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Diskriminierung ist kein Einzelschicksal

Rede von Cornelia Möhring,

Verbandsklagerecht ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufnehmen

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir fordern mit unserem hier vorliegenden Antrag ein Verbandsklagerecht in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufzunehmen. Also das Recht von Verbänden (Umweltverbänden, Frauenverbänden, Gewerkschaften.) stellvertretend für die einzelnen, die von Diskriminierung betroffen sind, zu klagen.

Ich möchte am Beispiel der Entgeltdiskriminierung begründen, warum ein Verbandsklagerecht dringend erforderlich ist. Warum wollen wir eine solche Regelung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufnehmen?
Eben dort heißt es, dass Benachteiligungen wegen des Geschlechts in Bezug auf Arbeitsbedingungen, einschließlich Arbeitsentgelt unzulässig sind und verhindert oder beseitigt werden müssen (§2 Abs. 1 Nr. 2 AGG).
Wie sieht es aber in der Praxis aus? Meist werden die einzelnen Personen, die von Entgeltdiskriminierung betroffen sind, darauf verwiesen, dass sie doch eine individuelle Beschwerde oder Klage einreichen können.
Das ist aber ein Weg, der sich als völlig ungeeignet erwiesen hat.


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr wenige Beschäftigte trauen sich zu, alleine gegen den eigenen Arbeitgeber vor Gericht zu ziehen. Das hat eine Studie des „Institut der deutschen Wirtschaft“ bereits 2008 nachgewiesen. Ich finde es auch mehr als verständlich angesichts des Drucks in den Betrieben und der ständigen Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Ich vermute, das wird sich auch erst ändern, wenn die Menschen wieder angstfrei in unserem Land leben können, ohne ständige Existenzsorgen.

Zu der Angst um den Arbeitsplatz kommen erhebliche finanziel-le Risiken dazu. Denn ein individueller Klageweg dauert lange und kostet. Das können sich die wenigsten leisten.
Eine einzelne Person hat zudem meist keinen Zugang zu den Unterlagen, die eine strukturelle Benachteiligung gerichtsfest nachweisen. Es gab mal eine erfolgreiche Klägerin, die bei der GEMA beschäftigt war. Sie konnte den Beweis der Benachteiligung von Frauen im Unternehmen nur erbringen, weil sie im Personalbereich tätig war und dadurch Einsicht in die Akten hatte.

Und selbst, wenn es den einen oder anderen erfolgreichen Klagefall gibt, bleiben die zugrunde liegenden diskriminierenden Entlohnungssysteme und Tarifvertragsstrukturen erhalten, weil die Urteile keine Breitenwirkung entfalten.

Heute ist der Equal pay day! Und wieder stellen wir fest: Frauen erhalten 22 % weniger Lohn als Männer. Sie müssen 80 Tage länger arbeiten als ihre männlichen Kollegen, um gleich viel Lohn zu erhalten. Deutschland ist damit immer noch an drittletzter Stelle der 27 EU Mitgliedstaaten.

Ich habe ihnen bereits einmal hier im Plenum vor gerechnet, welche Ausmaße dieser „tolerierte“ Lohnraub ganz konkret annimmt. Immerhin geht es um Beträge, die sich im Laufe eines Berufs-lebens locker auf den Gegenwert eines Einfamilienhauses hochrechnen lassen.
Eine Folge dieser Diskriminierung von Frauen zeigt sich dramatisch in der Differenz der durchschnittlichen Rente: Während eine Frau heute eine durchschnittliche Rente von 645 Euro erhält, liegt die durchschnittliche Rente eines Mannes bei 1595 Euro. Das sind immerhin 59,6 % Unterschied und eine nicht unwesentliche strukturelle Diskriminierung. Da kann eigentlich niemand die Augen vor verschließen.

Ich finde, dies sind sehr deutliche Beispiele für eine zwar verbotene, aber tatsächlich existierende Ungleichbehandlung von Frauen und Männer. Und es darf nicht länger tatenlos zugesehen werden. Wir haben ein echtes Defizit im Diskriminierungsschutz und diese Lücke möchten wir mit unserem Antrag verkleinern.
Ein Schritt wäre eben, neben diversen notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung, Rechtsschutz herzustellen. Entgeltdiskriminierung ist nun mal kein Einzelschicksal, sondern eine strukturelle Benachteiligung.

Mit der Aufnahme des Verbandsklagerechts in das AGG könnten Verbände genau gegen diese Benachteiligung vieler vorgehen.


Werte Koalitionskolleginnen und -kollegen, ihre Regierung müsste nicht mal, wie üblich, einen Haufen Prüfaufträge auslösen, weil die Situation völlig eindeutig ist. Und eine Formulie-rung für die Aufnahme des Verbandsklagerechtes bekommen sie sicherlich in kürzester Zeit beim Juristinnen Bund (DJB).
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, ich gehe mal davon aus, dass sie zustimmen. Es sei denn, sie nehmen ihre Forderungen aus ihren Anträgen zur Entgeltgleichheit nicht wirklich ernst.

Wir könnten also gemeinsam einen wesentlichen Schritt gegen die Fortsetzung von Diskriminierungen und für mehr Demokratie schaffen und noch in dieser Legislaturperiode den Arbeitsauftrag an die Regierung für eine entsprechende Gesetzesänderung auslösen.

Vielen Dank