Das Bundesverfassungsgericht hat kritisiert, dass in Deutschland endlich die rechtlichen Bestimmungen zum Umgangs- und Sorgerecht der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen müssen.Das heißt, das gemeinsame Sorgerecht sollte beiden Elternteilen zustehen, unabhängig vom familienrechtlichen Status der Eltern.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sorgerecht und Sorgepflicht – das ist ein hochemotionales Thema, wenn sich die Eltern getrennt haben. Ich denke, alle, die mit der Thematik befasst waren, haben Schreiben von Vätern, Müttern, Verbänden, Interessengemeinschaften, AGs und sonstigen Betroffenen in Deutschland bekommen. Die einen wollen es so, die anderen wollen es so. In der heutigen Debatte wurde dazu schon viel gesagt.
Denjenigen, die sich mit dem Sorgerecht nicht so gut auskennen, möchte ich einen kleinen Einblick geben, wie es sich überhaupt entwickelt hat, um ein Verständnis dafür zu bekommen, wieso in Bezug auf das Sorgerecht für gemeinsame Kinder ein Unterschied zwischen Eheleuten und Nichteheleuten besteht.
Ich gehe weit in die Geschichte zurück. Ich muss alles in vier Minuten pressen, aber ich versuche es. Nehmen Sie das BGB vom 1. Januar 1900; ich spreche von Eheleuten. Der Vater war der Patriarch der Familie, er allein hatte Erziehungsrecht, und er war der gesetzliche Vertreter. Die Mutter hatte nichts zu melden. Sie war für persönliche Zuwendung und Versorgung zuständig. Das hat sich – das muss man sich vorstellen – durch die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, Nazideutschland bis in die Bonner Republik gehalten.
Erst 1953 setzte ein Wandel ein. Die Mutter bekam ein Miterziehungsrecht, aber der Vater war nach wie vor gesetzlicher Vertreter und hatte das Letztentscheidungsrecht. Erst 1979, mit Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, wurde die Mutter bei der Erziehung gleichberechtigt.
Betrachten wir parallel dazu das Scheidungsrecht. Bis 1977 galt das Schuldprinzip. Das heißt, wenn Eltern sich scheiden ließen und Kinder vorhanden waren, bekam der nichtschuldige Teil das Sorgerecht für die Kinder. Das wurde dann geändert. Es galt nicht mehr das Schuldprinzip, sondern das Zerrüttungsprinzip, aber im Falle einer Scheidung wurde im Regelfall nach wie vor nur einem Elternteil das Sorgerecht zugesprochen. 1982 hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass dies gegen das Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 GG verstößt. Beiden Eltern steht nach wie vor die elterliche Sorge zu. Das wurde letztlich erst 1998, 16 Jahre später, mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz umgesetzt. In den Köpfen der Menschen hat sich seither festgesetzt: Wenn Eltern sich scheiden lassen, tragen beide weiterhin die gemeinsame Sorge für die Kinder. Das hat sich inzwischen manifestiert.
Bei ledigen Müttern und ledigen Vätern war es ganz anders. Ich gehe noch einmal zurück. 1. Januar 1900: Der Vater war noch nicht einmal mit dem Kind verwandt. Hintergrund des Ganzen war das gesellschaftliche Bild. Der Sohn aus gutem Hause hatte etwas mit dem Kindermädchen oder dem Hausmädchen. Das uneheliche Kind, wie es damals hieß – der Makel der Unehelichkeit –, sollte nicht in die Familie des gutbetuchten Vaters eindringen. Deswegen waren diese Personen per Gesetz noch nicht einmal verwandt. Auch diese Sichtweise hat sich über die verschiedenen Staatsformen bis in die Bonner Republik gehalten. Erst 1970 ist das geändert worden. Hinsichtlich der Verwandtschaft sind wir gerade dabei, die letzten Hemmnisse zu beseitigen.
Aber inzwischen hat sich die Gesellschaft gewandelt; es ist schon angesprochen worden. Jedes vierte Kind im Westen und zwei von drei Kindern in den neuen Bundesländern werden nichtehelich geboren. Nichtehelich ist heute völlig normal in unserer Gesellschaft. Aber die rechtlichen Bestimmungen zum Umgangs- und Sorgerecht wurden dieser Entwicklung nicht angepasst. Da wird unterschieden: Trennen sich Eheleute, behalten beide das Sorgerecht. Trennen sich Nichteheleute, tauchen die hier beschriebenen Probleme auf. Wenn es keine Sorgerechtserklärung gibt, hängt es gegenwärtig vom Goodwill der Mutter ab, ob auch der Vater das Sorgerecht bekommt. Wenn die Mutter nicht zustimmt, kann der Vater nichts machen.
Das hat das Bundesverfassungsgericht kritisiert und eine Übergangsregelung geschaffen. Wir müssen nun sehen, wie wir die Rechtslage ändern. Erstens gibt es den Weg der Antragslösung; das würde bedeuten, die Regelung ist wie bisher, nur mit einer gerichtlichen Überprüfung, wie es auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Übergangslösung vorschreibt. Zweitens gibt es die Möglichkeit der Widerspruchslösung; das heißt, die Mutter widerspricht der Erklärung des Vaters, das Sorgerecht gemeinsam mit der Mutter ausüben zu wollen, und dagegen kann dieser ein gerichtliches Verfahren anstrengen. Drittens gibt es die Möglichkeit der – ich nenne sie einmal so – großen Lösung; danach hätte der Vater von Geburt an durch eine Vaterschaftserklärung gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht; in den anderen Fällen verbliebe das Sorgerecht bei der Mutter, mit der Möglichkeit der Überprüfung in Zweifelsfällen, ob das für das Kindeswohl tatsächlich gut ist, analog § 1671 BGB.
Die Positionierung meiner Fraktion in dieser Frage ist ähnlich wie die der SPD noch nicht abgeschlossen. Im Februar werden wir einen Antrag dazu vorlegen. Ich gehe davon aus, dass neben diesem Antrag und dem dann hoffentlich ebenfalls vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung noch weitere Anträge eingehen und wir dann im Ausschuss und in den Berichterstattergesprächen die beste, schönste und praktikabelste Lösung im Sinne unserer Kinder finden werden.