Rede der entwicklungspolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Heike Hänsel in der Bundestagsdebatte zum Haushaltseinzelplan 23 (Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern, am 20. Juni, war der Tag des Flüchtlings. Frau Wieczorek-Zeul hat eine Presseerklärung dazu herausgegeben. Sie hat darin vor allem auf die Situation der Flüchtlinge in Darfur hingewiesen. Das halte ich für sehr wichtig; denn die Situation ist für sehr viele Menschen katastrophal. Mia Farrow war gestern ebenfalls anwesend und hat darüber sehr eindrücklich berichtet. Ich begrüße diese Initiative. Allerdings vermisse ich, dass Sie am Tag des Flüchtlings kein Wort zu den Flüchtlingen gesagt haben, die Tag für Tag an den Außengrenzen der Europäischen Union ankommen, und dass Sie sich nicht dazu geäußert haben, wie wir mit diesen Flüchtlingen umgehen. Wie reagiert die EU auf diese Flüchtlinge? Wir schicken jetzt sogar mobile Eingreiftruppen auf die Kanarischen Inseln. Man muss sich das einmal vorstellen: Wo Touristen ihren Urlaub verbringen, werden Flüchtlinge mit Schiffen abgefangen, um sie dann in ihr Heimatland zurückzubringen. Es gab vor kurzem einen sehr guten und eindrücklichen Bericht in der „tageszeitung“ über die Situation von Kleinfischern im Senegal, deren Existenzgrundlage zunehmend bedroht ist. Sie haben keine Einnahmequellen mehr, weil große EU-Fischereiflotten für eine enorme Überfischung im Hoheitsgebiet dieses Landes sorgen und schwimmende Fischfabriken in dieser Region Tag für Tag Fisch verarbeiten. Was unternehmen diese Fischer nun? Sie vermieten ihre Boote, mit denen sie früher Fisch gefangen haben, an Flüchtlinge für die Überfahr Richtung Europa. Damit kommen Menschen an unseren Außengrenzen an. Was ist unsere Antwort darauf? Zunehmend haben wir darauf eine militärische Antwort parat. Da stellt sich die Frage, warum wir Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker keine andere Antwort haben und warum wir vor allem keine grundsätzlichen Debatten führen. (Beifall bei der LINKEN) Es stellt sich außerdem die Frage nach den Strukturen unserer Wirtschaftsordnung. Wir haben auch heute gehört, dass wir sie im Zuge der EU-Verfassung weiterentwickeln wollen. Das neoliberale Modell soll ausgebaut werden, obwohl es sehr viele Probleme verursacht, für die wir keine Lösungen haben. Trotzdem entwickeln wir diese Politik konsequent weiter. Wir müssen uns weiterhin die Frage stellen: Kann mit der jetzigen Weltwirtschaftsordnung das durch die Vereinten Nationen verbriefte Recht der Menschen auf Entwicklung gewährleistet werden? Die Antwort lautet ganz klar Nein. Deshalb müssen wir grundsätzliche Alternativen dazu entwickeln. (Beifall bei der LINKEN) Bei dieser und bei der letzten Debatte ist mir aufgefallen, dass wir die Millenniumsziele, die wir verabschiedet haben, überhaupt nicht thematisieren. Den ganzen Tag über gab es kein Wort dazu, wie die Armutsbekämpfung angegangen werden soll. Was sind unsere Antworten und wo setzen wir der Armut etwas entgegen? (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir diskutieren doch gerade darüber!) Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Aber halten Sie sich ansonsten bitte zurück! (Beifall des Abg. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie haben jetzt vielen aus dem Herzen gesprochen! Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Das stimmt!) Ja, genau. Die Antwort ist der freie Markt, mit dem anscheinend alle Probleme gelöst werden können. Aber er verursacht immer mehr Probleme, und das längst nicht mehr nur in den armen Ländern des Südens, sondern mittlerweile auch in unserer Region. Daher wollen wir an Alternativen anknüpfen, die es in vielen anderen Ländern gibt. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die zunehmende weltweite Militarisierung. Die Entwicklungspolitik muss sich die Frage stellen, ob sie sich dafür instrumentalisieren lässt. Ganz aktuell stellt sich die Frage nach der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Trotz der Verschärfung der Situation in Afghanistan gibt es weiterhin eine sehr enge Verknüpfung zwischen zivilen und militärischen Aufgaben. Ich sehe darin eine sehr große Gefährdung der dort arbeitenden Menschen und außerdem besteht die Gefahr, dass die Interessen der Entwicklungspolitik instrumentalisiert werden. Dem müssen wir eine ganz klare Absage erteilen. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen uns auch mit dem dahinterstehenden Sicherheitsbegriff auseinander setzen. Auch das wurde heute mehrmals erwähnt. Wir müssen den Sicherheitsbegriff erweitern, ohne militärische Aspekte einzubringen. Es wird nämlich weltweit keine militärische Sicherheit geben, wenn es keine Weiterentwicklung der sozialen Sicherheit gibt. In diese Sicherheit müssen wir viel mehr investieren. Aber wenn wir uns den Haushalt anschauen, dann können wir erkennen, dass er das überhaupt nicht hergibt. (Beifall bei der LINKEN) Ein aktuelles Beispiel ist der Kongo. Wir schicken 1 500 Soldaten in den Kongo. Wir entsenden aber nur 200 zivile Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter dorthin. Das ist eine völlige Verkehrung der Aufgabe, die wir dort haben. So wird eine völlig falsche Gewichtung vorgenommen. Da ich nicht sehe, dass von der auswärtigen Politik Antworten in diesem Bereich gegeben werden, ist es die Aufgabe von Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitikern, sich für den Aufbau neuer Instrumente der zivilen Konfliktlösung einzusetzen, sowohl auf internationaler Ebene, also auf UNO-Ebene, als auch nationaler Ebene. Wir selbst haben uns für die Erhöhung der Mittel für den zivilen Friedensdienst eingesetzt. Eine deutliche Aufstockung wäre angebracht; diese hat es leider nicht gegeben. Es konnte gerade der Status quo beibehalten werden. Gleichwohl wäre es von entscheidender Bedeutung, viel mehr in diesen Bereich zu investieren, weil so ganz andere Möglichkeiten für Konfliktlösungen entwickelt werden könnten. Zum Haushalt möchte ich noch ganz kurz Folgendes sagen: (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist ja auch eine Haushaltsdebatte!) Erster Punkt. Es ärgert mich schon, dass bei der ODA-Quote Entschuldungsmaßnahmen und die Tsunamihilfe angerechnet wurden. Das halte ich nicht für seriös. (Jochen Borchert (CDU/CSU): Was?) Es handelt sich um Extraposten, die nicht dafür benutzt werden dürften, die ODA-Quote zu erhöhen. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Aber selbstverständlich!) Statt sie durch einmalige Zahlungen zu erhöhen, müssten vielmehr feste Ausgabeposten im Haushalt eingeplant werden. In dieser Frage gibt es auch überhaupt kein Gegenargument; das räumt selbst die Ministerin ein. Zweiter Punkt ist, dass keine neuen Finanzierungsmechanismen wie zum Beispiel die Flugticketabgabe, deren Einführung auch wir unterstützen, vorgesehen werden. Frau Ministerin, wenn Sie sich dafür einsetzen, sichere ich Ihnen unsere Unterstützung zu. Ich finde, die Flugticketabgabe ist längst überfällig. Ein aus unserer Sicht interessanter Punkt ist es, dass es in Ländern auf anderen Kontinenten Alternativen gibt. Ich denke da zum Beispiel an Lateinamerika. Es gab den EU-Lateinamerika-Gipfel. Dort haben wir uns dafür engagiert, dass kein Freihandelsabkommen zustande kommt. Wir glauben nämlich, dass es in Lateinamerika nun vermehrt zu selbstbestimmter Entwicklung kommt. Wir halten zum Beispiel die Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölreserven in Bolivien für einen der besten Beiträge zur Entwicklungspolitik der letzten Jahre. (Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie haben ja keine Ahnung!) Es gibt dort weitere neue Ansätze, von denen Sie keine Ahnung haben. Sie beziehen mittlerweile völlig altbackene Positionen, weil Sie in keiner Weise für eine selbstbestimmte Entwicklung eintreten. (Beifall bei der LINKEN Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Was reden Sie denn?) Sie sitzen hier im Parlament, machen schlaue Sprüche, aber sind nicht bereit, in Gesellschaften zu investieren, um neue Prozesse anzustoßen. (Gabriele Groneberg (SPD): Das stimmt doch überhaupt nicht!) Beispielsweise über regionale Integration wird anderswo versucht, neue Antworten zu geben. (Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Das haben wir letzte Woche in Darfur gesehen!) Das ist eine andere Frage. Was Sie machen, ist im Grunde genommen überholt. Sie kommen mit alten Antworten, obwohl es neue Ansätze gibt. An diese wollen wir anknüpfen. Wir werden die Menschen in Lateinamerika unterstützen und sehen uns als Teil einer Bewegung, die für die Umsetzung solcher Ansätze in Europa eintritt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN)
Entwicklungspolitik muss Alternativen zur Weltwirtschaftsordnung formulieren.
Rede
von
Heike Hänsel,