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Feldversuche von Schnüfflern und Kontrolleuren bei der Fußball-WM

Rede von Ulla Jelpke,

Rund eine Viertelmillionen Menschen werden im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft einer rigiden Sicherheitskontrolle unterzogen. Bevor jemand eine Bratwurst verkaufen, eine Toilette reinigen oder ein Taxi fahren darf, werden erst einmal der Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt und die Länderpolizeien auf ihn angesetzt. Für diese riesige Datensammlung fehlt gleichzeitig jede Rechtsgrundlage. Ulla Jelpke in der Debatte zu den Anträgen: Gegen rechtsstaatsfreie Räume - Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen von Akkreditierungsverfahren bedürfen einer Rechtsgrundlage (Fraktion der FDP) und Kein Generalverdacht bei den Sicherheitsüberprüfungen zur Fußballweltmeisterschaft 2006 (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)

Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn die Welt als Gast zu Freunden kommt, wie das offizielle Motto der Fußball-WM lautet, dann hat sie es mit einem Gastgeber zu tun, der voller Misstrauen ist und seine Gäste wie Schwerverbrecher behandelt. Zwar werden drei Millionen Euro für eine so genannte Freundlichkeitskampagne ausgegeben. Diese Schönheitskosmetik kann über den unfreundlichen Umgang aber nicht hinwegtäuschen, den die Bundesregierung mit den Bürgerinnen und Bürgern pflegt. Rund eine Viertelmillionen Menschen werden einer rigiden Sicherheitskontrolle unterzogen. Bevor jemand eine Bratwurst verkaufen, eine Toilette reinigen oder ein Taxi fahren darf, werden erst einmal der Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt und die Länderpolizeien auf ihn angesetzt. Wir von der Linksfraktion wissen wohl besser als alle anderen hier im Saal, wie ausufernd die Sammelwut der Repressionsbehörden ist. Wir brauchen keine große Phantasie, um uns vorzustellen, dass jemand, der vor zig Jahren mal an einer Anti-Atomkraft-Demo oder unschuldig in einem Polizeikessel gewesen ist, beim Verfassungsschutz als Gewalttäter und „Extremist“ geführt wird. Wer will ausschließen, dass er nun deswegen nicht zur WM darf? Es gibt ja keinerlei Rechtsgrundlage für dieses Verfahren. Die Betroffenen haben keine Chance, die Ergebnisse dieser Überprüfung nachzuvollziehen oder rechtlich dagegen vorzugehen. Hier zeigt sich, jenseits aller Imagekampagnen, die hässliche Seite des Sicherheitsstaates! Zu behaupten, wie es die Bundesregierung tut, die betroffenen Personen willigten freiwillig in diese Schnüffelmethoden ein, ist doch ein schlechter Witz. Welche Alternative hat denn jemand, der von Arbeitslosigkeit bedroht ist? Welche Chance, „Nein“ zur Überprüfung zu sagen, hat jemand, dem das JobCenter im Nacken sitzt; jemand, der vom Armutsgeld, dem Arbeitslosengeld 2 lebt und auf einen Zuverdienst dringend angewiesen ist? Was hier mit den Lohnabhängigen geschieht, ist die schiere Nötigung und nichts anderes! Offenbar leben die gutbetuchten Herrschaften in der Bundesregierung und der FIFA in einer Parallelgesellschaft und können sich nicht vorstellen, wie es um die Lebensrealität von Millionen Erwerbstätigen bestellt ist. Aber auch den Kolleginnen und Kollegen von FDP und Grünen, die hier diese Anträge eingebracht haben, will ich einmal sagen: an diesem Zustand der Ausgeliefertheit und Alternativlosigkeit der Lohnabhängigen ändern Sie mit Ihren Anträgen gar nichts. Sie begnügen sich damit, einem Skandal eine Rechtsgrundlage geben zu wollen, anstatt den Skandal selbst anzugehen. So absurd dieser ganze Sicherheitswahn anmutet, so perfide ist die Absicht dahinter. Es handelt sich nicht nur um eine Beschäftigungstherapie für offenbar unausgelastete Behörden. Es handelt sich vielmehr um einen gigantischen Feldversuch in Sachen Kontrolle, Schnüffelei und Repression, in dem Hunderttausende von Menschen zu Versuchskaninchen werden. Denn das penible und undemokratische Akkreditierungsverfahren ist eingebettet in einen Sicherheitsdiskurs, der die Grundrechte einschränken will. Dazu gehört, dass die Grenzkontrollen im Schengen-Raum wieder hochgefahren werden; dazu gehört, dass Fans aus islamischen Ländern wie selbstverständlich besonders streng geprüft werden. Dazu gehört auch, dass die privaten Veranstalter von public viewings dazu angehalten werden, sämtliche Zuschauer auf Video festzuhalten - also genau das, was zahlreiche Innenminister gerne tun würden, aber noch nicht dürfen. Dazu gehören auch die Bestrebungen, die Bundeswehr im Inland einzusetzen. Der Sicherheitsfanatismus der Bundesregierung, vor dem die Linksfraktion schon seit Monaten warnt, erreicht wieder einmal einen Höhepunkt. Und wie immer, wenn die Regierung von Sicherheit redet, bleiben Freiheitsrechte auf der Strecke.