Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen Drucksache 18/4347
TOP 25 am 18. Juni 2015 – Rede Jörn Wunderlich (zu Protokoll), Fraktion DIE LINKE.
Anrede,
mit diesem Gesetzentwurf sollen drei Rahmenbeschlüsse des Rates umgesetzt werden, der Rahmenbeschluss 2008/909/JI vom 27.11.2008 (Grundsatz, dass freiheitsentziehende strafrechtliche Urteile in den jeweils anderen EU-Mitgliedsstaaten anerkannt und vollstreckt werden), der Rahmenbeschluss 2008/947/JI vom 26.02.2009 (Grundsatz, dass Bewährungsmaßnahmen und alternative Sanktion aufgrund von strafrechtlichen Urteilen in den jeweils anderen EU-Mitgliedsstaaten überwacht werden) und der Rahmenbeschluss 2009/299/JI vom 27.02.2009 (im Wesentlichen Grundsatz, dass Entscheidungen, die im Anschluss an eine strafrechtliche Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist, in den jeweils anderen EU-Mitgliedsstaaten anerkannt werden)
Die Umsetzung soll in Deutschland durch Änderungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) erfolgen. Darüber hinaus sollen noch weitere Änderungen im Recht der Vollstreckungshilfe vorgenommen werden, z.B. zur Ermöglichung der Vollziehung freiheitsentziehender Sanktionen, deren Höhe das nach Deutschen Recht angedrohte Strafmaß übersteigt oder wo das zugrundeliegende ausländische Verfahren sogar bestimmte rechtstaatliche Mindestgarantien verletzt hat.
Im Grunde stellt der Gesetzentwurf eine Einführung eines europäischen Strafrechts durch die Hintertür dar. Als Konsequenz der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss das Strafrecht als Kernbefugnis aber bei der Bundesrepublik als Mitgliedsstaat der EU verbleiben, solange das Grundgesetz Geltung hat. Ein europäisches Strafrecht ist daher nur denkbar, wenn die Bundesrepublik sich eine neue gesamtdeutsche Verfassung gibt, die auch eine weitgehende Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die EU erlaubt oder wenn alle Staaten der EU die an den Grundrechten der Bundesrepublik orientierten Kernelemente und Grundideen des deutschen Straf- und Strafprozessrechts übernehmen. Beides ist gegenwärtig nicht der Fall und auch nicht absehbar.
Mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, wie es in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, werden die sehr unterschiedlichen Rechtsstandards und Rechtsgrundsätze in Strafverfahren in den europäischen Mitgliedstaaten als gleichwertig behandelt, obwohl die Anforderungen - etwa an Beweisverfahren, Beweiserhebungen und Beweisverwertungen - sehr unterschiedlich sind.
Unterschiedlich sind auch die Straftatbestände. Es bestehen in Europa erhebliche Unterschiede bei der Beurteilung der Frage, welches Verhalten überhaupt als strafwürdig zu erachteten ist.
Die Anerkennung und Vollstreckung einer strafrechtlichen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates kann dabei auch zur Folge haben, dass die Bundesrepublik Delikte anerkennt, die sie in der eigenen Rechtsordnung nicht kennt, die ihr Parlament bewusst nicht für strafwürdig befindet, wie beispielsweise den straflosen Schwangerschaftsabbruch.
Überdies scheint höchst fraglich, dass ausländische Urteile gegen eine entsprechend § 19 StGB schuldunfähige Person oder eine nach § 3 unseres Jugendgerichtsgesetzes strafrechtlich nicht verantwortliche Person vollstreckt werden sollen, wenn die verurteilte Person dies beantragt hat, wobei dieser Antrag gleichzeitig nicht zurückgenommen werden kann. Mir stößt da insbesondere die unterschiedliche Altersgrenze der Strafmündigkeit in Europa auf. Ich möchte keine langjährige Freiheitsstrafe gegen Kinder vollstrecken, die als 13-jährige zu Haftstrafen verurteilt worden sind, wie dies in Frankreich möglich ist.
Ähnliches gilt bei der Frage einer etwaigen zur Bewährung auszusetzenden Reststrafe. Bei einer Vollstreckung eines ausländischen Urteils kann bei allen noch so günstigen Prognosen des Verurteilten die Vollstreckung der Reststrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der verurteilende Staat nicht zustimmt.
Der Grundrechtseingriff eines Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern kann nicht auf der Grundlage des Rechts eines anderen Staates vorgenommen werden. Es ist zumindest auf dem Gebiet des Strafrechts eine unverzichtbare Bedingung der Demokratie, dass die Bürgerinnen und Bürger nur solchen Eingriffen in ihre Freiheit ausgesetzt sind, auf deren Regelung sie durch parlamentarische Rechtsetzung Einfluss nehmen konnten. Das erkennt auch das Bundesverfassungsgericht an, wenn es in seiner Lissabon-Entscheidung ausführt: ”Das Strafrecht in seinem Kernbestand dient nicht als rechtstechnisches Instrument zur Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit, sondern steht für die besonders sensible demokratische Entscheidung über das rechtsethische Minimum.”
Daher kann selbst bei der positiven Intention des Gesetzentwurfes, ausländische Strafurteile aus humanitären Gründen im Inland vollstrecken zu können, dem Gesetzentwurf in seiner Gänze nicht zugestimmt werden.
Dem Entschließungsantrag der Fraktion B90/Grüne wird meine Fraktion zustimmen, da er die wesentlichen Bedenken auch meiner Fraktion aufgegriffen hat und versucht, das unterschiedliche Straf- und Prozessrecht in wie sie es selbst beschreiben „möglichst schonender Weise in Einklang“ zu bringen.