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EU-Bildungsprogramme dürfen nicht nur die Mobilität der europäischen Eliten unterstützen, sondern müssen die soziale Dimension europäischer Bildung in

Rede von Nele Hirsch,

Die Akzeptanz für die EU sinkt nicht, weil die EU als „wenig greifbar, bürokratisch und bürgerfern“ wahrgenommen wird. Die Akzeptanz sinkt, weil sich die aktuelle Politik der EU gegen die Mehrheit der Menschen richtet. Immer mehr Menschen weigern sich, diese Politik mitzutragen. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Widerstand gegen neoliberale Projekte wie beispielsweise aktuell die Bolkestein-Richtlinie wächst. Nele Hirsch hat ihre Rede zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Mehr Mobilität und Austausch durch ein integriertes EU-Bildungsprogramm“ (Drs. 16/837) zu Protokoll gegeben

Im Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Grüne wird gleich im ersten Abschnitt eine aus unserer Sicht sehr richtige Feststellung getroffen. Ich zitiere: „In einigen Mitgliedstaaten ist die Zustimmung zur Europäischen Union in den letzten Jahren merklich zurückgegangen“. Darauf aufbauend fordert der Antrag, mittels EU-Bildungsprogrammen die Akzeptanz wieder zu steigern. Diesen Ansatz halten wir für falsch. Die Akzeptanz für die EU sinkt doch nicht deshalb, weil die EU als „wenig greifbar, bürokratisch und bürgerfern“ wahrgenommen wird, wie im Antrag vermutet. Die Akzeptanz sinkt, weil sich die aktuelle Politik der EU gegen die Mehrheit der Menschen richtet. Immer mehr Menschen weigern sich, diese Politik mitzutragen. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Widerstand gegen neoliberale Projekte wie beispielsweise aktuell die Bolkestein-Richtlinie wächst. Wenn die Akzeptanz für ein gemeinsames europäisches Projekt gesteigert werden soll, braucht es einen grundlegenden Politikwechsel - auch und gerade in der europäischen Bildungspolitik. Dazu sagt der Antrag kaum etwas aus, aber gerade darüber müssten wir diskutieren. Ich nenne einige Beispiele. In den EU-Bildungsprogrammen taucht eine soziale Dimension nur als Nebensache auf. Wir müssen uns aber bei allen hier diskutierten Programmen die Frage stellen, wer eigentlich maßgeblich von ihnen profitiert: Aus der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks wissen wir beispielsweise, dass Studierende aus finanziell schlechter gestellten Familien kaum Möglichkeiten haben, sich an Austauschprogrammen zu beteiligen. Das SOKRATES-Programm ist - wie die anderen Bildungsprogramme auch - nur ein Aufstockungsprogramm. Wer keine eigenen Mittel zuschießen kann, muss auf die Förderung - und damit auf einen Auslandsaufenthalt während des Studiums - verzichten. Weiter müssen wir fragen, auf welche inhaltlichen Ziele die EU-Bildungspolitik ausgerichtet ist, in welche die Bildungsrahmenprogramme eingebunden sind. Eines der aktuellen Unworte ist hier die geforderte Orientierung an der Employability, also an der „Beschäftigbarkeit“ der Absolventinnen und Absolventen der jeweiligen Bildungsgänge. An die Bildungssysteme wird damit der Anspruch gestellt, die Menschen dem sich wandelnden Arbeitsmarkt anzupassen, statt sie in die Lage zu versetzen, den europäischen Arbeitsmarkt und das europäische Projekt insgesamt aktiv mitzugestalten. Ganz in diesem Sinne hat die EU-Kommission kürzlich eine neue Empfehlung zur Schlüsselqualifikation „Unternehmerisches Denken“ vorgelegt. Derartige Vorstöße führen nicht zu einem solidarischen und demokratischen Europa. Solch eine Bildungspolitik verschärft Ausgrenzung und wird sicherlich nicht dazu beitragen, die Akzeptanz der Menschen für das europäische Projekt zu steigern. Dann müssen wir nach den Erfahrungen fragen, die bei der Umsetzung der EU-Bildungspolitik auf nationaler Ebene gemacht werden: Die europäischen Vereinbarungen führen hier vielfach nicht zu einem Ausbau der Bildungssysteme, sondern zu Einschränkungen von Bildungschancen. Bestes Beispiel: die Zulassungsbeschränkung der im Rahmen des Bolognaprozesses neu geschaffenen Masterstudiengänge. Der Antrag fordert eine Intensivierung des Hochschulmarketings. Hochschulmarketing verfolgt aber weniger den Ansatz internationaler Verständigung, als vielmehr der Vermarktung des deutschen Hochschulstandortes. Zu nicht unerheblichen Teilen werden hier Programme mit Gebühren beworben, mithin also auch nur bestimmte potenzielle ausländische Studierende angesprochen. Auch das ist für uns keine Grundlage für eine progressive Bildungspolitik. Schließlich betont der Antrag, dass, um den europäischen Bildungsraum zu schaffen, Unvereinbarkeiten und Kohärenzprobleme der Bildungssysteme „baldmöglichst beseitigt werden“ müssen. Wir sind dagegen der Ansicht, dass kulturelle Vielfalt eine der Stärken Europas ist und bleiben soll. Letztes Beispiel: Mit der umstrittenen Bolkestein-Richtlinie wird auch Bildung zur Dienstleistung erklärt. Die EU-Kommission zielt auf eine weitere Bildungsprivatisierung. Morgen werden wir den Leitantrag für die Frühjahrstagung der EU im Plenum diskutieren. Hier wird unverhohlen gefordert, dass der größte Teil der höheren Bildungsausgaben aus dem privaten Sektor kommen soll. Wir sehen Bildung dagegen als öffentliche Aufgabe, die öffentlich finanziert und demokratisch gesteuert werden muss. Wir möchten also festhalten: Natürlich ist es grundsätzlich richtig und sinnvoll, eine bessere finanzielle Ausstattung von EU-Bildungsprogrammen zu fordern. Auch zahlreiche weitere Anregungen und Vorschläge, die im Antrag geäußert werden, halten wir grundsätzlich für richtig. Wenn die EU-Bildungspolitik aber nicht dazu genutzt wird, soziale und geschlechtsspezifische Unterschiede abzubauen, dann werden sie keine Akzeptanz für Europa schaffen. Sie werden stattdessen Widerstand gegen eine Politik mobilisieren, die auch zulasten der großen Mehrheit der Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Studierenden und Auszubildenden geht. Wir wollen ein soziales und demokratisches Europa. Deshalb werden wir diesen Widerstand unterstützen und in diesem Rahmen auch für EU-Bildungsprogramme streiten, die nicht nur die Mobilität der europäischen Eliten unterstützen, sondern die soziale Dimension europäischer Bildung in den Mittelpunkt stellen. Damit könnten diese Programme dann auch tatsächlich zu einem breit getragenen europäischen Projekt beitragen.