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EU-Jahresbericht 2007 zur Menschenrechtslage

Rede von Michael Leutert,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich nehme erstaunt zur Kenntnis, dass ich heute nicht alleine bin, wenn es darum geht, Kritik zu üben. Ich möchte explizit im Namen meiner Fraktion begründen, warum wir den EU-Jahresbericht 2007 zur Menschenrechtslage nicht mit Freude und erst recht nicht zustimmend zur Kenntnis nehmen können. Von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern ist schon angesprochen worden, dass darin etliche Gesichtspunkte von Menschenrechtsverletzungen zu differenziert dargestellt werden, während andere Aspekte ausgeblendet oder ganze Komplexe verschwiegen werden.

Die Beispiele liegen auf der Hand. An der Situation in Russland und China wird in diesem Bericht viel Kritik geübt. Das begrüßen wir ausdrücklich; die Kanzlerin hat sich in dieser Frage auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sehr stark hervorgetan. Was die USA betrifft, wird im Abschnitt zum Thema Todesstrafe aber lediglich darauf hingewiesen, dass die Todesstrafe auch in den USA existiert. Im Abschnitt zum Thema Folter werden die USA überhaupt nicht erwähnt. Beim Thema „Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte“ spielt sie nur noch eine untergeordnete Rolle.

Ich möchte eine Stelle des Berichts zitieren - es geht um die EU-Menschenrechtspolitik und die Vereinigten Staaten von Amerika -: Die EU äußerte ihre Bedenken gegen die fortgesetzte Anwendung der Todesstrafe in den USA und bekräftigte ihre Haltung, dass alle Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsvorschriften stehen müssen. Mehr wird dazu nicht gesagt. Dabei handelt es sich um einen 200 Seiten starken Bericht. Dieses Thema, das uns am meisten interessiert - im Deutschen Bundestag beschäftigt sich übrigens auch ein Untersuchungsausschuss mit dem Thema „Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung“ -, wird auf zwei Seiten behandelt; das entspricht gerade einmal 1 Prozent des gesamten Berichts.

In diesem 200 Seiten umfassenden Bericht steht darüber hinaus: Wir werden den laufenden Dialog über die für unseren gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus relevanten völkerrechtlichen Grundsätze, der zu einem besseren Verständnis unseres jeweiligen Rechtsrahmens geführt hat und zur Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung beitragen sollte, fortführen und vertiefen. Nichts weiter! Keine Kritik, keine Analyse und keine Konsequenzen! Wir sprechen hier angeblich von einem unserer Verbündeten. Wir sprechen aber auch von einem Land, in dem die Todesstrafe existiert. Wir sprechen von dem Land, in dem die Todesstrafe weltweit am fünfthäufigsten angewendet wird. Wir sprechen von einem Land, das Guantánamo eingerichtet hat. Wir sprechen von einem Land, das fremde Staatsbürger - auch europäische - entführt, von CIA-Flügen. Wir sprechen von Verschleppung und von den Black Sites. Das kommt in diesem Bericht zu kurz.

Völlig ausgeblendet wird, dass sich in Untersuchungsausschüssen, als es um die Behandlung der Aktivitäten deutscher Behörden bei der Bekämpfung des Terrorismus ging, gezeigt hat, dass die Bundesregierung an Aufklärung kein Interesse hat, dass deutsche Beamte an Befragungen mitgewirkt haben, ohne auf die offenkundige Misshandlung bzw. Folter des Befragten zu reagieren. Diese Frage geht uns etwas an, und Amnesty hat in der Bewertung dieses Berichtes klare Worte gefunden. Wir brauchen eine stärkere menschenrechtliche Kontrolle der Geheimdienste, zum Beispiel durch einen Menschenrechtsbeauftragten in der Sicherheitsrunde im Kanzleramt. Diesem Vorschlag müssten sich eigentlich alle anschließen können. Doch solange in diesen Berichten Dinge, von denen man meinen könnte, dass sie bloß Länder außerhalb der EU betreffen, ausgeblendet werden, so lange können wir diese Berichte nicht zustimmend zur Kenntnis nehmen.

Ich möchte wie der Kollege Strässer darauf hinweisen, dass auch die Flüchtlingsproblematik eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Es wird nicht angesprochen, dass Tausende von Flüchtlingen, die von Afrika über das Mittelmeer zu uns zu kommen versuchen, dabei umkommen und die wenigen, die hier ankommen, keine Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen. All das wird nicht angesprochen. Es wird zwar angesprochen, dass wir die Richtlinien für den Export von Gerätschaften, die für Folter und unmenschliche Behandlung geeignet sind, verschärfen müssen. Aber es wird nicht darauf hingewiesen, dass Mitgliedstaaten der EU gegen die Richtlinien verstoßen. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.

Ich möchte an dieser Stelle betonen: Solange wir in Menschenrechtsfragen mit dem Finger auf andere zeigen, aber nicht über unsere eigenen Defizite sprechen, so lange untergraben wir unsere Glaubwürdigkeit. Damit habe nicht nur ich ein Problem, auch der Kollege Strässer hat das angesprochen. Ich kann auch auf Veröffentlichungen von Amnesty International verweisen. Wir müssen anfangen, auch Menschenrechtsverletzungen, die bei uns passieren, zu kritisieren. Wenn wir das nicht tun, werden wir das Fundament des Wertesystems, das in Europa nach Jahren der Diktatur aufgebaut worden ist, untergraben, was den Menschenrechten sicherlich nicht förderlich ist. Wir würden die Tür dazu öffnen, dass Menschenrechtsverletzungen wieder an der Tagesordnung sind. Danke.

(Beifall bei der LINKEN)