Bildung und Kampf gegen Armut können Wahrheits- und Versöhnungskommissionen überflüssig machen. Deshalb muss Deutschland seine auf internationaler Ebene zugesagten Mittel für Entwicklungshilfe endlich auf die versprochene Höhe anheben. Michael Leutert in der Debatte zu Anträgen zur Bedeutung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen und zur Ratifizierung der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wahrheits- und Versöhnungskommissionen dienen bekanntlich dem Zweck, einer Gesellschaft, in der schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattgefunden haben, einen zivilisierten Neuanfang zu ermöglichen. Es geht darum, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen und den Frieden nicht aufs Neue zu gefährden. Opfer sollen so die Möglichkeit erhalten, über ihnen angetanes Unrecht sprechen zu können und die Täter zu benennen; Täter sollen dagegen die Möglichkeit haben, ihre Opfer um Vergebung zu bitten. Es geht also um Wahrheit und Aussöhnung.
Jedoch darf dies nicht - ich glaube, darin sind wir uns einig - die juristische Aufarbeitung schwerster Menschenrechtsverletzungen ersetzen. In diesem Zusammenhang möchte ich einige Kritikpunkte anführen. Erstens: Ich glaube, hier auf breite Zustimmung zu stoßen, wenn ich sage: Am besten wäre es, wir bräuchten gar keine Wahrheits- und Versöhnungskommissionen. Dies wäre dann der Fall, wenn die Konflikte schon im Vorfeld verhindert werden könnten.
(Beifall bei der LINKEN)
In diesem Zusammenhang möchte ich allerdings die Frage stellen, warum in dem Antrag der präventiven Seite kein Raum eingeräumt wurde. Wir alle wissen, dass unter anderem mangelnde Bildung sowie Armut und soziale Ungleichheit primäre Gründe für Kriege und Bürgerkriege sind. Zur Beseitigung dieser Ursachen bedarf es finanzieller Mittel, die die meisten betroffenen Länder selbst nicht aufbringen können. Es wäre also mehr als angebracht, wenn Deutschland seine auf internationaler Ebene zugesagten Mittel für Entwicklungshilfe endlich auf die versprochene Höhe anhöbe.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens: Es ist generell nachzufragen, inwieweit Entwicklungshilfe mit militärischer Invasion im Zusammenhang steht. Diese Gelder sollen eben hauptsächlich präventiv wirken und nicht erst dann eingesetzt werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. An diesem Punkt möchte ich an Afghanistan erinnern.
Drittens: Es sollte kritisch hinterfragt werden, mit welchen Regimes wir derzeit in Beziehung stehen. Sind es Länder, in denen eventuell in naher Zukunft ebenfalls Wahrheitskommissionen notwendig werden?
(Beifall bei der LINKEN)
Ich darf in diesem Zusammenhang an Usbekistan erinnern. Dort starben während eines Massakers von regierungsnahen Truppen und der Polizei letztes Jahr bis zu 800 Menschen. Wir unterhalten aber in Usbekistan aus strategischen Gründen einen Militärflugplatz und gewähren Finanzhilfen in Millionenhöhe. Auch das gehört zur Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN)
Viertens und letztens möchte ich Folgendes in den Raum stellen: Wir hätten diese Punkte gerne während der Erarbeitung dieses interfraktionellen Antrags mit Ihnen gemeinsam diskutiert. Aber es scheint derzeit Mode zu werden, dass solche fraktionsübergreifenden Initiativen ohne uns stattfinden.
Warum? Legen Sie auf unsere Meinung keinen Wert oder ist das noch die Routine aus der alten Legislaturperiode? Mich würde es freuen, wenn Sie sich daran gewöhnten, dass im Bundestag seit kurzem eine neue Fraktion Platz genommen hat. Daran sollten Sie sich gewöhnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Fraktion wird diesem Antrag trotz aller Kritik zustimmen, da wir im Kern mit der Zielrichtung des Anliegens übereinstimmen. Weiterhin liegen zwei Anträge zur Zeichnung und Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Anti-Folter- Konvention vor. Es ist klar, dass auch DIE LINKE. dieses Anliegen unterstützt und für eine zügige Bearbeitung eintritt. Immerhin befinden wir uns schon im vierten Jahr, seit das Protokoll zur Unterzeichnung vorliegt. Wir wissen, dass das Problem eher auf Länderebene liegt. Insofern ist die Bundesregierung nicht der eigentliche Adressat. Aber wenigstens können wir so unsere moralische Unterstützung für die Bundesregierung in dieser Frage deutlich machen. Wenn wir schon einmal die Gelegenheit haben, die Bundesregierung moralisch zu unterstützen, dann wollen wir das gerne tun,
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])
zumal es genau in diesem Punkt anders als bei dem anderen Antrag um ein präventives Mittel zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen geht. Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)