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Elterngeld Plus ja - aber bitte für Alle!

Rede von Jörn Wunderlich,

55. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. September 2014, TOP 19

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, Drs. 18/2583, 18/2625

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwesig, Sie haben den Gesetzentwurf schön dargestellt, mit den Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern sollen - Maßnahmen, welche die Linke schon seit langem fordert, wie Flexibilisierung der Elternzeit, Abschaffung des doppelten Anspruchsverbrauchs bei Teilzeit während der Elternzeit. Somit steht meine Fraktion der geplanten Reform grundsätzlich positiv gegenüber. Im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung besteht aber erheblicher Nachbesserungsbedarf. Dem wird in den Beratungen, auf die auch Sie sich freuen, hoffentlich entsprechend positiv entsprochen.

Ich will nur einige Punkte aufgreifen. Zum Thema Alleinerziehende. Frau Schwesig, Sie haben ausgeführt, dass auch diese in den Genuss der Partnermonate kämen. Sie haben aber wohlweislich die Voraussetzungen dafür unterschlagen; denn die sind äußerst kritisch zu bewerten. Hier wird an der alten Regelung festgehalten, die an das alleinige Sorgerecht bzw. das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht anknüpft.

                                   (Dr. Carola Reimann (SPD): Da machen wir noch was!)

Seit 2013 wurde durch die Sorgerechtsreform der Bundesregierung aber ein anderes Leitbild für das Sorgerecht verankert. Der Gedanke der gemeinsamen elterlichen Sorge sollte wieder in den Vordergrund des Denkens der Menschen geraten. Einerseits will der Gesetzgeber die gemeinsame elterliche Sorge von nicht oder nicht mehr miteinander verheirateten Paaren etablieren, andererseits schließt er eben diese beim Bezug der Partnermonate und des Partnerschaftsbonus aus. Hier werden Alleinerziehende, die ohnehin schon über Gebühr gefordert sind, entgegen des neu verankerten Leitbildes gezwungen, sich von eben diesem zu verabschieden nach dem Motto „Willst du die gemeinsame Sorge für dein Kind teilen, musst du dich von den finanziellen Vorteilen in Form von Bonizahlungen oder Partnermonaten verabschieden“.

Eine weitere Benachteiligung für Alleinerziehende stellt der angegebene Stundenumfang der Teilzeiterwerbstätigkeit dar. 25 bis 30 Wochenstunden Erwerbstätigkeit je Elternteil für ein Elternpaar sind nicht mit 25 bis 30 Wochenstunden Erwerbstätigkeit für einen alleinerziehenden Elternteil zu vergleichen. Das Familienministerium hat in seinem Dossier zur Müttererwerbstätigkeit selbst festgestellt, dass alleinerziehende Mütter mit Kleinkindern im Schnitt nur sieben Stunden pro Woche arbeiten. Nun wissen wir alle, was Durchschnitt heißt: Der See war im Durchschnitt 80 Zentimeter tief, trotzdem ist die Kuh ertrunken. Im Ergebnis bedeutet das, dass nur einem sehr geringen Teil von Alleinerziehenden ‑ in der Regel sind das Mütter ‑ der Vorteil von zusätzlichen Monaten Elterngeld zugutekommt.

Die Intention, Frau Schwesig, die dahintersteckt ‑ Sie haben in einer Fragestunde ausgeführt, dass Sie keine Minijobs, sondern existenzsichernde Arbeit fördern wollen ‑, kann ich verstehen. Aber es entspricht nicht den realen Gegebenheiten. Diese Regelung als Beitrag zu sehen, damit Frauen ihre Wochenarbeitsstunden erhöhen, kann ich nicht nachvollziehen. Mit dieser Regelung werden weder mehr Arbeitsplätze noch mehr Kitaplätze geschaffen. Ich hoffe, dass wir auch in diesem Zusammenhang in den Beratungen zu adäquaten Lösungen kommen, wozu natürlich auch flankierende Maßnahmen wie der Kitaausbau gehören.

Zum Thema Mehrlingsgeburten. Im vorliegenden Gesetzentwurf steht: Mit der gesetzlichen Präzisierung soll einem Urteil des Bundessozialgerichtes von 2013 nachgekommen werden, indem festgelegt wird, dass bei Mehrlingsgeburten nur ein Elterngeldanspruch entsteht. Somit entsteht künftig ein Elterngeldanspruch pro Geburt und nicht pro Kind. Im Urteil des Bundessozialgerichts ‑ man kann es in der Begründung nachlesen ‑ steht jedoch ‑ unter Berücksichtigung aller juristischer Auslegungsmethoden ‑ klipp und klar, dass bei Mehrlingsgeburten ein Elterngeldanspruch pro Kind entsteht.

Das Bundeselterngeldgesetz fußt auf dem Bundeserziehungsgeldgesetz, hat dieses quasi abgelöst. Im Gesetz wurde damals expressis verbis festgelegt, dass das Bundeserziehungsgeld für jedes Kind gezahlt wird, wenn mehrere Kinder in einem Haushalt großgezogen werden. Demnach ist diese „Geburtenzahlung“ ‑ so will ich sie einmal nennen ‑ nach Auffassung des Bundessozialgerichts eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung nach Artikel 3 Grundgesetz.

Zur gesetzlichen Präzisierung. Warum wird dies so gemacht? Sagen Sie es doch einfach! Das ergibt sich nämlich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage meiner Fraktion zu den finanziellen Auswirkungen des Elterngeld Plus. In der Antwort hieß es, dass Mehrausgaben in Höhe von etwa 96 Millionen Euro zu erwartet seien, aber durch die neue Regelung in Bezug auf Mehrlingsgeburten mit Minderausgaben in Höhe von 100 Millionen Euro zu rechnen sei. Insgesamt werden die Einsparungen bis 2018 auf 170 Millionen Euro geschätzt. Hier wird wieder einmal den einen Familien etwas weggenommen, was den anderen zugutekommen soll. Ein Hoch auf die so hochgepriesene schwarze Null.

Zur Flexibilisierung der Elternzeit. Die Flexibilisierung der Elternzeit mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme bis zum vollendeten achten Lebensjahr begrüßen wir ausdrücklich. Eine solche Flexibilisierung haben wir schon seit Jahren gefordert. Wir wollten sie eigentlich nur bis zur Einschulung ‑ wir haben vorgeschlagen: bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres ‑, jetzt soll die Möglichkeit sogar bis zur Vollendung des achten Lebensjahres bestehen. Das freut uns, auch wenn wir damals mit unserem Antrag verlacht wurden. Aber Die Linke wirkt eben, auch wenn es manchmal etwas länger dauert.

                                                                  (Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss muss ich noch einen Kritikpunkt aufgreifen, und zwar zum Thema ausländische Staatsangehörige mit humanitären Aufenthaltstiteln. Die Bundesregierung greift in dem Gesetzentwurf leider nicht die nötigen Änderungen auf, die der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 10. Juli 2012 angemahnt hat. Dieser hat festgestellt, dass eine Änderung des § 1 Absatz 7 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vorzunehmen ist, weil der Ausschluss von ausländischen Staatsangehörigen mit humanitärem Aufenthaltstitel vom Elterngeld verfassungswidrig ist. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts haben alle Personen mit humanitärem Aufenthaltstitel, die bereits länger als drei Jahre in Deutschland leben, einen Anspruch auf Elterngeld, unabhängig von ihrer Integration in den Arbeitsmarkt. Auch hier besteht Änderungsbedarf, um den aktuell bestehenden verfassungswidrigen Ausschluss vom Bezug von Elterngeld zu beenden.

                  (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Kritikpunkte ‑ das muss ich sagen ‑ werden von etlichen Familienverbänden geteilt. Beispielhaft will ich anführen den Verband Alleinerziehender Mütter und Väter, die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie, den Familienbund der Katholiken, den Verband binationaler Familien und Partnerschaften ‑ und und und. Na ja, sogar das Bundessozial- und das Bundesverfassungsgericht teilen unsere Kritikpunkte. Wir können doch nicht alle falsch liegen.

Liebe Kollegen, Sie sehen schon: Es gibt im Rahmen der Gesetzesberatungen noch einiges zu tun. Ich setze meine Hoffnung wieder einmal auf die Beratungen im Ausschuss und hoffe, dass es nicht wieder Jahre dauert, bis sich gute Regelungen durchsetzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

                                       (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)