Zum Hauptinhalt springen

Ernährung und Verbraucherschutz dürfen nicht zum Auslaufmodell werden

Rede von Karin Binder,

Karin Binder (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Der Haushalt des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft umfasst knapp 5,4 Milliarden Euro. Davon sind lediglich 200 Millionen Euro für Ernährung und den gesundheitlichen Verbraucherschutz vorgesehen.

Herr Minister, Sie sind mit der Aussage angetreten, dass Ihnen gerade das Thema Ernährung besonders wichtig sei. Aber nach diesem Haushaltsplan 2015 kann ich das leider nicht feststellen. Statt aktive Ernährungspolitik zu betreiben, herrscht Stillstand. Damit werden Sie Ihrem eigenen Anspruch und Ihrer Verantwortung als Ernährungsminister nicht gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das möchte ich an drei Punkten verdeutlichen. Das sind zum einen der Bereich Lebensmittelsicherheit, zum anderen der Bereich Verbraucherinformation und zum Dritten die Schul- und Kitaverpflegung.

Erstens. Die Lebensmittelsicherheit steht und fällt mit einer effizienten und kontinuierlichen Lebensmittelüberwachung. Aber seit Jahren weisen Fachleute vergeblich darauf hin, dass Tausende Lebensmittelkontrolleure fehlen. Sie warnen vergeblich, dass weltweit zusammengekaufte Rohwaren und global arbeitende Lebensmittelkonzerne nicht von kommunalen Behörden überwacht werden können.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Kollegin Binder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Kollegen von der SPD?

Karin Binder (DIE LINKE):
Gerne.

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die gesamte Lebensmittelüberwachung Aufgabe der Kommunen bzw. der Länder ist

(Caren Lay (DIE LINKE): Das ist ja das Problem!)

und dass wir in dem Zusammenhang die Länder nicht vollständig aus ihrer Verpflichtung entlassen können, indem wir den gesamten Aufgabenbereich zu einer Bundesaufgabe machen?

Karin Binder (DIE LINKE):
Lieber Kollege Priesmeier, selbstverständlich ist mir bekannt, dass die Kommunen und Länder für diesen Bereich und damit auch für die Finanzierung zuständig sind. Aber darin liegt zumindest ein Teil des Problems.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben es mit einer sehr stark veränderten Situation zu tun, in der Lebensmittel global produziert, eingekauft und weitervertrieben werden. Wie soll eine kommunale Behörde noch den Überblick bewahren?

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen den Kommunen und den Ländern die Verantwortung nicht komplett abnehmen. Aber wir wollen einen Teil der Verantwortung beim Bund angesiedelt wissen. Immer, wenn es um internationale Konzerne, die globale Lebensmittelproduktion und den globalen Vertrieb von Lebensmitteln geht, braucht es eine übergeordnete Stelle und vor allem eine ausreichende Zahl von Lebensmittelkontrolleuren, die dem Ganzen gewachsen sind.

Es braucht auf allen drei Ebenen Lebensmittelkontrolleure, die jeweils für einen bestimmten Bereich zuständig sind. Der Bund hat sowohl der Bevölkerung als auch der EU gegenüber eine Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, genau diesen Punkt wollte ich sowieso anmerken: In dieser Frage wollte ich die Verantwortung des Bundes konkretisieren. Aber wir finden nichts dazu im Haushalt 2015.

Mein zweiter Punkt war: Verbraucherinformation wird zum Auslaufmodell. Dazu nenne ich Ihnen zwei Beispiele, erstens das Verbraucherportal lebensmittelklarheit.de, das sehr erfolgreich Verbrauchertäuschungen der Lebensmittelindustrie aufdeckt. Dieses steht Ende 2015 vor dem Aus.

Das zweite Beispiel ist das sehr gut angenommene Projekt „Gesund ins Leben“, das Mutter und Kind in der Zeit der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr wichtige Unterstützung bei einer ausgewogenen gesunden Ernährung liefert. Auch das steht nach 2015 auf der Kippe.

Herr Minister, diese beiden Themen dürfen nicht Opfer der üblichen „Projektitis“ werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müssen in Ihrem Ministerium verankert und langfristig finanziert werden.

Nun komme ich zu meinem dritten Punkt besser: Ausrufezeichen -: die Kita- und Schulverpflegung in Deutschland. Vorgestern wurde von Herrn Minister Christian Schmidt eine Studie zur Qualität des Schulessens in Deutschland vorgestellt, ein wichtiger Beitrag, für den ich dem Ministerium ausdrücklich danken möchte.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Untersuchung zeigt: Gute Schulkantinen sind in Deutschland noch immer Mangelware. Zwar benoten Kinder und Jugendliche, die am Essen teilnehmen, das Angebot mit Zwei bis Drei, also befriedigend. Doch die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler meidet die Schulkantine, vergibt damit also die Noten Fünf bis Sechs, also mangelhaft oder ungenügend.

Über die Gründe, warum viele Kinder und Jugendliche das Angebot nicht nutzen, können wir spekulieren. Ich behaupte: Nicht wenige Kinder aus armen Familien verzichten, weil sie oder ihre Eltern nicht bei Behörden oder Schulleitungen um Almosen betteln möchten. Sie schämen sich dafür, und viele nehmen deshalb am Schulessen nicht teil. Da hilft auch das Bildungs- und Teilhabepaket nicht wirklich. Wir wissen, dass nicht einmal ein Viertel der Familien, die Anspruch darauf hätten, tatsächlich darauf zurückgreift. Das ist ein Armutszeugnis für unser reiches Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Gemeinschaftsessen, das den sinnvollen Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entspricht, kostet mehr als 1,50 Euro und ist auch für 3,50 Euro nicht finanzierbar. Hier kommt der Antrag der Linksfraktion in die Debatte, mit dem ich gern den Haushalt des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aufstocken möchte. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, eine hochwertige und beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung sicherzustellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sollen in diesen Bundeshaushalt 1,8 Milliarden Euro für lernstarke Mahlzeiten ab Beginn des Schuljahres 2015/2016 eingeplant werden. Für die Folgejahre sind dann jeweils 4,4 Milliarden Euro im Haushalt des jeweiligen Jahres vorzusehen.

Der Bund hat gegenüber allen Kindern eine soziale Fürsorgepflicht und ist für die gesundheitliche Vorsorge verantwortlich. Wer glaubt, die Bundesregierung könne sich hier aus der finanziellen Verantwortung stehlen, der irrt. Wer will, dass alle Kinder gleichermaßen gesund aufwachsen, sich entwickeln und ihre Bildungschancen überhaupt nutzen können, der muss für diese flächendeckende beitragsfreie Verpflegung eintreten. Sie ist unverzichtbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Teilnahme am Gemeinschaftsessen darf nicht am zu kleinen Geldbeutel von Familien scheitern. Die Almosen des Bildungs- und Teilhabepakets reichen nicht für eine gute und abwechslungsreiche Schulverpflegung, insbesondere dann nicht, wenn verbindliche Qualitätsstandards für die Verpflegung festgeschrieben werden sollen, was der Minister erfreulicherweise auch schon angekündigt hat und was ich sehr begrüße. Dass dies hochgesteckte Ziele sind, ist uns klar. Aber gerade deshalb müssen auch die Vernetzungsstellen für die Kita- und Schulverpflegung dauerhaft finanziell gesichert werden. Sie sind personell aufzustocken und ihre Angebote flächendeckend auszubauen. Die Schulen brauchen diese Beratung und diese Hilfestellungen. Die Schulleitungen dürfen mit der Umsetzung nicht alleingelassen werden.

Noch eines. Ich denke, das Thema Mehrwertsteuer - -

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Denken Sie auch an Ihre Redezeit!

Karin Binder (DIE LINKE):
Ich komme zum Ende. - Herr Bundesfinanzminister Schäuble, warum Schulessen im Gegensatz zum Futter für Hund, Katze, Maus noch immer mit 19 Prozent besteuert wird, ist mir ein Rätsel. Vielleicht können Sie es mir erklären. Wir jedenfalls möchten es gern ändern.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)