Zum Hauptinhalt springen

Existenzminimum von Menschen ist keine Verhandlungsmasse

Rede von Diana Golze,

Diana Golze in der Beratung über den Antrag der SPD-Fraktion »Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Bemessung der Regelsätze umsetzen - Die Ursachen von Armut umfassend bekämpfen«

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In den vergangenen Wochen sind unerträglich diffamierende Debatten auf dem Rücken von Millionen Menschen in diesem Land geführt worden. Menschen, die Ausgrenzung von der Gesellschaft durch Erwerbslosigkeit am eigenen Leib erleben, wurden an den Pranger gestellt, und das nur, um davon abzulenken, dass Millionen anderer Menschen von Löhnen leben müssen, für die die Erfinder dieser Hetzkampagne nicht einmal den Laptop aufklappen würden. Hier werden die Ärmsten der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt: diejenigen, die von Sozialleistungen leben müssen, und diejenigen, die so geringe Löhne haben, dass diese nur knapp über den Sozialleistungen liegen.

Nun kommt mit dem Antrag der SPD endlich erneut ein Vorschlag von der Opposition, in dem versucht wird, den Stammtischparolen der Regierung etwas Sachlichkeit entgegenzusetzen. Der Antrag leistet in weiten Teilen das, was ich mir von einer Arbeitsministerin oder von der Bundeskanzlerin selbst wünschen würde. Doch diese setzen entweder auf ihre bewährte Ankündigungsmethodik, oder sie hüllen sich lieber ganz in Schweigen.

Viele der im SPD-Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen unterstütze ich. Besonders begrüßenswert finde ich die Darstellung, dass sich das Lohnabstandsgebot nicht an der Höhe der Sozialleistungen, sondern an der Höhe der Löhne bemessen soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Einen gesetzlichen Mindestlohn fordert die Linke bekanntermaßen schon seit langem.
Anderes in dem Antrag bleibt etwas verschwommen und unzureichend formuliert. Ich frage mich beispielsweise, was die SPD mit der vorgeschlagenen Wahlfreiheit zwischen Kinderzuschlag und ALG-II-Bezug für Familien mit geringem Einkommen meint; denn nur, wenn der Kinderzuschlag und das Wohngeld als vorrangige Leistungen so ausgestaltet werden, dass die Familien dadurch mehr haben, liegt wirklich Wahlfreiheit vor. Wenn es aber wie jetzt in vielen Fällen dazu führt, dass der Kinderzuschlag sogar noch geringer ausfällt als der ALG-II-Bezug, dann ist das nicht Wahlfreiheit, sondern Erpressung mit einem menschenentwürdigenden Grundsicherungsmodell.

(Beifall bei der LINKEN - Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Es geht doch darum, das zu verhindern!)

Die Linke hat schon diverse Male Anträge für eine sozialere Ausgestaltung des Kinderzuschlages vorgelegt.

Dass die SPD die Berechnung der Regelsätze und auch die sogenannte Härtefallregelung nicht allein in die Hände der Bundesregierung legen will, kann ich nachvollziehen. Der Vorstoß, dies durch eine Expertenkommission zu unterstützen, kommt einer Forderung der Linken nahe. Fraglich bleibt für mich allerdings, warum Sie eine Gruppe von Experten, die dort mitwirken sollen, außen vor lassen: die Vertreter der Menschen, die am stärksten davon betroffen sind und um deren Bedarfe es geht, nämlich die Vertreter von Erwerbsloseninitiativen.

(Beifall bei der LINKEN - Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Sie sind doch in den Sozialverbänden drin!)

Vielleicht liegt es daran, dass diese Sie daran erinnern könnten, dass die verkorkste Arbeitsmarktreform von Rot-Grün erfunden und von Schwarz-Gelb im Bundesrat noch verschärft wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles, was das Bundesverfassungsgericht der Regierung am 9. Februar ins Hausaufgabenheft geschrieben hat, ist ihnen prophezeit worden, nicht nur von uns, sondern von vielen Sachverständigen und Initiativen. Einen Punkt möchte ich besonders hervorheben: Es geht um die Debatte über die Frage von Gutscheinen bzw. Sachleistungen, die durch die Bundesarbeitsministerin angestoßen wurde. Um diese Frage ging es auch in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Hier war aber die Rede von gebührenfreiem Schulessen, Lernmittelfreiheit und beitragsfreien Ganztagsbildungsangeboten und nicht davon, die Kinder von ALG-II-Beziehern durch Gutscheine zu Kunden zu machen, um dadurch die Privatisierung dieser Angebote noch weiter voranzutreiben. Ich bitte Sie, Lösungen zu finden, die die Teilhabe aller Kinder an Bildung in ihrer ganzen Breite sichert, und nicht eine Verstärkung für den privatgewerblichen Markt zu organisieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Existenzminimum von Menschen ist keine Verhandlungsmasse. Das Gericht hat genau festgelegt, was ein Mensch braucht, um Mensch zu sein. Er braucht eben mehr als die Sicherung seiner physischen Existenz. Er hat ein Recht auf Teilhabe. Lassen Sie uns also in diesem Haus nach politischen Lösungen für die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben suchen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)