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Fabio De Masi: »Fake-Economics mit Target2«

Rede von Fabio De Masi,

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD will über TARGET2-Salden diskutieren. Das sind Bilanzposten der Notenbanken. Die AfD behauptet, das Vermögen der Bundesbank zu schützen, indem ­TARGET2-Salden von Ländern wie Italien etwa durch Gold oder andere Vermögenswerte besichert werden. Von Henry Ford stammt der Satz: „Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“ Das Problem scheint mir aber, die AfD hat weder TARGET2 noch das Geldsystem verstanden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Aber die Linken haben es verstanden!)

In Deutschland betreiben ein paar lustige Vögel Fake Economics. Die Leier geht so: Die Griechen und die Italiener wollen an unser sauer verdientes Geld. – Und nun haben die cleveren Bürschchen dafür mit TARGET2 einen fiesen Trick gefunden und sagen, die Salden seien ein Kredit, für den Deutschland haftet.

(Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Ja, natürlich!)

Um zu verstehen, was TARGET2-Salden sind, muss man erst einmal verstehen, wie eine stinknormale Überweisung funktioniert.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Es ist keine Überweisung! Es ist eine Zahlungsanweisung!)

Daher etwas „Sendung mit der Maus“ für die AfD: Bürger und Unternehmen haben Konten bei Banken, und Banken wiederum haben ein Konto bei der Zentralbank. Wenn eine Frau Storch aus Berlin – der Name ist völlig zufällig gewählt – 100 Euro auf das Konto von Bernd das Brot innerhalb Deutschlands überweist für eine neue PC-Maus oder Mettigel, ändert sich im deutschen Bankensystem in der Summe nichts. Die Banken wickeln die Überweisung über ihre Konten bei der Bundesbank ab. Die Bundesbank hat nun weniger Verbindlichkeiten gegenüber der Storch-Bank, deren Guthaben bei der Bundesbank geschrumpft ist, und mehr gegenüber der Brot-Bank, deren Guthaben bei der Bundesbank gestiegen ist. Niemand würde auf die Idee kommen, dass Berlin mit Steuergeldern oder Gold die Einkäufe von Frau Storch besichern muss.

Wenn aber Massimo aus Mailand 100 Euro an Frau Storch überweist, wird es etwas komplizierter – auch für die AfD.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Denn Massimos Bank hat ein Konto bei der Banca d’Italia, der italienischen Zentralbank. Durch die Überweisung wächst das Guthaben der Storch-Bank bei der Bundesbank. Das Guthaben von Massimos Bank bei der Banca d‘Italia schrumpft jedoch um 100 Euro. Die Bundesbank hat jetzt mehr Verbindlichkeiten gegenüber der Storch-Bank, und die Banca d‘Italia hat weniger Verbindlichkeiten gegenüber Massimos Bank. Daher gibt es zum Ausgleich der Bilanzen im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr TARGET2.

Hätten die beiden Zentralbanken ein gemeinsames Konto bei der EZB, gäbe es kein TARGET2; das ist eine rein technische Größe.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn für Geschäftsbanken macht es keinen Unterschied, ob die Überweisung an eine deutsche oder eine italienische Bank geht. Ob Banken solvent sind, ist hingegen Aufgabe der Bankenaufsicht, nicht von TARGET2.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

TARGET2 sagt auch überhaupt nichts über Risiken aus.

(Widerspruch bei der AfD)

– Hören Sie zu. Es lohnt sich.

(Jürgen Braun [AfD]: Nein! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Nein, es lohnt sich nicht!)

Zwischen 2001 bis 2007 explodierten spanische Bankkredite. Spanier kauften wie die Luzie auf Pump in Deutschland ein.

(Jürgen Braun [AfD]: Grandios!)

Doch der TARGET2-Saldo – Überraschung – war fast null, weil die deutschen Banken bereit waren, Spaniern Kredite zu geben.

(Peter Boehringer [AfD]: Das ist die normale Welt!)

Warum hat die Bundesbank nun TARGET2-Forderungen an das TARGET-System der EZB?

Erstens. Deutschland häuft auch wegen unzureichender Löhne und unzureichender öffentlicher Investitionen Exportüberschüsse an

(Beatrix von Storch [AfD]: Wenn Linke von Wirtschaft reden!)

und verkauft wesentlich mehr Güter in die anderen Euro-Länder, als es von dort einkauft.

(Jürgen Braun [AfD]: Deswegen gehören auch Nordkorea und Venezuela zu Ihren Freunden! Die können das ganz gut!)

Wenn diese Güter bezahlt werden, fließt Geld von den Konten anderer Euro-Länder auf Konten deutscher Banken. Wenn sich die AfD also um die TARGET-Salden oder deutsche Vermögen sorgt, sollte sie dafür streiten, dass Löhne, Renten und öffentliche Investitionen in Deutschland steigen, um die Binnenwirtschaft zu stärken und einen neuen Crash zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die AfD will aber Löhne, Renten und öffentliche Investitionen kürzen.

(Jürgen Braun [AfD]: Falsch! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Unsinn!)

Zweitens geht es auch um Kapitalflucht. Wenn also Spekulationen um einen Rauswurf Italiens aus der Euro-Zone angeheizt werden, bringen Italiener ihre Ersparnisse auf deutschen Banken in Sicherheit, und die TARGET2-Forderungen der Bundesbank steigen. Die Risiken für Deutschlands Banken nehmen aber sicher nicht zu, wenn Italiener ihre Ersparnisse auf deutsche Konten bringen.

Drittens. Auch Staatsanleihen spielen eine Rolle. In der Summe kaufen mehr Südländer deutsche Staatsanleihen als umgekehrt. Deutsche Staatsanleihen werden aber wegen des Finanzplatzes von den Frankfurter Filialen der ausländischen Geschäftsbanken gehalten, und darum hat die Bundesbank so hohe TARGET-Forderungen, weil auch dadurch Geld nach Frankfurt fließt.

Was passiert nun, wenn ein Land den Euro-Raum verlässt? TARGET-Salden bestehen weiter, entweder in Euro oder in einer neuen Währung. Das führt zu einem Wechselkursrisiko. Auch dann käme aber nicht zwingend ein Geldeintreiber von der Bundesbank. Es könnte auch ewig verrechnet werden. Richtig ist: Es könnte in einer solchen Situation zu einer Schmälerung des Notenbankgewinns kommen. Das ist aber nicht zwingend. Die Bundesbank kann bilanzieren, wie sie will, da eine Notenbank wegen ihres unschlagbaren Geschäftsmodells – Geldmonopol und Seigniorage – nie in eigener Währung pleitegehen kann und sogar negatives Eigenkapital verkraftet.

(Frank Schäffler [FDP]: Das haben wir auch gedacht!)

Dies hat die Schweizerische Nationalbank in einem hervorragenden Papier kürzlich ausgeführt. Der Euro könnte tatsächlich zerbrechen, wenn die Regierung weiter Löhne und Investitionen drückt. Aber TARGET hat damit nichts zu tun. Der beste Schutz deutscher Steuergelder wäre daher, die AfD würde sich ein Buch kaufen mit dem Titel „Bilanzierung für Anfänger“.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)