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Eine falsche Regierung zur falschen Zeit

Rede von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine kritisiert in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin: »Diese Regierung ist unfähig, die Kernaufgaben unserer Zeit überhaupt anzugehen. Wir müssen nicht die Folgen, sondern die Ursachen der Finanzkrise erkennen und endlich die Weltfinanzmärkte regulieren. Die Außenpolitik muss zum Völkerrecht zurückkehren. Die Wirtschaft muss demokratisiert werden. Wir müssen die sozialen Sicherungssysteme wieder herstellen und wir müssen Altersarmut vermeiden.«

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aufgabe einer Regierungserklärung zu Beginn einer Legislaturperiode ist, die wichtigsten Probleme zu benennen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten, wie diese Probleme bewältigt werden können.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist gelungen!)

Nach unserer Auffassung ist dies nicht gelungen. Vielmehr hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung wesentliche Aufgaben nicht erkannt, geschweige denn Lösungsvorschläge gemacht, wie diese Aufgaben zu bewältigen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich beginne mit der ersten Aufgabe, die sie benannt hat. Sie sagte, die erste Aufgabe sei, die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden. Wer könnte dem widersprechen? Aber ganz entscheidend ist, dass sie die wesentliche Aufgabe außer Acht gelassen hat. Das entwertet völlig ihre Regierungserklärung. Wir müssen nicht zuerst die Folgen ins Auge fassen, sondern die Ursachen der internationalen Finanzkrise erkennen und endlich die Weltfinanzmärkte regulieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es entwertet diese Regierungserklärung völlig, dass dazu keinerlei Vorschläge gemacht worden sind. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die wichtigste Aufgabe unserer Zeit überhaupt nicht erkannt, geschweige denn Lösungsvorschläge dazu gemacht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist schön, wenn wir jetzt ab und zu hören, dass eine Börsenumsatzsteuer auf einmal populär ist. Wir erinnern uns noch gut daran, dass oft von billigem Populismus die Rede war, als wir eine solche Steuer gefordert haben. Es ist ganz schön, dass auch Sie sich nach vielen anderen Staatsmännern zu einer Transaktionsteuer bekennen. Als wir das hier vorgetragen haben, hieß es, das sei unpraktikabel und billiger Populismus. Es ist wunderbar für mich, zu erleben, wer alles sich jetzt zum Keynesianismus bekennt und ihn täglich herunterbetet, nachdem er jahrzehntelang verurteilt worden ist. Jawohl, es ist wahr: Der Keynesianismus rettet zurzeit die Weltwirtschaft mit expansiver Finanzpolitik und expansiver Geldpolitik. Es ist schön, dass Sie das erkannt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nun haben Sie keinerlei Vorschläge gemacht, wie die Weltfinanzkrise zu bewältigen ist, wie die Ursachen zu bekämpfen sind. Ich will einige Vorschläge von unserer Seite machen.

Erstens. Wir brauchen eine neue internationale Leitwährung, die den Dollar ablöst und die geeignet ist, die Währungsspekulationen und das Schwanken der Währungen in der Zukunft mehr oder weniger auszuschließen, zumindest zu mindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Wir brauchen eine Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs. Es kann nicht sein, dass weiterhin auf Knopfdruck Milliarden um den Erdball kursieren und die Weltwirtschaft auf eine Art und Weise zerstören, wie wir es in den letzten Jahren erlebt haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Wir brauchen ein Austrocknen der Steueroasen. Es ist einfach nicht zu fassen, dass an dieser Stelle überhaupt nichts unternommen wird. Vielmehr sieht man tatenlos zu, dass auch mit Milliarden Steuergeldern unterstützte Banken weiterhin Steuerhinterziehung in Steueroasen betreiben. Unglaublich. Diese Regierung ist unfähig, diese Kernaufgaben unserer Zeit überhaupt anzugehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Wir brauchen ein Verbot von Hedgefonds.

Fünftens. Wir brauchen ein Verbot der Schrottpapiere. Solange das nicht der Fall ist, so lange wird die Spekulation weitergehen, so lange wird es Verwerfungen in der Volkswirtschaft geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Sechstens. Es muss die billige Ausrede aufhören, man könne das nur international bewältigen. Zu dieser billigen Ausrede haben sich alle Staatsmänner in den letzten Jahren verstanden. Wir haben hier vor einiger Zeit, im Oktober 2008, eine Antwort der Bundesregierung auf die Frage nach den Deregulierungsmaßnahmen der letzten Jahre erhalten. Es waren 50 Deregulierungsmaßnahmen. Sie sind alle aufgelistet. Wenn Sie mindestens 30 bis 40 davon zurücknähmen, dann würden Sie hier in Deutschland dafür Sorge tragen, dass die Finanzspekulation endlich wieder durch Investitionen in die Realwirtschaft abgelöst wird. Das ist die dringende Aufgabe unserer Zeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Siebentens. Es ist auch endlich geboten, dass Sie nicht Diskussionsverweigerung betreiben und den Kopf immer wieder in den Sand stecken. Hier wird der EU-Vertrag ständig gelobt, gelobt, gelobt, aber ein entscheidender Artikel es EU-Vertrags wird verschwiegen, wird nicht zur Kenntnis genommen und wird in seiner Tragweite überhaupt nicht begriffen. Ich lese ihn Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, vor. Art. 56 heißt:

Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

Mit anderen Worten: Der EU-Vertrag untersagt eine vernünftige Regulierung der Weltfinanzmärkte. Er ist damit absolut unzeitgemäß.

(Beifall bei der LINKEN)

Entscheidend ist aber, dass es den Regierungen dieser Welt nicht gelingt, die Regulierung der Finanzmärkte nach vorne zu bringen. Es ist schon so - ich zitiere ihn noch einmal -, dass Tietmeyer ein Seher war. Er sagte einmal: Sie alle unterliegen jetzt der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte. - Daran hat sich nichts geändert. Die internationalen Finanzmärkte und die Finanzindustrie bestimmen die Politik, und nicht Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie sind im Grunde genommen, wenn man so will, nur dazu da, irgendwelche Allgemeinplätze abzusondern. Die Presse weltweit schreibt: Die Banken machen weiter wie bisher. - Das ist ein großer Skandal. Die nächste Blase wird vorbereitet.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Aufgabe, die Sie angesprochen haben, hat mich jetzt doch fasziniert. Sie sagten: Wir müssen das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Staat verbessern. Donnerwetter, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass Sie zu dieser Einsicht kommen. Wir haben eine ganz andere Sichtweise. Wir glauben, wir müssen das Verhältnis der Bundeskanzlerin und der sie tragenden Parteien zu den Bürgerinnen und Bürgern dieses Staates verbessern. Das ist eine ganz andere Herangehensweise.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müssen endlich einmal die Lebensbedingungen der Menschen in diesem Lande zur Kenntnis nehmen und dann Vorschläge unterbreiten, wie diese Lebensbedingungen verbessert werden können. Das ist Ihre Aufgabe, anstatt zu sagen, wir müssten das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat verbessern. Nein, Sie müssen endlich Ihr Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes verbessern und zur Kenntnis nehmen, was eigentlich ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann hätten Sie beispielsweise gesehen, dass die Hauptbetroffenen der verfehlten Politik der letzten Jahre die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter waren. Kein Wort zu diesem Skandal. Wir als Partei Die Linke bleiben dabei, dass die Leiharbeit verboten oder zumindest weitgehend reduziert werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man sich schon nicht zu dieser Lösung versteht, dann sollte man sich an Frankreich ein Beispiel nehmen, wo es einen Risikoaufschlag für Leiharbeiter gibt. Die erhalten sogar mehr als ihre Kollegen. Oder man sollte zumindest die englische Lösung nehmen, dass nach sechs Wochen die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter gleichbezahlt werden müssen. Sie sehen nicht, was im Volke los ist. Sie reden allgemein über die Köpfe der Menschen hinweg.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen die befristeten Arbeitsverhältnisse reduzieren. Hier sieht man, dass das, was diese Koalition vorhat, wie die Faust aufs Auge passt: Sie haben überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, was passiert. Wer jetzt noch sagt, wir müssen die befristeten Arbeitsverhältnisse ausweiten, der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.

(Beifall bei der LINKEN)

Die deregulierten Arbeitsmärkte sind die Hauptursache für die Zerstörung der Familien in unserem Lande. Ich sage noch einmal an die selbsternannte Familienpartei CDU: Sie sind verantwortlich für die Zerstörung der Familien in unserem Land; denn junge Leute, die nicht wissen, ob sie in ein paar Monaten noch Geld auf dem Konto haben, können weder eine Familie gründen noch Kinder in die Welt setzen. So einfach ist der Zusammenhang. Sie wollen die befristeten Arbeitsverhältnisse auch noch ausweiten und reden dann von der Pflege der Familien.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen endlich den gesetzlichen Mindestlohn. Obwohl in diesem Lande formal viele Jahre lang eine Mehrheit dafür war - das sage ich auch an SPD und Grüne hier im Parlament gerichtet -, ist es wirklich bedauerlich, dass wir es nicht zustande gebracht haben, den gesetzlichen Mindestlohn zu beschließen. Es ist eine Schande für eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt, dass immer mehr Menschen acht Stunden am Tag arbeiten, ohne sich oder ihre Familie ernähren zu können.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Neuntens. Wir müssen endlich die Hartz IV-Sätze für Kinder erhöhen. Das wäre die wichtigste Aufgabe. Es kann in unserem Land doch nicht die Aufgabe sein, das Kindergeld für Besserverdienende zu erhöhen. Wo sind wir eigentlich? Wenn man ein soziales Gesicht haben möchte, dann muss man dort anfangen, wo die Not am Größten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Zehntens. Wir müssen der immer weiteren Ausbreitung des Niedriglohnsektors entgegenwirken. Es ist doch eine Schande - wir konnten es heute lesen -: Ende der 1990er-Jahre hatten die Niedriglöhner 64 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens; heute sind es nur noch 53 Prozent. Die Niedriglöhner haben also fast nur noch die Hälfte des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens, und Sie, Frau Bundeskanzlerin, stellen sich noch nicht einmal dieser Frage. Ich möchte nur sagen: Die Ursache ist das Lohndumping, ausgelöst durch eine Formel für die Zumutbarkeit von Arbeit. Diese Formel besagt: Du musst jede Arbeit annehmen, sei sie noch so schlecht bezahlt und sei sie noch so weit unter deiner Qualifikation. Diese Zumutbarkeitsregel muss weg. Zu Deutsch: Hartz IV muss weg. Wir als Partei Die Linke hier im Deutschen Bundestag bleiben dabei.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir glauben, dass es jetzt - das ist eine Aufgabe, die ich ansprechen möchte, weil Sie sie nicht angesprochen haben - Aufgabe ist, die Wirtschaft endlich zu demokratisieren. Was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in letzter Zeit erlebt haben, war nicht Freiheit, sondern existentielle Bedrohung und ein Ausmaß an Fremdbestimmung, wie es das in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben hat.

Wir schlagen daher vor, elftens, endlich die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen zurückzunehmen; denn wir haben den unhaltbaren Zustand, dass kleine Betriebe in zehn Jahren fünfmal den Anteilseigner wechseln. Von nachhaltiger Wirtschaft kann in diesem Lande überhaupt nicht mehr die Rede sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Zwölftens. Wir schlagen vor, die Erbschaftsteuer nicht für Millionengeschenke an reiche Erbende zu missbrauchen, sondern sie zu verwenden, um Belegschaftsanteile aufzubauen. Man sollte den Betrieben, die Erbschaftsteuer zahlen müssen, diese Steuer dann erlassen, wenn sie die entsprechenden Mittel in Belegschaftsanteile umwandeln. Das wäre eine Reform, das wäre ein Neuansatz, der endlich einmal dazu führen würde, dass Belegschaften an ihren Betrieben beteiligt werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Dreizehntens. Wir bleiben dabei, dass staatliche Zuschüsse nicht mehr dazu dienen können, den Vermögensaufbau einzelner Privater zu finanzieren. Wir sind der Auffassung: Staatliche Zuschüsse müssen entweder in Staatsanteile oder in Belegschaftsanteile umgewandelt werden, gerade jetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem sind wir der Auffassung, dass wir jetzt daran gehen müssen, die Enteignung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stoppen. Ich sage hier ganz bewusst: Das ist eine Kernaufgabe der nächsten Jahre. Wir müssen die Bilanzierungsvorschriften so ändern, dass der Zuwachs des Betriebsvermögens ab einer bestimmten Betriebsgröße - etwa ab 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - zur Hälfte den Belegschaften und ihren Belegschaftsgesellschaften gutgeschrieben wird. Es darf nicht so weitergehen - ich sage das, weil ich hier gerade die FDP im Blick habe -, dass immer nur Einzelne vom ständigen Zuwachs des Betriebsvermögens profitieren. Die FDP der 1970er-Jahre sah darin eine erhebliche Freiheitsgefährdung. Sie hat Recht: Der Zuwachs des Betriebsvermögens und die schlechte Verteilung führen dazu, dass Einzelne in der Gesellschaft immer mehr abgehängt werden, dass der Niedriglohnsektor immer weiter ausgebaut wird. Genau das gefährdet die Freiheit, und insofern war diese Sichtweise richtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Als dritte Aufgabe haben Sie genannt: Wir müssen Antworten auf die Veränderungen im Altersaufbau finden. Ja, natürlich, das ist richtig. Wir sagen aber, dass die Aufgabe eine ganz andere ist: Wir müssen, vierzehntens, die sozialen Sicherungssysteme wiederherstellen und helfen, Altersarmut zu vermeiden. Was Sie hier zustande gebracht haben, nämlich die Zerstörung der gesetzlichen Rente, war einer der größten Fehler der deutschen Politik in den letzten Jahren.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Fünfzehntens. Wenn man in Zeiten wie dieser daran geht, die Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung auszubauen, dann hat man nichts von der internationalen Finanzkrise verstanden. Wirklich nichts. Es ist doch so, dass die weltweite Umstellung auf Kapitaldeckung dazu geführt hat, dass die Pensionsfonds in großem Umfang spekuliert haben. Das Ende vom Lied ist nun, dass viele ältere Menschen in vielen Ländern ihre Altersvorsorge verloren haben. Wollen wir das auf die Pflegeversicherung ausweiten? Man fasst es nicht, wenn man sieht, in welchem Umfang diese Regierung die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage hier in aller Klarheit: Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen deutlich, dass die gesetzlichen Sicherungssysteme die verlässlichsten sind. Worum geht es, wenn man die Existenzsorgen der Menschen, die geringe Einkommen haben, aufgreifen und Lösungsvorschläge anbieten will? Da geht es um den Ausbau und die Stärkung der gesetzlichen Sicherungssysteme und niemals um den Aufbau kapitalgedeckter Systeme. Das wäre ein grundlegender Fehler.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen ist es ökonomisch völliger Unsinn, wenn man in Zeiten, in denen die Binnennachfrage schwach ist und die Reallöhne sinken, die Arbeitnehmer auch noch zwingt, zu sparen. Das ist so kontraproduktiv, dass man wirklich die Frage aufwerfen muss, ob überhaupt die Inhalte, die man im ersten Semester eines Volkswirtschaftsstudiums lernt, den Personen auf der Regierungsbank präsent sind.

Als vierte Zukunftsaufgabe haben Sie genannt: Wir wollen einen zukunftsfesten Umgang mit den weltweit vorhandenen natürlichen Ressourcen entwickeln. Dazu sagen wir als Partei Die Linke: Wenn man das wirklich will, dann darf man, sechzehntens, die Restlaufzeiten von Atomkraftwerken nicht verlängern. Das ist doch das Gegenteil von dem, was dann erforderlich wäre.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer die Vision einer atomwaffenfreien Welt hat, meine Damen und Herren, aber gleichzeitig die Restlaufzeiten von Atomkraftwerken verlängern will, der versteht entweder die Technologie nicht oder weiß nicht, was er will. Wer eine atomwaffenfreie Welt will, muss, siebzehntens, auch dafür sorgen, dass die Stromversorgung in Zukunft ohne Atomkraftwerke sichergestellt wird. Denn genau diese sind Voraussetzung dafür, um den Stoff herzustellen, den man zum Bau der Bombe braucht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich müssen wir erneuerbare Energien aufbauen. Aber noch wichtiger ist - das ist der achtzehnte Programmpunkt, den ich hier vortragen möchte - eine Rekommunalisierung der Energieversorgung. Es war ein großer Fehler, Monopole zuzulassen, die nun in schamloser Weise abzocken. Wir brauchen eine Rekommunalisierung der Energieversorgung und eine staatliche Kontrolle der Energiepreise, um diese Abzocke endlich zu beenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Als letzte Aufgabe haben Sie genannt: Sie wollen das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit weiter festigen. Dazu gibt es eine ganz entscheidende Voraussetzung, die ich hier benennen will. Die entscheidende Voraussetzung ist, dass die deutsche Außenpolitik im Sinne Kants - ich nenne ihn einmal bewusst - wieder zum Völkerrecht zurückkehrt, weil das Völkerrecht die Grundlage von Freiheit und Sicherheit für alle Völker dieser Erde ist.

(Beifall bei der LINKEN)

In Ihrer Regierungserklärung gab es eine ganz verräterische Formulierung: Ziemlich am Anfang steht, die Frage der Zukunft sei, wer sich den Zugriff - ich betone das Wort „Zugriff“ - auf Rohstoffe und Energiequellen sichere. Es geht nicht um den „Zugriff“ auf Rohstoffe und Energiequellen, es geht um die friedliche Nutzung. Angesichts der Kriege der letzten Jahre sagen wir: Wir halten es für völlig falsch, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland in imperiale Kriege zur Sicherung von Rohstoffquellen einspannen lässt. Das war der Fehler der Außenpolitik der letzten Jahre.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie reden davon, sie seien eine christlich-liberale Koalition der Mitte oder was auch immer. Wenn man das Wort „Christentum“ in den Mund nimmt, dann sollte man begriffen haben, Frau Bundeskanzlerin - das ist nicht zum Lachen -, dass man alle Anstrengungen unternehmen muss, um endlich die Waffenexporte zurückzuführen. Diese sind doch die Grundlage für vieles Elend in der Welt. Warum verstehen Sie das nicht?

(Beifall bei der LINKEN)

Meine letzte Bemerkung bezieht sich auf Afghanistan. Wir sind jetzt viele Jahre dort im Krieg; das haben wir immer so gesehen. Ich habe immer wieder gesagt, dass ich durchaus unterstellt habe, dass es die eine oder den anderen gab, die der Auffassung waren, dass man mit diesen Militäreinsätzen Gutes bewirken könne. Aber nach so vielen Jahren muss man doch bereit sein, wie es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten im Falle des Irak oder jetzt in Bezug auf Afghanistan in mehreren Staaten der Welt bereits geschehen ist, zu erkennen, dass dieser Weg falsch war. Wir können diesen Krieg nicht gewinnen. Man kann die Stammesgesellschaft Afghanistans nicht zwingen, eine westliche Demokratie aufzubauen. Sie kämpfen dort gegen eine Kultur, und diesen Kampf können Sie nicht gewinnen. Begreifen Sie das doch endlich!

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sagen wir: Es ist wirklich ein schwerer Fauxpas, dass der neue Bundesverteidigungsminister - ich sehe ihn im Moment nicht auf der Regierungsbank - gesagt hat, das Unglück von Kunduz, wie ich es nenne, sei „angemessen“ gewesen. Ich sage hier für meine Fraktion: Eine Militäraktion, bei der unschuldige Zivilisten ums Leben kommen, ist niemals angemessen. Wir sollten eine solche Sprache aus diesem Parlament verbannen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sagen Ihnen: Ziehen Sie die Truppen aus Afghanistan zurück! Es wäre an der Zeit; Sie sollten nicht warten, bis die Diskussion in Amerika so weit ist, dass man den Afghanistan-Krieg beenden will.

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung die wichtigen Aufgaben unserer Zeit weder genannt noch Lösungen vorgeschlagen. Diese Regierung ist eine falsche Regierung zur falschen Zeit.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)