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Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses

Rede von Petra Sitte,

Sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich mit einer Merkwürdigkeit des deutschen Wissenschaftssystems beginnen. Diese dürfte auch Demografen irritieren. Es ist nämlich gar nicht so selten, dass man in Deutschland bis zum zarten Alter von gut vierzig Jahren noch zu wissenschaftlichem Nachwuchs zählt. Und das kommt so: Während in anderen Ländern die Qualifizierung formal mit Promotion und Lehrberechtigung abschließt, kann man in Deutschland sogar noch mit der Habilitierung zum wissenschaftlichen Nachwuchs gehören.

Bis dahin sitzt man auf so genannten Qualifizierungsstellen. Diese sind fast immer befristet. So lange diese NachwuchswissenschaftlerInnen nicht den Sprung auf einen Lehrstuhl geschafft haben, hangeln sie sich also durch eine akademische Laufbahn, ohne klare Aussichten, ob sie dort auch jemals richtig ankommen. Zwischenzeitlich erfüllen sie voll und ganz Aufgaben in Forschung und Lehre. Zudem betreuen und beraten sie Studierende, korrigieren Klausuren, bereiten aufwändige Anträge innerhalb diverser Förderprogramme von Bund, Ländern und EU namens ihrer ProfessorInnen vor, schreiben an Veröffentlichungen mit und anderes mehr. Sie zählen als Nachwuchs, erfüllen mit diesem Beschäftigungsprofil faktisch aber reguläre Aufgaben in Forschung und Lehre.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass man im Grunde nur über wissenschaftlichen Nachwuchs reden kann, wenn zugleich die Zukunft des Konzepts „akademischer Mittelbau“ thematisiert wird. Und damit sind wir mitten in einer Debatte von Beschäftigungsbedingungen, Personalstrukturen und Tarifregelungen des Wissenschaftssystems. Denn es gibt im deutschen System nicht nur Merkwürdigkeiten, sondern auch Anachronismen. Die gesamte akademische Laufbahn richtet sich auf die Berufung zum Professor. Da jedoch die Zahl der Professuren um ein mehrfaches unter der Zahl der BewerberInnen liegt, müssen zwangsläufig viele aus der Kurve fliegen.

Unterhalb von Professuren ist das deutsche Hochschulsystem für Beschäftigte aber ausgesprochen unattraktiv. Nur ein Fünftel der Stellen sind dauerhafte Hochschullehrerstellen. In anderen Staaten ist dieser Anteil deutlich höher. Die restlichen vier Fünftel sind in Deutschland großen Teils schlecht bezahlte Stellen oder von Professuren abhängende Zeitverträge - fast die Hälfte davon in Teilzeit, da die Mittel nicht zu mehr reichen. Auf halben Stellen ganz zu arbeiten wird unterschwellig erwartet und getan. Eine Stelle teilen sich oftmals zwei Nachwuchskräfte. Damit klar wird, welche Einkommenshöhe erreicht wird, sei ein Beispiel angeführt: Diese halben Stellen bringen dem oder der Inhaber(in) dann nach Bundesangestelltentarif etwa 1.000 Euro netto monatlich. Promotion oder Habilitation werden häufig nebenbei geschrieben. Folge - wissenschaftliche Laufbahnen sind nicht planbar.

Es kann passieren, dass man nach Jahren auf diesen Stellen mit oder ohne Qualifizierung ausscheidet und armutsbedroht ist. Dann ist man nicht mehr wissenschaftlicher, sondern Hartz-IV-Nachwuchs. Zudem kann die unmittelbar persönliche Abhängigkeit von Professoren die Selbstständigkeit in Lehr-, Forschungs- und Mitbestimmungsrechten an der Hochschule erheblich einschränken... Nicht unbedingt die hohe Schule für innovatives, unabhängiges Denken.

Daher fordert DIE LINKE:

Erstens das System so zu gestalten, dass Wissenschaft nicht nur als Berufung im Sinne von Hingabe, sondern auch in sozialer Verantwortung als Beruf verstanden wird. Entsprechend müssen Bund und Länder endlich für wissenschaftspezifische Regelungen in den Tarifverträgen sorgen, die ein flexibles Arbeiten mit auf Dauer angelegten Entwicklungsmöglichkeiten der Beschäftigten zum Ziel haben. Das ist eine Grundvoraussetzung, um endlich auch deutlich mehr Frauen Chancen auf Qualifikation und Berufung zu schaffen. Zur dieser Problematik - mehr Frauen in die Wissenschaft und Gender in der Forschung - liegen aktuell von allen Fraktionen umfangreiche Anträge vor.

Zweitens müssen die Stellen für wissenschaftlichen Nachwuchs Qualifizierung in Forschung und Lehre gleichermaßen ermöglichen. Die Einheit von Forschung und Lehre muss auch personalisiert umgesetzt werden.

Drittens müssen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz die Endlosschleifen der Befristung von Verträgen und die so genannte Tarifsperre gelöscht werden. Bevor der Weg für nach oben offene Spitzengehälter für Wenige bereitet wird, muss die Bundesregierung dem Nachwuchs entsprechend der EU-Forschercharta optimale Bedingungen bieten.

Viertens bedarf es einer verlässlichen Sockelfinanzierung von Wissenschaftseinrichtungen. Der normale Wissenschaftsbetrieb darf nicht auf Auftragsforschung angewiesen sein. Diese Einnahmen machen ja auch nur befristete Beschäftigung und keine verlässlichen Bedingungen in Arbeitszeit und Bezahlung möglich. Schon heute wird ein Fünftel der wissenschaftlichen Mitarbeiter von Hochschulen aus dieser Auftragsforschung bezahlt. Mit dieser Entwicklung verlieren die Hochschulen Schritt für Schritt die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre. Immer mehr erfolgen Forschungs- und Lehrprofilierung nach nicht wissenschaftsgeleiteten Kriterien. Vor diesem Hintergrund sollte die Exzellenzinitiative auslaufen und beabsichtigte Finanzierungen in einen Hochschulpakt II überführt werden, um mehr Mittel für grundständige Forschung und Lehre freizumachen. Spezielle Nachwuchsprogramme außerhalb klassischer Hochschulstrukturen, wie Emmy-Noether-Programm und Heisenberg-Professur, sollten deutlich aufgestockt werden.

Fünftens sollte der Wissenschaftsrat mit einer Studie zur Reform der Nachwuchsförderung beauftragt werden. Diese müsste insbesondere konkrete und verlässliche Vorschläge zu Laufbahnplanungen und -beratungen, zu Mentoring- und Personalentwicklungsprogrammen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen enthalten.

Mein Fazit: Die Bundesregierung sollte die Förderung des Nachwuchses in der Breite mindestens genauso wichtig nehmen, wie ihre exorbitant teuren Exzellenz- und High-Tech-Initiativen.