Zum Hauptinhalt springen

Diskussion um Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen nicht nur auf das Strafrecht reduzieren

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,


Wir bemühen uns um den richtigen Weg, eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung an Mädchen und jungen Frauen wirksam und nachhaltig zu bekämpfen. Genitalverstümmlung ist eine verachtenswerte Praxis, an deren Folgen Frauen ihr Leben lang leiden müssen – sie haben Schmerzen, sind seelisch beschädigt und ihres sexuellen Lustempfindens beraubt. Keine Religion und keine Kultur schreibt Genitalverstümmlung vor, kein Argument zur Rechtfertigung dieser Praxis ist akzeptabel. Deshalb ist es richtig, Mädchen und Frauen davor zu schützen und Rechtsklarheit zu schaffen. Zuallererst für die Opfer, aber natürlich auch für medizinisches Personal und Strafverfolgungsbehörden.


Wir sind auf der Suche nach einem Weg, die Täterinnen und Täter der Schwere der Tat angemessen bestrafen zu können. Gleichzeitig wissen wir, dass es nur sehr selten zur Anzeige und zu Verfahren kommt. In Deutschland, wo Schätzungen zufolge rund 20.000 Frauen von Genitalverstümmlung betroffen und rund 5000 Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund davon bedroht sind, hat bisher kein einziges Verfahren stattgefunden. Das liegt nicht an den Lücken im Gesetz, sondern daran, dass dieses Verbrechen nur sehr selten zur Anzeige gebracht wird. Das zeigt aber, dass es notwendig ist, für das Thema zu sensibilisieren und zu ermutigen, dagegen vorzugehen. In Frankreich beispielsweise, wo es seit langem einen entsprechenden Tatbestand gibt, kam es in den letzten 30 Jahren nur zu 36 Gerichtsverfahren.


Wir müssen uns also bei der Abwägung, ob wir das Strafgesetz ausweiten, um Genitalverstümmlung mit härteren Strafen ahnden zu können, auch die Frage stellen, ob diese Erweiterung des Strafrechts geradezu nur symbolischen Charakter hätte. Ob nicht, anstatt auf diesen Weg zu vertrauen, mehr auf Prävention, Aufklärung, Beratung, Hilfe gesetzt werden sollte, was – darüber sind wir uns sicher einig – mehr Geld und mehr Kraft und mehr Zeit kostet, als eine Änderung des Strafrechts.
Das eine zu tun heisst aber nicht das andere zu lassen, insofern müssen wir trotzdem zugleich die Frage beantworten, ob die geltenden Regelungen im Strafgesetz ausreichend sind oder nicht.


Ob das eine – die Änderung des Strafgesetzes - getan werden muss und das andere – mehr Prävention und Aufklärung - nicht unterlassen werden darf, kann heute nicht abschließend beantwortet werden. Deshalb ist es aus unserer Sicht richtig, diese Entscheidung nicht übers Knie zu brechen und abzuwägen.
Abwägen heißt, sich zum Beispiel Folgendes zu vergegenwärtigen: Es ist auf der einen Seite tatsächlich nicht nachvollziehbar, dass Genitalverstümmlung nur, wenn sie zum Wegfall der Fortpflanzungsfähigkeit führt – was selten der Fall ist – als Verbrechenstatbestand ausgestaltet ist und ansonsten aber nicht als dem Verlust eines Körperglieds gleichgestelltes Unrecht nach § 226 StGB gilt. Andererseits bietet auch der bisherige Strafrahmen des § 224 StGB von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe die Möglichkeit eine der Schuld angemessene Strafe zu verhängen. Der Strafrahmen würde ja immerhin eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren zulassen.
Nach geltender Rechtslage kann eine vorsätzliche Genitalverstümmlung nur als gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bestraft werden. Tritt in der Folge kein Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit ein, handelt es sich um keine schwere Körperverletzung nach § 226 StGB. Dies sei, so die Verfasser des vorliegenden Entwurfes des Bundesrats, nicht angemessen, Genitalverstümmlung sollte nach ihrer Ansicht als Verbrechen und nicht als bloßes Vergehen geahndet werden. Der Vorschlag der Grünen (Bundestagsdrucksache 17/4759) führt wegen der regelmäßigen Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren zu aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen, worauf die vorliegende Gesetzentwürfe ebenfalls hinweisen. Dies sieht der Bundesratsentwurf als nicht wünschenswert an, weil es die Opfer unter Umständen davon abhält, Anzeige gegen die Täter/innen (meist die Eltern) zu erstatten.


Wir sind der Meinung, dass die Folge einer Abschiebung nach einer Verurteilung wegen Genitalverstümmlung ausgeschlossen werden muss. Auch im Hinblick auf das Opfer ist eine Ausweisung der Eltern zu verhindern. Diese würde regelmäßig zu einer Verschlechterung der Situation des zum Opfer gewordenen Kindes führen und kontraproduktiv wirken, wie auch die SPD in ihrem Gesetzesentwurf zu Recht feststellt. Diese Gefahr besteht, wenn auch eingeschränkter, beim Vorschlag des Bundesrats ebenfalls.


Die im Rechtsausschuss geplante Anhörung ist abzuwarten, sie wird hoffentlich alle Vor- und Nachteile der verschiedenen Vorschläge umfassend zu Tage bringen.


Wir sind aber vor allem der Überzeugung, dass die Diskussion zu diesem Thema nicht nur auf strafrechtliche Aspekte reduziert werden darf. Unser Hauptaugenmerk sollte darauf liegen, alle Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, um Genitalverstümmlungen zu verhindern. Und zwar nicht nur hierzulande, sondern auch in jenen Ländern, wo bis zu 90 Prozent aller Frauen davon betroffen sind. Mehr Aufklärung, mehr Beratung, mehr Entwicklungshilfe.