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Fabio De Masi: Lehren aus dem Wirecard-Skandal: Finanzaufsicht reformieren!

Rede von Fabio De Masi,

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der P&R-Skandal, der Wirecard-Skandal, Cum/Ex: Die Finanzaufsicht in Deutschland hat ein fundamentales Problem. Sie hat sich in den letzten Jahren häufig mehr wie ein Schlaflabor und weniger wie eine Finanzaufsicht verhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Wirecard-Skandal wurde ein Journalist der „Financial Times“, Dan McCrum, mit einer Strafanzeige überzogen, weil er seine Arbeit gemacht hat. Es wurde ihm vorgeworfen, er würde mit Insiderhändlern unter einer Decke stecken. Ich habe Herrn Hufeld vor wenigen Tagen beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“ aufgefordert, sich bei diesem Journalisten zu entschuldigen. Er hat das als obszön bezeichnet. Das zeigt: Wir haben ein fundamentales Führungsproblem an der Spitze der BaFin.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig haben Mitarbeiter der BaFin offenbar selber Insiderhandel betrieben, weil in der Abteilung für Marktüberwachung mit hochspezialisierten Derivaten auch auf Wirecard gewettet wurde.

Ich bin den Grünen dankbar für ihren Antrag und für die Debatte heute. Wir haben im Sommer einen Zehn-Punkte-Plan zur Reform der Finanzaufsicht vorgelegt; den gibt es unter anderem im „Handelsblatt“.

(Dr. Florian Toncar [FDP]: Unter welcher Drucksachennummer?)

Ich will in der Kürze der Zeit nur einige Punkte nennen. Ein fundamentales Problem ist, dass wir staatliche, hoheitliche Aufgaben immer mehr an Private verlagert haben. Ja, selbstverständlich kann die BaFin nicht jedes Unternehmen prüfen. Aber wenn die Polizei ein Tempo-30-Schild am Ortseingang aufstellt, dann muss sie einen Autofahrer auch aus dem Verkehr ziehen, wenn er mit 200 Sachen über die Kreuzung brettert.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau das kann die BaFin heute nicht; denn sie hat nur neun Personen, die Bilanzen forensisch prüfen könnten. Das ist im Vergleich zu den großen Wirtschaftsprüfern, die Zehntausende Mitarbeiter haben, nichts. Sie braucht auch qualifiziertes Personal: Leute mit Wirtschaftsprüferexamen, wie es sie beim Bundesrechnungshof gibt.

Wir brauchen eine Trennung von Prüfung und Beratung. Außerdem ist es natürlich ein Problem, dass die Wirtschaftsprüfer von den Unternehmen bezahlt werden, die sie prüfen sollen. Deswegen gehen unsere Überlegungen in die Richtung einer Poolfinanzierung, die unabhängiger macht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen das Vieraugenprinzip, also Joint Audits. Das heißt, dass auch die mittelständischen Prüfer beteiligt werden. Wir brauchen eine Aufhebung des Haftungsprivilegs; denn Haftung ist doch ein fundamentales Prinzip einer Marktwirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Frank Schäffler [FDP])

Es kann doch nicht sein, dass EY ungeschoren davonkommt.

Wir freuen uns über viele der nützlichen Vorschläge in dem Antrag der Grünen. Ich bin nicht die Stiftung Warentest, aber ich finde: Das ist eine gute Grundlage. Das gilt insbesondere auch für die Punkte zur Prospekthaftung, die hier angesprochen werden; denn wir hatten beim P&R-Skandal die Situation, dass die BaFin sich den Prospekt angeguckt hat und gesagt hat: Ist ja alles drin – Titelblatt, Inhaltsangabe, Schluss –, aber wir haben gar nicht geprüft, was da drinsteht. – Wozu braucht man eine Prospekthaftung, wenn man nicht prüft, was in den Prospekten steht? Das ist, als wenn ich eine Klassenarbeit in der Schule verteile und dann nur prüfe, ob es da ein Deckblatt gibt, aber nicht, ob der Schüler Goethes Faust gelesen hat.

Insofern haben wir viele Aufgaben vor uns.

Ich entlasse Sie jetzt noch nicht ins Wochenende – das macht der Präsident –, aber ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)