Zum Hauptinhalt springen

Diskriminierung widerspricht unseren Grundwerten

Rede von Ilja Seifert,

Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob Diskriminierung verboten oder nur so getan wird, als ob ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot eingeführt wird. Wenn man Diskriminierung wirklich verhindern will, dann muss man gerade ungleich behandeln. Weil die diskriminierten Gruppen benachteiligt sind, muss ihnen eine Chance gegeben werden, diesen Nachteil auszugleichen. Wenn bei ungleichen Verhältnissen alle gleich behandelt werden, dann wird dadurch nur die Ungleichheit reproduziert. Ilja Seifert in der Debatte der Aktuellen Stunde zur Antidiskriminierungsrichtlinie.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Gehb, wenn es in diesem Lande und auf diesem Kontinent Dinge gibt, die fundamental gegen unser Verständnis von Gerechtigkeit verstoßen, dann ist es die Diskriminierung von Minderheiten und nicht die Umsetzung einer Richtlinie. Ich finde, Sie haben das Pferd völlig von hinten aufgezäumt. (Beifall bei der LINKEN) Auf Wunsch der FDP reden wir hier darüber, wie sich die Bundesregierung zur Antidiskriminierungsrichtlinie verhält. Sie, die FDP, möchten sie am liebsten ganz und gar verhindern. Herr Westerwelle, Sie versteigen sich dazu, zu sagen, dass Minderheiten durch diese Richtlinie eher Schaden als Nutzen haben. (Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unglaublich!)  Es ist wirklich unglaublich, was Sie hier sagen. (Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Je weniger Schutz, umso mehr Rechte  das ist die Logik der FDP!) Wenn es wenigstens so wäre, dass die Regierung die Richtlinie eins zu eins umsetzte, dann wäre ich ja schon heilfroh. Schauen wir aber doch bitte einmal nach, worum es überhaupt geht. An einem einzigen Punkt geht die Regierung ein kleines bisschen darüber hinaus, nämlich bei der Aufzählung der betroffenen Gruppen. Bei der Aufzählung der betroffenen Gruppen würde noch zusätzlich dadurch diskriminiert, wenn die einen die Guten und die anderen die Schlechten (Bösen) genannt würden. Ein anderer Punkt ist die Überschrift. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob Diskriminierung verboten oder nur so getan wird, als ob ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot eingeführt wird. Wenn man Diskriminierung wirklich verhindern will, dann muss man gerade ungleich behandeln. (Beifall bei der LINKEN) Weil die diskriminierten Gruppen benachteiligt sind, muss ihnen eine Chance gegeben werden, diesen Nachteil auszugleichen. Wenn bei ungleichen Verhältnissen alle gleich behandelt werden, dann wird dadurch nur die Ungleichheit reproduziert. Das soll aber gerade überwunden werden. Weil die Regierung der Meinung ist, dass es in diesem Lande keine Diskriminierung gibt, weil es sie nicht geben darf, wird das Gesetz auch nicht Diskriminierungsverbot, sondern Gleichbehandlungsgebot genannt. Schon da fällt sie weit hinter die Richtlinie zurück. Es wird also nicht im Verhältnis eins zu eins oder eins zu 1,1, sondern im Verhältnis eins zu 0,5 umgesetzt. Es geht aber noch weiter. Die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU besagt nichts anderes als das, was in Art. 13 des Amsterdamer Vertrages steht, dass nämlich Diskriminierung verboten ist. Was steht in dem von der Regierung vorgelegten Gesetz? Diskriminierung ist mit Ausnahme folgender Punkte verboten. Es folgt unter anderem die Ausnahme, dass es ausreicht, einen so genannten „sachlichen Grund“ geltend zu machen, der dann wieder zu einer Diskriminierung berechtigt. Ein sachlicher Grund ist nach allgemeiner Rechtsprechung in diesem Lande  Herr Westerwelle, Sie sind Jurist genug, um das zu bestätigen  die Angabe, dass die Beseitigung der Diskriminierung zu teuer sei. Die EU-Richtlinie sieht aber nicht vor, dass Diskriminierung erlaubt ist, wenn ihre Beseitigung nur teuer genug ist. Ich nenne ein Beispiel. Wenn vor dem Eingang zum Rathaus drei Treppenstufen sind, dann können die Behindertenorganisationen verlangen, eine Rampe zu bauen; das ist gerade noch möglich. Wenn aber verhindert werden soll, dass Behinderte ins Rathaus kommen, dann werden vor dem Eingang zum Rathaus neun Stufen gebaut; denn dort eine Rampe hinzubauen, wäre viel zu teuer. Also ist es keine Diskriminierung. Diese Denkweise ist doch absurd. (Beifall bei der LINKEN) Demzufolge ist dieser Finanzierungsvorbehalt, der sich hinter dem „sachlichen Grund“ versteckt, abzuschaffen. Dieses Gesetz setzt die Richtlinie nicht um, sondern fällt weit dahinter zurück. Sie aber, Herr Westerwelle, tun ebenso wie Ihre ganze Fraktion so  das ist bedauerlich , als sei das Ganze ein furchtbares und schlimmes bürokratisches Hindernis auf dem Weg zur realen Gleichbehandlung von Menschen mit unterschiedlichen Handicaps. Das Handicap kann beispielsweise auch aus einem Migrationshintergrund bestehen. (Renate Gradistanac (SPD): Sie wollen Gleichbehandlung! Jetzt haben Sie es selber noch einmal betont!)  Nein, ich will keine Gleichbehandlung, sondern ich will Ungleichbehandlung, um am Ende eine Gleichstellung zu erreichen. Das Ziel ist die Gleichstellung, nicht die Gleichbehandlung. (Beifall bei der LINKEN) Genau darüber reden wir; das dürfen wir nicht verwechseln. Ich finde diese Aktuelle Stunde sehr wichtig. Der Impetus darf aber nicht sein, dieses Antidiskriminierungsgesetz zu verhindern, sondern der Impetus muss dahin gehen, dieses Gesetz auszuweiten, sodass Sanktionen wirklich greifen. Momentan enthält dieses Gesetz keinerlei wirksame Sanktionsmöglichkeiten. Es passiert doch gar nichts, wenn nichts passiert. Das ist das Schlimme. Wenn wir wenigstens erreichen würden, dass in der Bevölkerung das Bewusstsein entsteht, es sei unanständig, Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung, (Renate Gradistanac (SPD): Das heißt „sexuelle Identität“, nicht „Orientierung“!) wegen ihrer Behinderung oder wegen ihrer Herkunft zu diskriminieren, dann hätten wir schon etwas erreicht. Aber wenn nichts passiert und Menschen trotzdem diskriminiert werden, dann haben wir wenig erreicht. Deshalb muss dieses Gesetz Möglichkeiten zu Sanktionen enthalten, die bei Verstößen gegen dieses Gesetz zum Einsatz kommen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, hier vor diesem Haus zu reden. Aber ich danke Ihnen überhaupt nicht für den Impetus, den Sie damit verbinden. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ihre Argumentation erschließt sich uns auch nicht immer!)