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Fachkräfte brauchen gute Arbeitsbedingungen

Rede von Jutta Krellmann,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wie Sie wissen, bin ich mit Leib und Seele Gewerkschafterin.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Was ist mit Parlamentarierin?)

Ich habe es bedauert, dass Sie unserem Antrag Fachkräftepotenzial nutzen Gute Arbeit schaffen“ im April des letzten Jahres nicht zugestimmt haben. Zum Glück ist es nie zu spät, das Richtige zu tun, und heute tun wir es.

In dieser Woche ist ein neuer DIW-Wochenbericht mit dem Titel „Geringe Stundenlöhne, lange Arbeitszeiten“ erschienen. Über 900 000 Geringverdienerinnen und Geringverdiener schuften mehr als 50 Stunden pro Woche. Insgesamt erhielten 2010 rund 22 Prozent aller Beschäftigten einen Niedriglohn. Mehr als die Hälfte habe eine Tätigkeit ausgeübt, für die eine Lehre oder ein Hochschulabschluss nötig sei, so das DIW.

Zu diesen Beschäftigten gehören zum Beispiel Verkäufer und Verkäuferinnen, Arzthelfer und helferinnen, Bäcker und Bäckerinnen, Beschäftigte, die Berufen im Gastgewerbe nachgehen, Friseure und Friseusen und Angestellte in Pflegeberufen. Dies sind alles qualifizierte Berufe mit einer drei- oder dreieinhalbjährigen Berufsausbildung. Wer über Fachkräftemangel redet, kann das Thema „gute Arbeit“ nicht außen vor lassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD))

Niedriglohn heißt: weniger als 9,25 Euro pro Stunde. Bei einer Fünfzigstundenwoche sind das 2 011 Euro brutto pro Monat und etwa 1 341 Euro netto für Alleinstehende. Damit macht man - trotz Ausbildung und trotz Fachkräftemangel - keine großen Sprünge. Das sind Zweit- oder Drittjobs. Diese hat man aber nicht, um sich zu bereichern, sondern um zu existieren. Auf die Dauer 50 Stunden und mehr pro Woche für diesen Lohn zu arbeiten, das ist Ausbeutung, macht krank und führt zu psychischen Belastungen. Gerade in den Pflegeberufen ist das dramatisch. Was nutzen der Blick auf die Demografie und das Wissen, dass alle älter werden - nach dem Motto „Schön, dass wir darüber geredet haben“ -, wenn sich nichts tut?

Wenn wir möchten, dass sich mehr Menschen als bisher in diesen Bereichen qualifizieren, müssen wir dafür sorgen, dass Qualifizierungsangebote zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen müssen entsprechend ihrer Qualifikation entlohnt werden. Ich sage: Mit Niedriglohn bei normaler Vollzeit darf niemand nach Hause gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

In meiner Region Hameln-Pyrmont gehören Zerspannungsmechaniker und Zerspannungsmechanikerinnen zu den Mangelberufen. Das ist eine dreieinhalbjährige betriebliche Berufsausbildung im Maschinenbau. Die Arbeitgeber, die Fachkräftemangel beklagen, bieten nicht genügend Ausbildungsplätze an. Ich sage: Wer nicht ausbildet, muss zahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen endlich ein entsprechendes Gesetz. Die Berufe in der Metallindustrie sind - anders als die im DIW-Bericht genannten - gut bezahlt. Ein gelernter Facharbeiter geht mit einem Stundenlohn nicht unter 18,10 Euro brutto nach Hause und das bei einer Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche. Die Arbeitgeber, die Fachkräftemangel beklagen, müssen eigentlich ein Interesse daran haben, dafür zu sorgen, dass solche Leute an Bord gehalten werden. Das tun sie aber nicht freiwillig. Darum musste meine Gewerkschaft, die IG Metall, in der aktuellen Tarifrunde kämpfen. Sie hat es zum Glück geschafft. Die Übernahme der Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie ist gesichert. Solche Tarifverträge bekommt man aber nur in starken Branchen hin.

Damit alle Auszubildenden ein Recht auf Übernahme haben, brauchen wir ein entsprechendes Gesetz. In der Vergangenheit gab es schon öfter Phasen mit Fachkräftemangel. Als ich meine Ausbildung als Chemielaborantin bei der Hoechst AG begonnen habe, hat man den jungen Leuten, die sich beworben haben, ein Moped geschenkt. Es gab zusätzliche Ausbilder und Werksunterricht. Auch damals schon gab es sogenannte lernschwache junge Menschen mit großen Problemen in Mathematik oder Rechtschreibung. Der Antrag der SPD heißt „Chancen eröffnen und Fachkräfte sichern“. Das kann ich mir vorstellen, aber nicht ohne gute Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Mechthild Rawert (SPD): Genau das wollen wir!)

- Dann sagen und tun Sie es auch!

Tausende junge Menschen haben keine Ausbildung oder sind arbeitslos. Tausende ältere Menschen sind erwerbslos und ohne Qualifikation. Sie brauchen Sicherheit und eine Perspektive. Das Recht auf Arbeit und freie Wahl des Berufes steht in unserem Grundgesetz. Ich zitiere Art. 12: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das eingehalten ist, wenn das Angebot an Ausbildungsplätzen die Nachfrage um 12,5 Prozent übersteigt. Davon sind wir weit entfernt.

Die Linke bleibt dabei: Alle Menschen brauchen ein Recht auf Ausbildung, ein Recht auf Arbeit, ein Recht auf Würde bei der Arbeit und ein Recht auf Gesundheitsschutz. Perspektivlosigkeit zerstört die Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN)