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Finanz- und Haushaltspolitik des Bundes geht zu Lasten der Kommunen

Rede von Steffen Bockhahn,

Rede von Steffen Bockhahn in der Debatte Großen Anfrage mit dem Titel "Lage der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland" und anderer kommunalpolitischer Anträge der Fraktion DIE LINKE mit den Titeln "Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien" sowie "Wer bestellt, bezahlt – Konnexität zugunsten der Kommunen im Grundgesetz verankern"

Steffen Bockhahn (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist beeindruckend, wie sich in diesen Tagen viele Menschen in Süddeutschland und in Ostdeutschland gegenseitig helfen, sich füreinander aufopfern. Das ist ein großer Beweis dafür, dass es in diesem Land noch Solidarität und Miteinander gibt. Das ist in dieser schweren Stunde, denke ich, eine gute Nachricht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist ebenso eine gute Nachricht, dass die Katastrophenstäbe offensichtlich ganz hervorragend arbeiten. Man merkt das auch daran, dass wir zum Glück bisher keine Menschenleben zu beklagen haben. Ich hoffe, dass das so bleibt.

Das ist ein Beweis für die Stärke der Kommunen und ihre Leistungsfähigkeit. Denn ohne die aktive Mithilfe der Kommunen in diesen Katastrophenstäben könnte die Arbeit nicht so gut organisiert werden. Ich denke, an diesem Punkt sollte man allen Helferinnen und Helfern, egal ob sie in Amtsstuben oder direkt am Deich sind, „Danke!“ und „Weiter so!“ sagen. Wir drücken ihnen die Daumen, dass es nicht noch schlimmer kommt, als es ohnehin schon ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es erstaunlich, dass das offensichtlich nur bei der Fraktion Die Linke so gesehen wird.

Kommunen und Betroffene - da sind wir bei der Verantwortung, die wir gemeinsam tragen - dürfen jetzt nicht alleingelassen werden. Es ist, denke ich, unsere gemeinsame Entscheidung, dass wir Geld in die betroffenen Gebiete geben werden; diese Entscheidung ist auch richtig. Aber es ist die Aufgabe der Bundesregierung, jetzt ganz schnell Verbindlichkeit dahin gehend zu schaffen, wie die Antragsverfahren aussehen und welche Kriterien es gibt. Das Ganze muss vor allem eines sein, nämlich unbürokratisch. Es müssen Straßen erneuert werden, es müssen Kitas saniert werden, und es müssen Gebäude wiederhergerichtet werden. Dabei können und dürfen wir die Kommunen nicht alleine lassen. Zinsgünstige Kredite allein werden überschuldeten Kommunen kaum helfen. Wir brauchen echte Hilfe, auch vom Bund.

Meine Damen und Herren, ich denke, nur wenige von Ihnen wissen das: Am letzten Donnerstag, heute vor einer Woche, ist vor der polnischen Ostseeküste ein Schiff untergegangen, die „Georg Büchner“. Warum erzähle ich Ihnen das? Die „Georg Büchner“ ist ein Kulturdenkmal, das über Jahrzehnte in der Hansestadt Rostock, meiner Heimatstadt, gelegen hat. Zehntausende Menschen fühlen sich eng mit dem Schiff verbunden. Die „Georg Büchner“ war ein Ausbildungsschiff, auf dem sehr viele Menschen gefahren sind und gelernt haben. Dieses Schiff konnte von der Kommune nicht mehr gehalten werden. Es wären etwa 5 Millionen Euro notwendig gewesen, um dieses Kulturdenkmal zu sanieren. Das war nicht möglich. Es war der Kommune nicht möglich, und es war dem Trägerverein nicht möglich. Dem Schiff wurde der Denkmalstatus entzogen. Es sollte nach Litauen geschleppt und abgewrackt werden. Dazu ist es nicht gekommen. Die „Georg Büchner“ ist schlicht abgesoffen. Sie ist damit ein Stück weit Sinnbild für die Lage der Kommunen in Deutschland.

Die Kommunen haben 2012 ‑ ich finde, das ist eine ganz beeindruckende Zahl ‑ Gesamtsteuereinnahmen in Höhe von etwa 198 Milliarden Euro gehabt, und zwar bereinigt. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2013 hat ein Volumen von 302 Milliarden Euro; das ist etwa ein Drittel mehr. Wenn man sich vor Augen führt, dass von diesen 198 Milliarden Euro etwa ein Viertel sofort an Sozialleistungen weggegangen ist, dann ist das schon beeindruckend, weil es deutlich macht, wie eng die Lage der Kommunen ist. Wenn allein ein Viertel der Gesamteinnahmen zur Finanzierung der notwendigen Sozialleistungen gebraucht wird ‑ dann ist noch keine Angestellte finanziert, noch kein Schulbuch gekauft, noch kein Spielplatz saniert, noch keine Straßenbahn bezahlt und noch kein neuer Radweg gebaut ‑, dann zeigt das, wie eng die Budgets der Kommunen in Deutschland tatsächlich sind.

Außerdem ist dann noch kein einziger Cent für Kultur investiert worden. Es ist erschütternd, zu sehen, wie massiv in den letzten Jahren Stellen bei Theatern und Orchestern gestrichen wurden. Man muss sich einmal vergegenwärtigen, wie viele Sparten an Theatern in den letzten Jahren deutschlandweit geschlossen worden sind, wie viele Orchester zusammengelegt wurden und fusioniert sind. Alles das ist eine Folge der mangelnden kommunalen Finanzausstattung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Bach, Mozart und Bruckner ihre üppigen Konzerte geschrieben haben, haben sie nicht daran gedacht, dass es irgendwann klamme Kommunen geben würde, die sich keine Orchester mehr leisten können, um diese Konzerte auch zu spielen. Aber das kann ja nicht bedeuten, dass wir künftig auf Bach, Bruckner und Mozart verzichten. Wir brauchen auch um der Kultur willen eine angemessene kommunale Finanzausstattung.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommunen machen Fehler ‑ natürlich ‑, und sie geben auch Geld an falschen Stellen aus. Aber dabei sind sie in guter Gesellschaft: mit den Ländern, mit dem Bund und mit der EU. Natürlich muss vieles besser gemacht werden. Aber man kann den Kommunen zweifelsfrei nicht vorwerfen, dass sie sich nicht kümmern würden. Sie haben Steuern erfunden, und sie haben Steuern in teilweise absurde Höhen getrieben. Alles das hat nur bedingt geholfen.

Ich habe mir ein paar Zahlen herausgesucht. Die Stadt Oberhausen hat etwa 1,8 Milliarden Euro Schulden; der Grundsteuerhebesatz liegt bei 590 Prozent, der Gewerbesteuerhebesatz bei 520 Prozent. Nürnberg hat fast 1,3 Milliarden Euro Schulden; der Hebesatz der Grundsteuer B liegt bei 535 Prozent und der Gewerbesteuerhebesatz bei 447 Prozent. Wenn man das Ganze durchdekliniert, stellt man fest: Es ist erschreckend. Je nachdem, welche Region Deutschlands man betrachtet, findet man zum Teil Steuersätze vor, die nicht mehr zur Leistungsfähigkeit passen.

In meiner Heimatstadt Rostock, wo ich seit 2004 in der Bürgerschaft, im Kommunalparlament, bin ‑ seit 2009 bin ich Vorsitzender des Finanzausschusses ‑, haben wir gerade wieder die Steuern erhöhen müssen, weil wir keine andere Chance mehr hatten. Wir haben jetzt in einer 200 000-Einwohner-Stadt einen Hebesatz der Grundsteuer B von 480 Prozent und einen Gewerbesteuerhebesatz von 465 Prozent. Ich wäre mir sofort mit der FDP einig, wenn sie sagt: Das ist zu viel; das ist nicht mehr wirtschaftsfreundlich. ‑ Das stimmt. Das ist zu viel, und das ist nicht mehr wirtschaftsfreundlich. Nur, die Kommune hat gar keine andere Chance mehr. Man muss einsehen, dass Kostensteigerungen aufgefangen werden müssen. Entweder macht man das über diesen unvernünftigen Weg der Erhöhung der Kommunalsteuern, oder man redet endlich einmal darüber, wie die Kommen vernünftig ausgestattet werden können. Ich bin für die zweite Variante, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man die zweite Variante verfolgt, dann muss man sich anschauen, wo immer wieder die Probleme entstehen: Das sind eben genau die Stellen, an denen der Bund Aufgaben auf die Kommunen abwälzt, ohne diese Aufgaben auszufinanzieren. Deswegen hat die Linke die ganz klare Position: Wir brauchen endlich ein Konnexitätsprinzip für das Verhältnis zwischen Bund und Kommunen. Es ist in Ordnung, wenn der Bund den Kommunen eine Aufgabe überträgt; aber dann muss er diese Aufgabe auch voll ausfinanzieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will Ihnen ein schönes Beispiel dafür geben: In meiner Heimatstadt Rostock gibt es eine Schleuse am Mühlendamm. Diese Schleuse ist enorm wichtig, erstens weil nur durch diese Schleuse Flutschutz betrieben kann und zweitens weil diese Schleuse für Sportboote, Kanus und Ruderboote die einzige Durchfahrt zwischen Ober- und Unterwarnow darstellt. Diese Schleuse nicht öffnen zu können, ist in etwa so, als wenn man die Alster von der Elbe trennt; das ist einfach nicht vernünftig. Die Sanierung dieser Schleuse würde 2 Millionen Euro kosten. Der Bund möchte sich dieser Schleuse entledigen und stellt sich stur. Die Kommune kann die Schleuse nicht allein sanieren. Das Ergebnis: Die Schleuse ist geschlossen, und das Wasser- und Schifffahrtsamt fordert die Kommune dazu auf, darüber nachzudenken, den Damm zuzuschütten und diese Durchfahrt dauerhaft zu sperren. Das, meine Damen und Herren, ist der Umgang des Bundes mit den Kommunen in Deutschland, und der ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt weitere Beispiele, die so absurd sind, dass man es kaum fassen kann. Legendär ist das Eisenbahnkreuzungsgesetz. Beim Eisenbahnkreuzungsgesetz geht es darum, dass, wenn Bahnübergänge geschlossen werden, für den Bahnübergang eine Kreuzung gebaut werden muss. Die Kosten werden dann zwischen Bund, Kommune und Bahn geteilt; jeder muss ein Drittel tragen. In Brandenburg gibt es die Gemeinde Rückersdorf mit 1 500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Rückersdorf hat einen Gesamthaushalt in Höhe von etwa 15,7 Millionen Euro und einen Schuldenstand in Höhe von 2,6 Millionen Euro. Diese Gemeinde wird nun gezwungen, in eine Eisenbahnkreuzung, die sie gar nicht will, 2,5 Millionen Euro zu investieren. Das ist die Politik dieser Bundesregierung im Umgang mit den Kommunen, und diese Politik ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wird immer wieder darauf verwiesen - wir haben das auch heute schon mehrfach gehört -, dass die Kommunen in Deutschland unglaubliche Überschüsse erwirtschaften würden. Das stimmt auch - im Durchschnitt. Aber im Durchschnitt war der See einen Meter tief, und die Kuh ist trotzdem ertrunken.

(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich (DIE LINKE))

Diese Überschüsse sind enorm ungleich verteilt: Einigen wenigen Kommunen geht es sehr gut; ich gönne ihnen das. Diesen wenigen Kommunen stehen aber unfassbar viele Kommunen gegenüber, die keine Chance haben, ihren Haushalt in den Griff zu bekommen. Wir müssen darüber reden, wie wir zu gleichen Chancen für alle Kommunen und damit zu dem grundgesetzlich garantierten Anspruch auf gleiche Lebensverhältnisse überall in Deutschland kommen. Gleiche Chancen sind die Voraussetzung dafür, dass es den Kommunen möglich ist, gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen. Da müssen wir alle zusammen noch deutlich mehr tun: Dazu brauchen wir eine grundlegende Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Die deprimierende Lage der Kommunen in vielen Teilen der Republik führt auch zu einem Rückzug der Menschen aus der aktiven Beteiligung. Ich glaube, keine der Parteien dieses Hohen Hauses kann sich davon freisprechen, dass es überall in Deutschland immer schwieriger wird, Kandidatinnen und Kandidaten für die Kommunalwahlen zu finden. Es wird nämlich immer schwieriger, zu verstehen, was man in der Kommunalpolitik tatsächlich noch gestalten kann. Das, meine Damen und Herren, ist ein echtes Problem. Es ist vor allen Dingen auch ein Problem für die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland; sie muss nämlich zuerst von unten wachsen. Wenn wir nicht einmal mehr genügend Bewerberinnen und Bewerber finden, um die Kommunalparlamente voll zu besetzen, was ist das für ein Armutszeugnis für alle von uns? Davor sollten wir uns hüten. Auch deswegen müssen wir die Kommunalpolitik wieder attraktiver machen. Wir müssen ihr wieder Gestaltungsspielraum geben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ganze - Entschuldigung! - Gerede darüber, was die Kommunen alles tun könnten und müssten, ist teilweise absurd. Wie viele Kommunen wurden in den letzten Jahren ausdrücklich gezwungen, ihr Eigentum zu verkaufen, um den Haushalt einmalig zu sanieren! Heute müssen wir uns ganz oft über Probleme am Wohnungsmarkt unterhalten. Da kann ich nur sagen: Augen auf bei der Entscheidung, und zwar vorher und nicht danach! Man darf sich nicht wundern, dass, wenn man Kommunen dazu zwingt, ihre Wohnungsbestände zu veräußern, im Nachgang kaum noch sozialer Wohnungsbau vorhanden ist. Die Kommunen könnten dies leisten. Wenn man sie aber ihrer Möglichkeiten beraubt, werden die Kommunen hier nicht steuernd eingreifen können. Kurzum, meine Damen und Herren: Egal welche Bundesregierung in den letzten Jahren am Werk gewesen ist, die Lage der Kommunen hat sich im Grundsatz nicht verbessert. Da muss noch einiges passieren.

(Beifall bei der LINKEN)