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Es darf keine engagierten Menschen erster und zweiter Klasse geben

Rede von Harald Koch,

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Antrag der Grünen beginnt vielversprechend: „Bürgerschaftliches Engagement ist wichtig für unsere Gesellschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Dies ist absolut richtig, solange die Engagementbereitschaft der Bevölkerung in Zeiten angespannter Haushaltslagen und des Sozialabbaus nicht als Lückenfüller für fehlende sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und eine unzureichende soziale Infrastruktur, zum Beispiel in Pflege und Kinderbetreuung, ausgenutzt wird.

Im Weiteren gehen die Grünen ein Problem aus der Schnittmenge von Engagement-, Steuer- und Sozialpolitik an. Sie kritisieren zurecht die Anrechnungsregelungen für Aufwandsentschädigungen und Übungsleiterpauschalen im Sozialgesetzbuch II und XII (SGB II, XII), wie sie seit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz von 2011 gelten. Es geht hier also um Anrechnungen auf Arbeitslosengeld II, ergänzendes Arbeitslosengeld II, auf Hilfe zum Lebensunterhalt und die Grundsicherung im Alter.

Bis April 2011 galten Einnahmen aus Aufwendungsentschädigungen bis zur Höhe des halben Regelsatzes – das waren etwa 175 Euro – als anrechnungsfrei. Seit April 2011 werden diese Einnahmen als Einkommen gewertet, für die jedoch ein höherer Freibetrag von 175 Euro im Monat, 2100 Euro im Jahr, galt (statt vorher 100 Euro Freibetrag). Mittlerweile wurde das Ehrenamtsstärkungsgesetz verabschiedet, wodurch sich der Freibetrag rückwirkend zum 01. Januar 2013 auf monatlich 200 Euro erhöht, entsprechend auf 2400 Euro im Jahr.

Das heißt, pauschale Aufwandsentschädigungen, die oberhalb eines Betrages von 200 Euro im Monat liegen, werden unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11 b Absatz 2 SGB II nunmehr komplett auf Leistungen des SGB II angerechnet.

Dass Entschädigungen seit April 2011 als Einkommen zählen und voll angerechnet werden, ist eine klare Verschlechterung gegenüber früher. DIE LINKE nimmt es nicht hin, dass bürgerschaftlich engagierte Grundsicherungsbeziehende noch weiter finanziell bestraft werden!

Die Grünen verfolgen vermeintlich das Ziel, Erwerbstätige und Erwerbslose gleich zu behandeln, und wollen soeben skizziertes Problem in ihrem mittlerweile veralteten Antrag wie folgt lösen:

Zum einen soll die Übungsleiterpauschale bis zu einer Höhe von 175 Euro nicht auf Grundsicherungsleistungen angerechnet werden. Übungsleitertätigkeiten sind nebenberufliche Tätigkeiten für eine gemeinnützige Organisation oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts beispielsweise als Ausbilder oder Erzieher sowie künstlerische Tätigkeiten, die Pflege behinderter, kranker oder alter Menschen, gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Tätigkeiten.
Zum anderen sollen aus öffentlichen Kassen gezahlte pauschale Aufwandsentschädigungen – zum Beispiel für kommunalpolitische Tätigkeiten – analog zu den Regelungen im Einkommensteuerrecht in Höhe von monatlich 175 Euro und analog zu den diesen Betrag übersteigenden Freibeträgen der jeweiligen Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder ebenfalls nicht auf Leistungen des SGB II und XII nicht angerechnet werden.

Aus LINKER Sicht sind diese veralteten Forderungen aber weder ausreichend noch sorgen sie für Gleichbehandlung!

Wir wollen umfassende soziale Gerechtigkeit auch für bürgerschaftlich engagierte Grundsicherungsbeziehende und Geringverdienende. Die Grünen bleiben wie die SPD zu sehr in der „Agenda“-Logik gefangen. Sie geben sich bestenfalls mit einer „Gerade-so-sozial“-Politik zufrieden, wohingegen DIE LINKE 100 Prozent sozial ist.

DIE LINKE fordert daher, dass Aufwandsentschädigungen, einschließlich der Übungsleiterpauschale, für bürgerschaftliches Engagement sowie für kommunale Mandats- und Amtsträger überhaupt nicht angerechnet werden!

Wir haben dazu bereits im November 2011 zwei eigene Anträge angebracht, die im April 2012 und Anfang Februar dieses Jahres im Plenum des Bundestages debattiert wurden.

Ich frage Sie: Warum sollen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung weniger Ansprüche gegenüber dem Job-Center haben, nur weil sie bürgerschaftlich engagiert sind und genau dafür eine pauschale Aufwandsentschädigung bekommen?
Allein der Begriff zeigt doch schon, dass diese Gelder nur für den mit dem jeweiligen Engagement entstehenden sachlichen, finanziellen und zeitlichen Aufwand entschädigen. Aufwand ist Aufwand und kein Einkommen!

Daher sage ich: Diese Gelder sind als Entschädigungen gedacht und dürfen nicht zu reduzierten Grundsicherungsleistungen führen.

Zudem bleiben zwar tatsächlich nachgewiesener Aufwand bzw. zweckgebundene Entschädigungen anrechnungsfrei, doch in der Praxis ist gerade der Nachweis im ersteren Fall unverhältnismäßig und in vielen Fällen kaum durchführbar. Jede verschickte Email, jeder neue Stift müssten dokumentiert werden. Belege würden sich zu einem undurchdringbaren Dickicht ausformen. Der Verwaltungs- und Organisationsaufwand des Einzelnen würde Engagement ad absurdum führen. Es ist hierbei höchst ungerecht, dass Ehrenamtliche ohne ALG-II-Bezug ihre Aufwandsentschädigung zwar versteuern müssen, aber selbst ohne Vorlage entsprechender Belege behalten dürfen.

Besonders drastisch sind die finanziellen Verluste in solchen Fällen, wenn ein bürgerschaftlich engagierter Hartz-IV-Bezieher nicht einzelzweckbestimmte Aufwandsentschädigungen, sondern eine Übungsleiterpauschale erhält, die in der Folge zum Beispiel voll mit einem Minijob von 450 Euro verrechnet wird.

Es liegen bereits zahlreiche Beispiele vor, die zeigen, dass sich Menschen aufgrund der Anrechnungsregelungen aus ihrem Engagement zurückziehen. Das ist für DIE LINKE nicht akzeptabel!

Es konterkariert die angebliche Absicht der Bundesregierung, bürgerschaftliches Engagement in der Breite zu stärken und besser anzuerkennen. Machen Sie Schluss mit Ihrer Doppelmoral!
Sie sagen als Bundesregierung vorneherum das Eine, nämlich Stärkung des Engagements, und hintenherum werden bestimmte Gruppen aus dem Engagement gedrängt. Mit steuerlichen Entlastungen für besserverdienende Engagierte und Stiftungen sind sie dagegen immer ganz schnell bei der Hand. Einen eigenartigen Engagementbegriff haben Sie!
Sie sorgen für engagierte Menschen erster und zweiter Klasse – das darf nicht sein!

Wieder zurück zum Grünen-Antrag:
Dort wird ausgeführt, dass die von mir eben geschilderte Forderung der LINKEN für Grundsicherungsberechtigte eine „Bevorzugung gegenüber Erwerbstätigen“ sei.

Meine Damen und Herren, wer bitteschön geht ernsthaft davon aus, dass Grundsicherungsbeziehende gegenüber Erwerbstätigen in irgendeiner Hinsicht bevorzugt werden? In welcher Welt leben Sie denn? Können sich die Abgeordneten von den Grünen vorstellen, dass der Grundsicherungsbezug aufgrund von Erwerbslosigkeit in aller Regel keine frei gewählte Lebenssituation, sondern eine höchst dramatische Notlage ist?
Hartz IV bleibt Armut und Ausgrenzung per Gesetz – das haben Sie immer noch nicht verstanden!

Ferner übersehen die Grünen in ihrem Antrag, dass Erwerbstätige Entschädigungen, sofern sie oberhalb der Freigrenzen liegen, abzüglich der individuellen Versteuerung behalten dürfen. Grundsicherungsbeziehende bekommen hingegen jenseits der 175, mittlerweile 200 Euro Grundfreibetrag 80 Prozent der Einnahmen abgezogen. Um das zu verdeutlichen: Sie dürfen gerade einmal 20 Prozent davon behalten. Ab 1000 bis 1200 Euro dürfen sie sogar nur 10 Prozent behalten. Das ist weder motivierend noch gerecht! Engagement erscheint so als Bestrafung!

Ich weiß hier vielmehr nicht, wie die Grünen ernsthaft von einer „Gleichbehandlung“ von Erwerbstätigen und Grundsicherungsbeziehenden sprechen können.

DIE LINKE ist der Auffassung, dass bürgerschaftliches und politisches Engagement keine Frage des Geldbeutels sein darf! Würde die Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für bürgerschaftliches Engagement sowie für kommunale Mandats- und Amtsträger komplett wegfallen, wäre dies immerhin ein Fortschritt.

Aber grundsätzlich muss mit dem ganzen Hartz-System und der Agenda-Logik gebrochen werden, weswegen wir unter anderem eine sanktionsfreie, armutsfeste Mindestsicherung, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und „Gute Arbeit“ statt Leiharbeit oder Minijobs brauchen!

Wir brauchen eine Agenda Sozial!