaltet."

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Da steht doch nichts von Freigabe!)

Dazu würde ich natürlich gerne eine Aussage von Ihnen hören; denn das ist nicht das, was Sie gerade gesagt haben.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Genau! – Dagmar Ziegler [SPD]: Doch! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Sie verstehen es einfach nicht!)

Doch, das ist es. Da steht ja nicht „Freigabe“, sondern „Legalisierung“. Legalisierung kann sehr viel Verschiedenes sein.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das heißt, es gibt dann nur den guten Stoff für alle?)

Ich kann Ihnen da das Buch von Professor Heino Stöver von der Universität Frankfurt empfehlen, der eine ganze Menge entsprechender Möglichkeiten vorgestellt hat. Wir haben hier im Plenum übrigens mehrfach, auch in Anträgen, unsere Vorstellungen klar regulierter Varianten vorgestellt. In der letzten Legislatur haben wir einen Vorschlag zum Cannabiskontrollgesetz gemacht. In dieser Legislatur ging es uns darum, den Besitz und Erwerb geringer Mengen dieser Substanzen zu entkriminalisieren

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja, und dann wollen Sie es freigeben!)

und Modellprojekte in den Bundesländern, wie zum Beispiel von Bremen beabsichtigt, zu genehmigen. Das ist also ein sehr vorsichtiger, sehr langsamer Einstieg,

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Mit einer bedingungslosen Freigabe in der Perspektive!)

der uns ermöglicht, zu evaluieren, wie sich eine solche legale Variante auswirkt. Das alles ist sehr viel kleinteiliger.

Was Sie eben nicht zitiert haben, ist, dass wir immer auch von Langfristigkeit sprechen.

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Der Wolf im Schafspelz!)

Das heißt, dass hier vom Gesetzgeber ein sehr vorsichtiger, intelligenter Weg zu wählen ist, immer begleitet durch eine Evaluierung.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Nachhaltiger Drogenkonsum!)

Auch eine solche Evaluierung haben wir in dieser Legislatur gemeinsam mit den Grünen vorgeschlagen, indem wir gesagt haben: Lassen Sie uns gemeinsam und ergebnisoffen das Drogenstrafrecht evaluieren. – Sie sagen, es hilft. Wir sagen, es hilft nicht. Auch diesen Vorschlag haben wir gemacht. Das ist etwas ganz anderes als eine pauschale Freigabe.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie befürchten, wie gesagt, dass Cannabis heute viel gefährlicher ist, weil der Wirkstoffgehalt höher ist. Auf dem Schwarzmarkt gibt es keine Regularien im Hinblick auf den Wirkstoff. Illegalisierte Drogen werden so noch gefährlicher, als sie aufgrund ihrer Grundsubstanz per se schon sind. Aus den Reihen der Union wird auch gerne behauptet, dass Cannabiskonsumenten den Drang haben, immer stärkeren Stoff zu nehmen. Das ist ganz einfach nicht wahr. Wenn Sie Ihren Alkoholkonsum mit einem Glas Wein oder Bier begonnen haben, landen Sie auch nicht zwangsläufig beim hochprozentigen Schnaps, zumindest die meisten nicht. Wenn Cannabiskonsumenten die Möglichkeit bekommen, geringer dosiertes Cannabis zu wählen, werden nicht alle, aber doch viele genau dies tun. Darum sollte es uns gehen: Wir wollen die Gefahren und Schäden durch Drogenkonsum in unserem Land zumindest verringern. Das ist doch das Ziel einer vernünftigen Gesundheitspolitik.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei den Schäden, die durch den Drogenkonsum entstehen, denkt natürlich jeder an die Zahl der Drogentoten. Gut, reine Cannabiskonsumenten gehören nicht dazu, aber zunehmend Konsumenten sogenannter Legal Highs. Sie wissen, dass zwei Drittel dieser Produkte, also synthetische Kräutermischungen usw., auf synthetischen Cannabinoiden beruhen. Viele Konsumenten wollen ganz einfach das Cannabisverbot umgehen. Da, wo der Verfolgungsdruck für die Konsumenten am größten ist, nämlich in Bayern, ist auch das Problem mit synthetischen Cannabinoiden am stärksten, übrigens inklusive der Todeszahlen.

Sie wissen auch, dass Legal Highs in Holland, wo der Besitz von natürlichem Cannabis geduldet wird, kaum verbreitet sind. Wenn Sie heute dem Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes der Grünen zustimmen würden, könnten Sie den Bedarf an synthetischen Cannabinoiden deutlich senken und damit auch die Zahl der Drogentoten in Deutschland reduzieren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Union beklagt gern – das haben wir gerade gehört; Sie haben das angesprochen – die schlimmen Zustände durch illegale Dealer in bekannten Szenen wie im Görlitzer Park. Ja, Drogendealer haben gegenwärtig das Monopol auf diese sehr riskanten Substanzen und profitieren von dem Verbot. Deswegen sollen legale Varianten angeboten werden, um den Dealern diesen Markt zu nehmen. Als jemand, der mehrere Drogendealer als Beschuldigte in Strafverfahren vernommen hat, kann ich Ihnen sagen: Drogen sind per se einfach zu gefährlich, als dass man sie diesen Dealern, denen die Gesundheit und das Alter ihrer Kunden egal ist, durch Illegalisierung überlassen darf.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will nur kurz ein Beispiel außerhalb des Themas Cannabis anreißen, das das Problem noch einmal verdeutlicht: Aus dem einst legalen Pervitin wurde nach dem Verbot die heutige Droge Crystal Meth, die sehr viel stärker, sehr viel brutaler, unberechenbarer und tödlicher ist. Das passiert mit Drogen, wenn sie nicht mehr staatlich reguliert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Drogen sind einfach zu gefährlich, um sie einem Schwarzmarkt zu überlassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viele Fachleute und Organisationen haben das schon lange erkannt und warnen uns hier vor der Anwendung des Strafrechts. Wir haben das Thema gerade durch Ihre Frage aufgegriffen. Sie hatten in dieser Legislaturperiode die Chance, den Sinn und die Wirksamkeit des Drogenstrafrechts zu überprüfen. Sie haben das abgelehnt. Sie haben davor gekniffen und wollten die Ergebnisse nicht hören.

Wir haben vorgeschlagen, das auf den Prüfstand zu stellen. Sie wollen weiter eine Drogenpolitik, die auf Law and Order setzt, statt sich auf einen akzeptierenden Ansatz einzulassen, auf eine Orientierung auf Schadensminimierung, wie das zum Beispiel auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, die Deutsche AIDS-Hilfe usw. empfehlen.

Deswegen bitte ich Sie: Bewegen Sie sich anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse und nicht anhand von Vorurteilen und alten Begrifflichkeiten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Begraben Sie Ihre Vorurteile, wie Sie es bei der medizinischen Verwendung von Cannabis ja auch getan haben. Hier hat sich in dieser Legislatur gezeigt, dass man durch einen entsprechenden Dialog mit Ihnen und mit den Kollegen von der SPD – mit denen sogar ein bisschen mehr – zusammenarbeiten und zu Ergebnissen kommen kann.

Sie haben das Thema aufgegriffen. Ich möchte die Bitte ganz zum Schluss wiederholen, weil es bei dem hier gemeinsam beschlossenen Gesetz zur Verwendung von Cannabis als Medizin in der Praxis leider an allen Ecken und Enden hakt: Hören Sie den Patienten zu! – Das Leid dieser Patienten ist sehr groß. Das greifen wir auch auf, und ich möchte abschließend noch einmal positiv erwähnen, dass das unser gemeinsames Anliegen war. In der Praxis funktioniert das momentan aber nicht. Hier könnten wir zeigen, dass alle vier Fraktionen auch durchaus gemeinsam zu guten Ergebnissen kommen können.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)