Zum Hauptinhalt springen

Doris Achelwilm: Queere Menschen im Grundgesetz schützen

Rede von Doris Achelwilm,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FDP, Grüne und meine Fraktion, Die Linke, wollen die im Grundgesetz als Lehre aus der Geschichte aufgeführten Schutzmerkmale gegen Diskriminierung – von Geschlecht bis politische Anschauung, seit 1994 auch Behinderung – um den Punkt „sexuelle Identität“ ergänzen.

Wir sind nicht allein. Im September letzten Jahres sprachen sich die Sachverständigen in der Anhörung des Rechtsausschusses für eine Ergänzung des Gleichheitsartikels aus. Viele Landesverfassungen haben entsprechende Formulierungen, andere Nationen wie Portugal und Schweden auch. Die Debatte wird seit Bestehen des Grundgesetzes geführt. Hundert Organisationen fordern die Änderung noch in dieser Legislatur, über 80 000 Unterschriften der Petition „Grundgesetz für alle!“ wurden den Fraktionen heute übergeben. Vor diesem Hintergrund den Punkt von der Tagesordnung zu nehmen, ist kaum plausibel zu machen; aber es gibt Ihrerseits offenbar noch Bedenken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein Zitat der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano zu bedenken geben:

"Es waren die Nazis, die Menschen in „unterschiedlich wertvolle“ Kinder, Frauen und Männer klassifizierten. … Nach der Befreiung 1945 riefen wir Überlebenden alle „Nie wieder!“. Für unsere Mitgefangenen mit dem rosa Winkel galt das aber nicht: Sie wurden in den meisten Ländern, auch in Deutschland, weiterverfolgt."

Gesetzliche Grundlage dieser Verfolgung von Homosexuellen war der § 175 StGB. Er existierte vom Kaiserreich bis 1994 in der BRD, während der Nazizeit und bis 1969 in verschärfter Form. In der DDR hatte er eine mildere Entsprechung im deutlich weniger verfolgten § 151. Schwule Männer wurden auch nach dem Naziterror durch die Anwendung dieses Paragrafen massenhaft kriminalisiert, sozial zerstört, verhaftet, vor allem noch in den späten 50ern. Lesbische Frauen und trans Personen wurden psychiatriert und entmündigt. Es hätte diese elende Verfolgungsgeschichte deutlich verkürzt, wenn im Grundgesetz nicht diese traurige Lücke gelassen worden wäre, wenn „sexuelle Identität“ oder ein vergleichbarer Begriff in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes nicht ein Tabu geblieben wäre; es hätte Existenzen gerettet.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

Wir sollten diese Leerstelle nicht länger stehenlassen, aus geschichtspolitischen, antifaschistischen Gründen und weil der verfassungsfeste Schutz von Personen, die aufgrund bestimmter Merkmale verletzlich sind, im Alltag einen Unterschied macht. Eine Grundgesetzänderung verhindert nicht die schlimme Tat im Einzelnen, aber den Hintergrund, das gesellschaftliche Klima. Er verändert das, was schon junge Menschen in der Schule lernen, wenn sie sich mit dem Grundgesetz befassen.

Dass die überfällige Ergänzung 1994 scheiterte, obwohl die Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat sie befürwortete, ist bis heute überhaupt nicht gut. Das Versäumte endlich nachzuholen, wäre ein wichtiges Signal, das positiv in die ungewisse Zukunft wirkt, an alle Menschen, die dadurch mehr Anerkennung erfahren, auch an die, die diese Anerkennung verweigern oder mit Füßen treten und dafür keinerlei Legitimation haben dürfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil Mehrheiten unter Umständen bereit sind, Minderheitenrechte preiszugeben, müssen Diskriminierungsverbote fest verankert sein. Worauf warten wir also noch?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)