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Entschuldung - Voraussetzung für Entwicklung

Rede von Hüseyin Aydin,

Der OECD-Bericht kritisiert den mangelnden strategischen Ansatz der deutschen Entwicklungspolitik. Es geht um die Effektivierung der Armutsbekämpfung. Es gibt einzelne Länder, vor allem in der Sahelzone, wo die deutsche Entwicklungszusammenarbeit durch ein umfassendes und zusammenhängendes Konzept zur Armutsbekämpfung überzeugt. Leider ist die deutsche Entwicklungspolitik in ihrer Gesamtheit aber alles andere als optimal aufgestellt. Der Anteil der armutsrelevanten Kernbereiche Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung betrug 2005 zusammengenommen deutlich weniger als 25 Prozent der Mittel für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Hüseyin Aydin in der Debatte zur Entwicklungszusammenarbeit.

"Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP fordert in ihrem Antrag mehr Zielgenauigkeit und Effektivität in der deutschen Entwicklungshilfe. (Dr. Karl Addicks [FDP]: Das ist doch gut!) - Wer würde dem widersprechen? Sie haben Recht. Niemand ist gegen mehr Effizienz. Sie wollen jedoch den Eindruck vermitteln, als behindere allein die mangelnde Effizienz die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele. Das ist Unsinn. Die Millenniumsentwicklungsziele sehen die Halbierung der Zahl der weltweit Hungernden und extrem Armen bis zum Jahr 2015 vor. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen zunächst einmal mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Dazu sagt die FDP aber keinen Ton. Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der EU auf einen Stufenplan zur Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2015 verpflichtet. Die Bundesregierung behauptet heute, der erste Schritt sei getan. Mit 0,35 Prozent sei das Etappenziel in diesem Jahr sogar übertroffen worden. Das ist Augenwischerei. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Rechnen muss man schon können!) Kollege Raabe, in Wirklichkeit wurde diese scheinbare Erhöhung nur dadurch erreicht, dass dem Irak und Nigeria Schulden erlassen wurden. Darauf hat Herr Ruck hingewiesen. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sind es 0,35 Prozent oder nicht?) Dieser Erlass wurde auf die öffentlich geleistete Entwicklungshilfe angerechnet. Die OECD hat festgestellt, dass die deutsche Entwicklungshilfe, bereinigt um die Mittel des Schuldenerlasses und der Wechselkurseinflüsse, zwischen 2004 und 2005 um fast 10 Prozent abgenommen hat. Ich wiederhole: minus 10 Prozent. Das ist nicht meine Berechnung. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Wir von der Linksfraktion sind für die umfassende Entschuldung von Drittweltländern. (Beifall bei der LINKEN) Viele afrikanische Staaten werden von einer Schuldenlast erdrückt. Entschuldung ist die Voraussetzung für Entwicklung. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Deshalb ist auch die ODA-Anrechnung richtig!) Kollege Raabe, nehmen wir das Beispiel Mosambik. Der deutliche Anstieg der Einschulungsrate in Mosambik steht in einem engen Zusammenhang mit der Entschuldung des Landes. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Richtig!) Doch ohne den Bau neuer Schulen, ohne Mittel für die Ausbildung von Lehrern wird die Entschuldung nicht greifen. Entschuldung kann die Bereitstellung echter, frischer Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit nicht ersetzen. Bundesministerin Wieczorek-Zeul hat offenbar vergessen, dass sie diesem Punkt bis vor kurzem zustimmte. Im März 2002 hat sich die Bundesregierung im mexikanischen Monterrey darauf eingelassen, Schuldenerlasse nicht auf die ODA-Quote anzurechnen. (Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]) Leider hält sich die Bundesregierung heute nicht mehr daran. Sie erklärt das sogar zu einem großen Fortschritt auf dem Weg zur Erfüllung der gesteckten Entwicklungsziele. Frau Ministerin, ich frage Sie: Ist das der Preis, den Sie für die große Koalition zahlen müssen? Der OECD-Bericht kritisiert den mangelnden strategischen Ansatz der deutschen Entwicklungspolitik. Es geht um die Effektivierung der Armutsbekämpfung. Es gibt einzelne Länder, vor allem in der Sahelzone, wo die deutsche Entwicklungszusammenarbeit durch ein umfassendes und zusammenhängendes Konzept zur Armutsbekämpfung überzeugt. Die Frauen und Männer von der GTZ leisten in einem Land wie Burkina Faso hervorragende Arbeit. Dort trägt das Programm "Landwirtschaftliche Entwicklung" zur Sicherung der Ernährungsgrundlagen bei. Hier werden die Folgen der Armut, die eine unsoziale und ungerechte Weltwirtschaftsordnung immer von neuem erzeugt, unmittelbar bekämpft. Ich empfinde es als angebracht, an dieser Stelle - ich hoffe, ich spreche im Namen aller Abgeordneten im Deutschen Bundestag - den Entwicklungshelfern für ihren Einsatz Anerkennung und Dank auszusprechen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) Leider ist die deutsche Entwicklungspolitik in ihrer Gesamtheit aber alles andere als optimal aufgestellt. Der Anteil der armutsrelevanten Kernbereiche Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung betrug 2005 zusammengenommen deutlich weniger als 25 Prozent der Mittel für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Die FDP kommt mit ihrem Antrag kritisch daher. Sie fordert die Überprüfung des Verhältnisses "zwischen technischer und finanzieller Zusammenarbeit" um "belastende ... Bürokratie zu verringern". Wer ist schon für belastende Bürokratie? Selbst die Linke nicht. Wenn die FDP die Verschlankung des Staates fordert, dann ist der Stellenabbau nicht weit. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir sagen: Effizient ist das, was den Armen in der Dritten Welt hilft. Wenn eine Fusion von technischer und finanzieller Zusammenarbeit in der deutschen Entwicklungshilfe dem Kampf gegen Hunger, dem Kampf gegen Aids und dem Bau neuer Abwassersysteme dient, dann unterstützen wir das. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern. Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Ich komme zum letzten Absatz. Der OECD-Bericht merkt kritisch an, Deutschland möge über Möglichkeiten zur Freisetzung zusätzlicher öffentlicher Haushaltsmittel für die Entwicklungsarbeit nachdenken, sprich: nicht nur auf dem Papier, sondern real die Entwicklungshilfe steigern. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege! Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Doch diese Kritik hat die FDP in ihrem Antrag gern übersehen. Zu einem Antrag, der von Effektivität redet, aber Abbau der Entwicklungshilfe meint, können wir nur Nein sagen. (Beifall bei der LINKEN)"