Zur Diskussion über den Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema "EU-Freihandelsabkommen mit Indien stoppen - Verhandlungsmandat in demokratischem Prozess neu festlegen" gibt die menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Annette Groth, folgende Rede zu Protokoll:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das geplante EU-Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Indien ist Teil der neuen Außenhandelsstrategie „Global Europe: Competing in a Globalized World“. Ziel dieser ökonomischen Strategie ist die Durchsetzung neuer und umfassender Freihandelsabkommen, mit denen die Staaten der Europäischen Union eine vereinfachten Zugang zu Rohstoffen und die Öffnung der Märkte in diesen Ländern für europäische Waren verfolgt. Das geplante Freihandelsabkommen mit Indien ist Teil der verfehlten neoliberalen Außenhandelsstrategie der EU. Die Fraktion DIE LINKE lehnt dieses Abkommen ab und hat mit ihrem Antrag Alternativen für eine solidarische Außenhandelspolitik der EU mit Indien vorgelegt.
Das EU-Freihandelsabkommen mit Indien nimmt in der Prioritätenliste der EU-Kommission eine Schlüsselstellung ein. Die indische Wirtschaft ist in den letzten Jahren zwischen 8 und 10 Prozent jährlich gewachsen. Trotzdem leben in Indien weltweit der größte Anteil armer Menschen. Etwa 92 Prozent der 457 Millionen erwerbstätigen Inder sind im informellen Sektor beschäftigt. Sie leben meist von Subsistenzwirtschaft und einem minimalen Einkommen. Häufig sind sie als Tagelöhner oder zeitlich befristeten Tätigkeiten beschäftigt. Darüber hinaus müssen aufgrund der Altersstruktur in Indien bis 2020 etwa 200 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen, damit das Land nicht in eine beschäftigungspolitische Katastrophe rennt.
Gerade in der Weltwirtschaftskrise zeigte sich überdeutlich, dass stärker regulierten Volkswirtschaften in den Schwellenländern wesentlich weniger krisenanfällig waren, als die stärker liberalisierten und exportabhängigen Volkswirtschaften. Länder, wie zum Beispiel Indien, profitierten gerade in der Krise von den vorhandenen Steuerungsmöglichkeiten des Staates und der Kommunen. Deshalb sind die massiven Liberalisierungsforderungen der Europäische Kommission vor diesem Hintergrund völlig unverantwortlich.
Durch das Freihandelsabkommen soll der indische Markt noch mehr als bisher für die Produkte und Dienstleistungen aus der EU geöffnet werden. Die EU-Kommission nimmt dabei bewusst in Kauf, dass Millionen von Arbeitsplätzen in der indischen Landwirtschaft und dem informellen Bereich massiv bedroht werden. Durch die bisherigen Vorschläge der EU-Kommission für ein Freihandelsabkommen wird die Ernährungssicherheit und damit auch die Existenzgrundlage für hunderte von Millionen Menschen in der indischen Landwirtschaft und Industrie massiv gefährdet.
DIE LINKE tritt deshalb dafür ein, dass alle Forderungen der EU-Kommission den indischen Finanzmarkt weiter zu liberalisieren, eine klare Absage erteilt wird. Es war gerade der noch immer stark regulierte indische Finanzmarkt, der sich in der Weltfinanzkrise relativ stabil gezeigt hat. Deshalb warnen auch viele Vertreterinnen und Vertreter sowohl aus Indien als auch aus der Europäischen Union vor einer Liberalisierung des Finanzmarktes. Die derzeitigen Verhandlungen zeigen, dass die Europäische Kommission nichts aus der Wirtschaftskrise gelernt hat und mit ihrer unverantwortlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik dabei ist, die Gefahr, dass auch andere Regionen in den Strudel der unkontrollierten Finanzmärkte gezogen werden, weiter zu verschärfen. Wir treten in unserem Antrag dafür ein, dass alle Forderungen an Indien, die Handelshemmnisse bei Finanzdienstleistungen abzubauen, sofort zurückgenommen werden müssen. Vielmehr müssen Regulierungsmaßnahmen zum Schutz der Stabilität des Finanzsystems, wie sie Indien im Kontext der Weltfinanzkrise ergriffen hat, ausdrücklich erhalten und ausgebaut werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
eine Liberalisierung des Marktes für landwirtschaftliche Produkte hätte katastrophale Folgen für die überwiegende Anzahl der Bäuerinnen und Bauern in Indien, da etwa 90 Prozent von ihnen marginalisierte Kleinproduzenten sind. Sie leben ausschließlich von der Landwirtschaft. Die Liberalisierung dieses Marktes durch ein Freihandelsabkommen würde ihre Lebensgrundlage massiv bedrohen. Die Folgen für die Betroffenen wurden besonders sichtbar, als im Jahr 2002 Indien die Zölle für Milchprodukte abschaffte. Dadurch drängten die zum Teil exportsubventionierten Milchprodukte aus der EU massiv auf den indischen Markt und drückte den Milchpreis in Indien derart nach unten, dass Millionen von landwirtschaftlichen Betrieben nicht mehr konkurrenzfähig waren und viele in den Bankrott stürzten. Um eine soziale und ernährungspolitische Katastrophe zu verhindern, führte Indien wieder Zölle in Höhe von zur Zeit 30 Prozent ein. Eine erneute Marktöffnung im Milchbereich hätte für die soziale Situation der indischen Subsistenzbauern fatale Auswirkungen.
Die EU versucht das Freihandelsabkommen mit Indien gegen den Widerstand der indischen Bauernverbände und vieler NGOs durchzusetzen, da sie Indiens größter Handelspartner ist und Indien an neunter Stelle im EU-Außenhandel steht. 20% des indischen Güterhandels werden mit der EU abgewickelt, das Handelsbilanzdefizit zur EU beträgt drei Milliarden Euro. Die EU wickelt etwa 2,1 Prozent ihres Handels mit Indien ab.
Die treibenden Kräfte des geplanten Freihandelsabkommen sind mächtige deutsche und europäische Lobbygruppen, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), das European Services Forum (ESF) und die European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA). Erst vor wenigen Tagen forderte der Europäische Automobilherstellerverband ACEA die EU-Kommission auf, bei den Verhandlungen mit Indien noch mehr Druck zu machen. Der Verband beklagte, dass für die Autobranche die bisherigen Verhandlungsergebnisse noch nicht zufriedenstellend seien. Die Industrielobbyisten nehmen mit ihren Forderungen dabei bewusst in Kauf, dass sich die Ernährungssituation der Menschen in Indien massiv verschlechtern wird und die Gefahren von Instabilitäten in Indien zunehmen. Kurzfristige Profitinteressen der europäischen Großkonzerne werden hier über die mittelfristigen Entwicklungsmöglichkeiten der indischen Volkswirtschaft gestellt.
Die Direktorin der indischen Nichtregierungsorganisation ANTHRA, Dr. Sagari R Ramdas, weist darauf hin, dass bei einer Liberalisierung von Investitionen für landwirtschaftliche Flächen, Landgrabbing noch schneller vorangetrieben wird. Weiter führt sie aus, dass alle Bäuerinnen und Bauern, wie auch große Teile der indigenen Einwohner Indiens, Produzentinnen und Produzenten und gleichzeitig Konsumentinnen und Konsumenten zugleich sind. Fast alle sind für die eigene Versorgung auf die öffentlichen Beschaffungs- und Verteilungssystem für Getreide angewiesen, um die Ernährungssicherheit in den Haushalten zu gewährleisten. Genau hier setzt das Freihandelsabkommen der EU mit Indien an und will den Unternehmen in der EU den freien Zugang zu den öffentlichen Beschaffungssystem in Indien eröffnen. Dies würde die bisherige Absicherung des Zugangs zu Nahrungsmittel für die armen Teile in der Indischen Bevölkerung noch weiter erschweren.
Durch die geforderte Öffnung der Rohstoffmärkte und des freien Zugangs zu Explorationsmöglichkeiten von indischen Rohstoffen durch europäische Konzerne würden darüber hinaus die Lebensbedingungen der indigenen Einwohner Indiens infrage gestellt. Viele von ihnen leben in Wäldern, in denen teilweise Eisenerz, Granit, Halbedelsteine und vieles mehr zu finden ist. Durch einen massiven Abbau dieser Vorkommen besteht die Gefahr, dass viele von ihnen vertrieben werden und sich das Heer der Armen in den Megastädten weiter vergrößert.
Die Fraktion DIE LINKE fordert in ihrem Antrag, die Verhandlungen über ein EU-Freihandelsabkommen mit Indien sofort zu stoppen. Wir wollen, dass Verhandlungsmandate der EU in Zukunft durch demokratisch legitimierte Prozesse festgelegt werden und alle Abkommen, die Armut, Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung in den betroffenen Ländern und Regionen fördern, nicht mehr verfolgt werden dürfen.