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Eva-Maria Schreiber: Impf-Egoismus mit der Freigabe der Patente überwinden

Rede von Eva-Maria Schreiber,

Geehrter Präsident! Minister Müller! Kolleginnen und Kollegen! Noch nie ist Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Erfolg in so kurzer Zeit gelungen. Nur ein Jahr ist es her, seit das neue Covid-19-Virus auftauchte. Es hat das Leben der Menschheit weltweit radikal verändert. In diesem Zeitraum sind mehrere Impfstoffe zugelassen worden; noch mehr stehen knapp davor. Normalerweise brauchen Forscher und Forscherinnen zehn Jahre dafür. Dieser erste Triumph über die Krankheit könnte die Menschen über Grenzen hinweg verbinden und ein Signal für globale Zusammenarbeit und Solidarität aussenden – eine schöne Vision.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Realität jedoch sieht anders aus: Die Impfung erreicht vier Fünftel der Menschheit gar nicht. Die Entwicklungsorganisation Oxfam spricht in einer Studie vom Ungleichheitsvirus. Auch wenn die Impfkampagne bei uns sehr holprig startet und sich Unzufriedenheit breitmacht – die wenigen reichen Industrieländer haben sich bereits seit letztem Sommer einen Großteil der Impfstoffe in Vorabverträgen gesichert; Minister Müller, Sie erwähnten es soeben. Dagegen haben etwa 130 Länder noch keine einzige Dosis verbraucht und werden teilweise bis 2024 auf Impfschutz für ihre Bevölkerung warten müssen. Dabei sind die ärmeren Länder von den Folgen der Pandemie überproportional betroffen. Schon jetzt nimmt der Hunger weltweit zu. Durch Ausfälle im Gesundheitswesen führen andere Krankheiten zu höheren Todeszahlen. Die ökonomische Krise als Folge der Gesundheitskrise droht ärmere Länder wirtschaftlich für Jahre zurückzuwerfen. Laut dem Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation Tedros ist der Impfegoismus der reichen Länder für sie selbstzerstörerisch. Die Pandemie kann doch erst dann beendet werden, wenn sie für alle besiegt ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Man fragt sich: Wie konnte es trotz vieler hochrangiger Aufrufe zu Solidarität zu solchen Alleingängen kommen?

Erstens. Mit fast 10 Milliarden Euro haben die EU und die Bundesregierung die Erforschung von Impfstoffen von BioNTech und CureVac subventioniert. Zudem beschloss die Bundesregierung vor zwei Wochen, 1,5 Milliarden Euro mehr für das privat-öffentliche Projekt Covax der WHO und der Impfstoffallianz GAVI zu zahlen. Covax soll helfen, Impfstoffe gegen Corona global zu verteilen. Das hört sich sehr gut an. Das hat gestern auch begonnen. Der Verteilungsmechanismus bringt allerdings nichts, wenn es nichts zu verteilen gibt. Denn sehr früh wurde versäumt, die Produktionskapazitäten weltweit rasch auszubauen, was uns auch in der Zukunft helfen würde. Man stelle sich einen zu kleinen Kuchen vor, von dem die meisten armen Länder höchstens ein paar Krümel abbekommen, weil sich einige wenige reiche Länder die großen Stücke gesichert haben.

Die WHO hatte schon im Mai 2020 die Idee Costa Ricas begrüßt, einen Patentpool für Covid-19-Produkte einzurichten. Dies ist ein bewährtes Instrument für die Versorgung ärmerer Länder. Der im Jahr 2000 gegründete Medicines Patent Pool MPP hat entscheidend dazu beigetragen, dass heute fast alle Menschen mit HIV/Aids weltweit behandelt werden können. In den1980er- und 1990er-Jahren mussten leider viele Millionen Infizierte im globalen Süden sterben, weil kostengünstige Generika nicht im breiten Maßstab eingesetzt werden durften. Westliche Pharmafirmen hatten sich gegen die Freigabe von Patenten eingesetzt. So ähnlich verhält es sich jetzt leider erneut; denn die Industrieländer mauern beim Patentpool.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Skandalös!)

Zweitens. Weil der Erfolg der Impfstoffentwicklung durch die Steuerzahler/-innen möglich gemacht wurde, müssten die Regierungen auch gesetzliche Konditionen für den Zugang, die Bezahlbarkeit und die Transparenz der Produkte entwickeln. Die Industrieländer nehmen diese kollektive Verantwortung jedoch nicht an, sondern stehen auf der Seite der Pharmalobby. Minister Spahn hat das gestern indirekt auch bestätigt. Dass die politische Priorität nicht darauf liegt, alle Menschen weltweit zu erreichen, halte ich für ein Unding.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei gibt es sogar schon Instrumente, wie Equitable Licensing, die in der gegenwärtigen Lage die Freigabe der Patente rechtfertigen würden.

Drittens. Der Norden könnte vom Süden lernen. Südafrika und Indien hatten die Initiative der temporären Lizenzfreigabe mit dem sogenannten TRIPS Waiver von der Welthandelsorganisation ins Leben gerufen. Weil sie nicht so lange auf Hilfe für ihre Bevölkerungen warten wollen, unterstützen Hundert Länder diese Initiative, darunter die Afrikanische Union. Die Industrieländer aber blockieren auch diese wegweisende Forderung.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Skandalös!)

200 NGOs aus dem Globalen Süden haben in einem öffentlichen Brief die Forderung bekräftigt, Patente zeitlich befristet aufzuheben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke unterstützt dieses zivilgesellschaftliche Engagement; denn das Bremsen bei der weltweiten Pandemiebekämpfung ist unterlassene Hilfeleistung.

(Beifall bei der LINKEN)

Minister Müller, Sie, aber auch Frau Merkel oder Herr Steinmeier haben gesagt: Der Impfstoff soll ein globales öffentliches Gut sein. – Zeigen Sie sich solidarisch, und unterstützen Sie die Patentfreigabe von SARS-CoV-2-Impfstoffen, wie das auch im ersten Bevölkerungsschutzgesetz möglich gemacht wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Während die Industrieländer blockieren, bieten Russland und China bedürftigsten Ländern ihre Impfstoffe zum Selbstkostenpreis an. Während die reichen Länder Profite vor Menschenleben setzen, hat der kleine Karibikstaat Kuba die Lizenz für seinen Impfstoff der WHO übergeben. Es geht also anders.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt uns um die Stücke eines zu kleinen Kuchens zu streiten, sollten wir besser das Rezept teilen. Nur so können wir dafür sorgen, dass die Coronapandemie zu einem Wendepunkt hin zu einer solidarischen globalen Gemeinschaft führt.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)