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EU2020 - auf striktem Sparkurs in die unsoziale Zukunft

Rede von Alexander Ulrich,

Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger am Bildschirm müssen wirklich glauben, dass wir hier eine Debatte im Tollhaus führen. (Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Ja! Seit etwa 20 Sekunden!) Europa weiß nicht, was morgen ist. Wir wissen nicht, ob sich das, was die Bundeskanzlerin angedeutet hat, bewahrheiten wird. Wir machen uns Gedanken, wie Europa 2020 aussehen könnte. Das nimmt uns keiner ab. Es kommt einem so vor, als würde ein Haus lichterloh brennen, sich aber CDU/CSU, FDP und die Kommission in Brüssel darüber Gedanken machen, ob man das abgebrannte Kinderzimmer renovieren sollte. (Beifall bei der LINKEN) Unsere Auffassung ist folgende: Wir als Bundestag sollten die Kommission auffordern, die EU-2020-Strategie als Fortsetzung der Lissabon-Strategie nicht zu beschließen. Wir sollten uns vielmehr zuerst um die Krisenbewältigung kümmern, und zwar unter sozial gerechten Gesichtspunkten. Wir sollten uns dann möglicherweise im Jahre 2011 darüber Gedanken machen, wie man Europa in kleineren Schritten über vier oder fünf Jahre so gestalten kann, dass sich solche Krisen, wie sie uns zurzeit in immer kürzeren Abständen einholen, nicht wiederholen. Deshalb wäre es gut, wenn wir uns über Anträge unterhielten, die die Kommission dazu verpflichteten. (Beifall der Abg. Dorothée Menzner (DIE LINKE)
Bei dem, was Sie hier vorbringen, merkt man, dass Sie nicht zurückblicken und sich fragen, warum die Lissabon-Strategie gescheitert ist. Zur Verdeutlichung: Wachstum und Forschungsausgaben sind nicht, wie geplant, gestiegen. Gewachsen hingegen ist die Zahl der Beschäftigten in Europa, die für einen Hungerlohn arbeitet, gewachsen ist auch die Armut und insbesondere die Kinderarmut. Es ist fatal, dass sich CDU/CSU und FDP überhaupt nicht darüber verständigen wollen, wie man Armut bekämpfen kann. Man will auch keine Zahlen mehr nennen. Man möchte nur noch lose Formulierungen hineinschreiben; dabei haben lose Formulierungen dazu beigetragen, dass die Lissabon-Strategie gescheitert ist. Deshalb dürfen wir so nicht weitermachen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Die Grundideen der Lissabon-Strategie waren Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung. Daran gemessen ist die Strategie natürlich nicht gescheitert; denn es wurde eine Umverteilung vollzogen. An der Privatisierung haben sehr viele, auch die Konzerne, sehr gut verdient. Für diese, für die Sie Lobbypolitik betreiben, war die Lissabon-Strategie ein voller Erfolg; aber für die Masse der Menschen ist der Begriff „Lissabon“ verbunden mit Sozialabbau, schlechteren Lebensverhältnissen, prekärer Beschäftigung, Kinderarmut und auch damit, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind. Das muss man deutlich zum Ausdruck bringen. (Beifall bei der LINKEN) Zur Klarstellung: In Deutschland hat damals der Arbeitsminister Müntefering gesagt: Die nationale Umsetzung der Lissabon-Strategie sind die Agenda 2010 und Hartz IV. Mit europäischem Rückenwind ist sozusagen der größte Sozialabbau in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg vorgenommen worden. Das muss man deutlich sagen. Frau Högl, manchmal ist es gut, Sie von der SPD und auch die Grünen daran zu erinnern, dass Sie dafür verantwortlich waren und nicht die jetzige Regierung. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Eva Högl (SPD): Wir haben gute Politik gemacht!)
Einer der Hauptwidersprüche der Europa-2020-Strategie ist folgender: Auf der einen Seite will man intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum schaffen, auf der anderen Seite soll strikt gespart werden, um die durch die Bankenrettung und Wirtschaftskrise aufgetürmten Schulden abzubauen. Diesen Grundwiderspruch löst man sicherlich nicht dadurch, dass man, wie im Antrag von CDU/CSU und FDP vorgelegt, lapidar fordert, man müsse einfach beides machen: die Strategie umsetzen und sparen.
Lassen Sie mich den Widerspruch anhand der drei Oberziele der Strategie intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum deutlich machen. Intelligentes Wachstum soll durch Innovation und Bildung erreicht werden. Aber wie soll das ohne Geld bzw. trotz Spardiktaten wie in Griechenland funktionieren? Nachhaltiges Wachstum kann nicht nur durch Marktanreize erreicht werden, nötig sind auch Investitionen in die Klima- und Energiewende, und auch das kostet bekanntermaßen Geld.
Der Widerspruch zwischen Haushaltskonsolidierung und integrativem Wachstum, dem dritten Oberziel der neuen Strategie, lässt sich derzeit am Beispiel Griechenland in aller Härte studieren. Der Sparplan von EU und IWF, der dem Land aufdiktiert wurde, sieht unter anderem Folgendes vor: die Kürzung von Gehältern und Renten, die Einschränkung der Tarifautonomie, die Lockerung des Kündigungsschutzes, Kürzungen im Gesundheitswesen sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. All diese Maßnahmen treffen vor allem die kleinen Leute, von sozialer Integration keine Spur. In Spanien und Portugal sieht es nicht anders aus. Gespart wird bei den Rentnerinnen und Rentnern, bei jungen Eltern und im öffentlichen Dienst.
Einer Sache können wir uns sicher sein: Diese unsozialen Sparmaßnahmen bleiben nicht auf Griechenland, Spanien und Portugal beschränkt. Sie stellen eine Blaupause für die gesamte EU dar, und damit auch für Deutschland. Deshalb ist die EU-2020-Strategie falsch. Sie will das fortsetzen, was mit der Lissabon-Strategie grandios gescheitert ist.
Ich fordere alle Fraktionen des Bundestages auf: Fordern Sie die Kommission in Brüssel auf, die Strategie dorthin zu tun, wo sie hingehört, nämlich in den Mülleimer. Lassen Sie uns die Krise bewältigen, aber nicht durch Sozialabbau und unter dem Diktat von Haushaltskonsolidierung. Wir brauchen ein Zukunftsinvestitionsprogramm, damit Wachstum generiert werden kann. Durch Sparen entsteht kein Wachstum. Durch Sparen verringert man auch nicht die Armut. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)