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Europa ist in der Krise

Rede von Alexander Ulrich,

Europa ist in der Krise. Das kann man überall lesen und hören. Wurde das zu Beginn nur von Journalisten öffentlich diskutiert, so geben mittlerweile alle Regierungen Europas zu, dass Europa tatsächlich in der Krise ist. Als bedürfte es noch eines weiteren Beweises, hat man auf dem letzten EU-Gipfel erklärt, dass der selbsternannte Sanierungsfall Deutschland nun zum Retter Europas werden soll. Ich glaube, daran zeigt sich, wie tief Europa tatsächlich in der Krise ist. Denn Deutschland ist mit Ihrer Politik nicht geeignet, Europa ein menschliches Antlitz zu verleihen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Vorredner hat dankenswerterweise die Außenpolitik in Richtung Europa gelenkt. Ich möchte das an dieser Stelle fortsetzen.
Europa ist in der Krise. Das kann man überall lesen und hören. Wurde das zu Beginn nur von Journalisten öffentlich diskutiert, so geben mittlerweile alle Regierungen Europas zu, dass Europa tatsächlich in der Krise ist. Als bedürfte es noch eines weiteren Beweises, hat man auf dem letzten EU-Gipfel erklärt, dass der selbsternannte Sanierungsfall Deutschland nun zum Retter Europas werden soll.
Ich glaube, daran zeigt sich, wie tief Europa tatsächlich in der Krise ist. Denn Deutschland ist mit Ihrer Politik nicht geeignet, Europa ein menschliches Antlitz zu verleihen.
Es ist grandios, wie die an sich tolle Idee der Europäischen Union von Europas Regierungen in die Sackgasse geführt worden ist. Man muss sich die Frage stellen, Herr Bundesaußenminister, was Deutschland in dem einen Jahr der Reflexionsphase getan hat. Man hat oftmals den Eindruck gehabt, dass die Regierung tatenlos war und sich die Phase eines Denkverbots auferlegt hatte. Als man im Sommer wieder zusammengekommen ist, um zu beraten, wie der EU-Verfassungsvertrag zu retten ist, hat man unreflektiert die Reflexionsphase um ein weiteres Jahr verlängert.
Ich glaube, wenn Deutschland Impulse für die EU-Verfassung setzen will, dann muss man akzeptieren, dass mit dem Ratifizierungsprozess und dem Nein der Franzosen und der Niederländer die EU-Verfassung in der vorliegenden Form gescheitert ist.
Ich glaube auch, dass es nicht möglich ist, den Ländern schmackhaft zu machen, möglicherweise aufs Neue darüber zu entscheiden. Man nimmt hier und da einige Änderungen an dem Entwurf vor und formuliert noch den einen oder anderen Anhang zum Verfassungsvertrag. So kann man aber die EU-Verfassung nicht retten. Wir brauchen einen Neustart in der Debatte um die EU.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch einmal betonen, dass die Linke im Bundestag beglückwünscht, dass zwei Länder - Frankreich und die Niederlande - zu dieser EU-Verfassung Nein gesagt haben, weil uns das die Chance gibt, endlich über eine andere Verfassung nachzudenken, in der auch der soziale Charakter der Europäischen Union verankert werden kann. Deshalb meinen herzlichen Glückwunsch an die Länder Frankreich und die Niederlande für dieses klare Nein bei der Abstimmung!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben die Chance, dass die EU dadurch wieder demokratischer, friedlicher und sozialer werden kann.
Herr Steinmeier, ich hätte mir von Ihnen konkretere Ausführungen darüber gewünscht, wie Sie die Ratspräsidentschaft im ersten halben Jahr zu nutzen gedenken, um neue Impulse zu setzen. Beschädigen Sie nicht die Demokratie und versuchen Sie nicht, während der deutschen Ratspräsidentschaft mit neuen Tricks die gescheiterte Verfassung wieder aufzulegen!
Wir - der EU-Ausschuss des Bundestags - waren im Frühjahr in Paris und haben uns mit dem EU-Ausschuss des französischen Parlaments getroffen.
An die anderen Fraktionen gerichtet sage ich deutlich: Die Ignoranz, mit der Sie mit der Tatsache umgehen, dass die Franzosen klipp und klar und auch parteiübergreifend gesagt haben, diese Verfassung könnten sie in ihrem Land nicht mehr vorlegen, ist beschämend. Man kann nicht einfach feststellen, dass 15 Länder dem Verfassungsvertrag zugestimmt und dass ihn einige Länder abgelehnt haben. Wir müssen erkennen, dass wir für eine EU-Verfassung alle Länder brauchen. Deshalb war es sehr ignorant, wie Sie sich in Paris verhalten haben.
Der Verfassungsvertrag ist gescheitert. Der vorliegende Verfassungsvertrag verfestigt Demokratiedefizite der EU, verstärkt die Dominanz der großen Mächte über die kleinen Mitgliedstaaten und legt die EU auf einen wirtschafts- und währungspolitischen Kurs des rigorosen Neoliberalismus fest, bei dem der Profit der Großkonzerne das oberste Gebot ist.

(Markus Löning [FDP]: Da kennen Sie aber einen anderen Verfassungsvertrag als wir!)

Er begünstigt den europaweiten Sozialabbau und erhebt die Militarisierung der EU in den Rang einer Verfassungspflicht.
Wir wollen eine neue Debatte anschieben. Wir brauchen eine neue verfassungsgebende Versammlung, weil der Zivilgesellschaft mit der außerparlamentarischen Bewegung ein Neustart für die europäische Verfassung gelingen muss. Wir brauchen ein Europa, das demokratisch, friedvoll und sozial ist und eine ökologische und solidarische Gemeinschaft darstellt. Wir wollen keinen europäischen Superstaat, sondern einen Verbund europäischer Staaten und Völker auf der Basis des Gleichheitsgrundsatzes und des Selbstbestimmungsrechts.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen die europäischen Grundwerte Frieden und Wohlergehen der Völker. Diese müssen in der Verfassung verankert sein. Wir brauchen ein nachhaltiges Europa mit ausgewogenem Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt. Wir brauchen ein Europa, das tatsächlich die Armut bekämpft und ein hohes Maß an Umweltschutz garantiert, ein Europa, in dem Wirtschaft und Wissenschaft gefördert werden und andere Antworten auf energiepolitische Fragen gegeben werden als gegenwärtig in der Europäischen Union.
Die Zustimmung der Bürger zu Europa hängt aber nicht nur von einer Verfassung ab. Vielmehr muss die Politik auch bei aktuellen Entscheidungen die Ängste und Sorgen der Menschen um Arbeitsplatzverluste und Arbeitsplatzverlagerungen in die neuen EU-Länder ernst nehmen. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Beitrittsländer auf Unternehmensteuern verzichten, aber gleichzeitig in den Topf der EU-Subventionen greifen. Damit gewinnt man die deutsche Bevölkerung nicht für die Europäische Union.
Die Lissabonstrategie ist gescheitert. Es wäre lohnenswert zu überprüfen, warum sie gescheitert ist, warum man die Ziele nicht erreicht hat. Ich kann dazu nur sagen: Wer glaubt, dass man diese Strategie unverändert weiterverfolgen kann, wird sehen, dass Europa noch weiter in die Sackgasse gerät.
Die Linke im Bundestag wird gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und der außerparlamentarischen Bewegung die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, um für eine demokratische, friedvolle und soziale Europäische Union zu kämpfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)