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Finanzierung von Frauenhäusern bundeseinheitlich sicherstellen und losgeslöst vom SGB II regeln

Rede von Kirsten Tackmann,

Rede zum Antrag der LINKEN "Finanzierung von Frauenhäusern bundeseinheitlich sicherstellen und losgeslöst vom SGB II regeln", DS 16/6928; die Rede wurde zu Protokoll gegeben

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste,

Gewalt gegen Frauen ist kein gesellschaftliches Randproblem, sondern findet inmitten der Gesellschaft statt.
Dabei geht es nicht nur um körperliche Misshandlungen, Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt. Teil des Alltags von Frauen und Mädchen sind Belästigung, Missachtung, Beleidigung, Nachstellungen usw.
Mit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 wurden unbestritten Fortschritte erzielt.
Es versagt aber, wenn nicht für JEDE von Gewalt betroffene Frau zur Not die Tür eines Frauenhauses offen steht.
Und zwar unabhängig von ihrer sozialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus.
Die Erfüllung dieses Anspruchs ist jedoch durch das SGB II in weite Ferne gerückt.
Der Zugang ist nur dort abgesichert, wo die Kosten für den Aufenthalt in eine pauschale Förderung der Frauenhäuser einbezogen sind.
Wo das nicht der Fall ist, türmen sich unterdessen die Probleme.
Ganzen Gruppen betroffener Frauen wird der Zugang erschwert.
Dazu gehören alle Frauen, die keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, aber die Kosten des Frauenhausaufenthalts auch nicht selbst übernehmen können.
• Also Frauen ohne oder mit zu geringem Einkommen
• Auszubildende
• Studentinnen
• Asylbewerberinnen

Wer also nicht selbst zahlen kann, muss in der unmittelbaren Fluchtsituation erst mal ins Grundsicherungsamt und einen ALG II-Antrag stellen! Das bedeutet zusätzlichen psychischen Druck und erhöht die Zugangshürden. Das Aufnahmeverfahren wird zudem weiter bürokratisiert. Die für flüchtende Frauen so wichtige Anonymität kann kaum bewahrt werden.
Außerdem wird vielfach über eine schleichende Mittelkürzung und eine wachsende Einmischung in die inhaltliche Arbeit der Frauenhäuser berichtet.
Als Teil des Sozialsektors werden die Frauenhäuser schrittweise nach den Glaubenssätzen neoliberaler Wirtschaftspolitik umgestaltet.
Das heißt:
- von einem bedarfsorientierten Zuschuss wird umgestellt auf die Bezahlung erbrachter Leistungen. Allerdings nach künstlich reduzierter Nachfrage!
- die Ermittlung des realen Bedarfs an Frauenhausplätzen wird ersetzt durch die Ermittlung von „Kundinnen“ mit abrechenbarem Leistungsanspruch
- Qualitätsmanagements mit standardisierten Vorgaben werden eingeführt, die allerdings mehr auf Kostenreduzierung als an konkreten Notwendigkeiten orientiert sind
- die Frauenhäuser werden in einen Wettbewerb um immer weniger Zuwendungsgelder gedrängt, den immer mehr verlieren.
Das Ergebnis der Entwicklung in Thüringen: 10 von 25 Frauenhäusern wurden in den vergangenen 3, 4 Jahren geschlossen. Glaubt jemand wirklich, dass der Zufluchtsbedarf in diesem Maß zurückgegangen wäre?
Aber neben diesen finanziellen Schwierigkeiten gibt es eine Reihe weiterer struktureller Probleme durch das SGB II:
- durch die oft lange Zeit zwischen Beantragung und ALG II-Bescheid besteht eine akute Gefahr der Verarmung. Von fehlerhaften Bescheiden einmal ganz abgesehen.
- Kurzaufenthalte, zum Beispiel über das Wochenende, werden nicht finanziert
- es gibt keine einmaligen Beihilfen mehr wie noch nach Bundessozialhilfegesetz
- es fehlt eine bedarfsorientierte, spezifische Förderung von Gewalt betroffener Frauen. „Fordern und Fördern“ hat gerade im Kontext Frauenhaus einen besonders faden Beigeschmack!
- es fehlen individuell ausgestaltete, auf die besondere Situation von Gewalt betroffener Frauen eingehende, Eingliederungsvereinbarungen zur Integration in den Arbeitsmarkt
- es fehlen kontinuierliche, speziell geschulte Ansprechpartner/innen bei den Grundsicherungsämtern
- es fehlen Sonderregelungen für Gewaltopfer im Unterhalts-, Umgangs- und Sorgerecht

Die erschwerten Bedingungen auf der Seite der Frauen stehen der Tatsache gegenüber, dass durch das Gewaltschutzgesetz die Arbeitsbelastung der Frauenhausmitarbeiterinnen deutlich gestiegen ist:
• es werden mehr Beratungen für Migratinnen und deren spezielle Situation notwendig
• es ist mehr Unterstützung notwendig bei Antragstellungen und Behördengängen
• es ist ein großer Fortschritt, dass die Interventionsketten unter Einbeziehung von Polizei, Gerichten, Jugendamt ausgebaut wurden. Aber auch das bedeutet Mehrarbeit für die Frauenhausmitarbeiterinnen
Die Arbeit der Mitarbeiterinnen wird also einerseits aufgestockt und andererseits weiter bürokratisiert.
Gleichzeitig wird sie inhaltlich komplexer.
Hinzu kommt eine Vielzahl von Finanzanträgen, die erarbeitet und schließlich auch wieder abgerechnet werden müssen, damit das Frauenhaus überhaupt Bestand hat. Im Durchschnitt müssen 50% des Etats über Mitteleinwerbung finanziert werden!

Letztlich geht es in unserem Antrag um die 30 Jahre alte Forderung der Frauenhausbewegung nach einer institutionellen und bundesweiten Förderung der Frauenhäuser.
Nach Auffassung der LINKEN muss bundesweit gesichert werden, dass:
• alle von Gewalt betroffenen Frauen eine Zuflucht finden, unabhängig von ihrer sozialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus
• die Zufluchtstätten verlässlich und unabhängig von Tages- und Pflegesätzen finanziert sind
• die Arbeit der Frauenhausmitarbeiterinnen tatsächlich ihren Schwerpunkt auf dem Gebiet der psycho-sozialen Betreuung der betroffenen Frauen hat.
Die Ernsthaftigkeit aller Bemühungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, um das Thema Gewalt gegen Frauen werden daran gemessen werden, ob diese drängenden Probleme gelöst werden.
Dabei ist die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen der bundesweit vernetzten Frauenhäuser unerlässlich, um eine erfolgreiche Lösung zu suchen - den politischen Willen dazu vorausgesetzt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.