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Direkter Berufseinstieg statt unbezahltes Praktikum

Rede von Agnes Alpers,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade von Herrn Staatssekretär Braun wieder gehört, dass der Berufseinstieg über ein Praktikum gar kein Problem mehr sei. Aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage und aufgrund des Fachkräftemangels gebe es nur noch in einzelnen Fällen Praktika; die Generation Praktikum sei ausgestorben.

(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Nein! Das hat keiner gesagt!)

Herr Neumann, Sie schütteln mit dem Kopf – zu Recht. Sie haben gerade selbst eingeräumt, dass es doch noch eine Menge Praktika gibt. Sie sagten auch, die Akademiker seien schon nach zwei Jahren integriert. Nach zwei Jahren Praktikum, Herr Neumann!

(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Es muss in diesem Land viele Käfer geben!)

Ich sage Ihnen: Mit dieser Ignoranz bin ich nicht einverstanden. Da kann man tatsächlich nur den Kopf schütteln.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen nun von meinen Erfahrungen als Berufsschullehrerin von Paul und Lena, zwei jungen Menschen aus Bremen, berichten. Beide haben ihre Abschlüsse gemacht, ihre Ausbildung beendet. Sie waren hochmotiviert und wollten durchstarten, ein eigenständiges Leben beginnen. Paul hat dann aber keine Anstellung bekommen. Ihm als Tischler wurde gesagt, ihm fehle die Berufserfahrung. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Praktikum anzunehmen, in dem er als vollwertiger Tischler arbeitet. Lena ist Sozialwissen-schaftlerin. Sie hat ihren Abschluss mit „sehr gut“ gemacht. Weil sie keine Berufspraxis vorweisen kann, macht sie jetzt schon das zweite unbezahlte Praktikum und muss weiterhin von ihren Eltern unterstützt werden. Ich frage Sie: Warum müssen vollqualifizierte Fachkräfte über ein Praktikum in den Arbeitsmarkt integriert werden? Das ist einfach unverschämt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen auch einmal an die Folgen für diese jungen Menschen denken. Mittlerweile sind zwar weniger davon betroffen, aber es sind immer noch ganz viele. Statt als vollwertige Arbeitskraft in die Arbeitswelt richtig einzutauchen, werden sie als Praktikanten geparkt. Sie verlieren die Motivation, und ihr Selbstwertgefühl wird angegriffen, ganz zu schweigen davon, dass finanzielle Unabhängigkeit und eine langfristige Familienplanung nicht möglich sind. Ich sage Ihnen: Es ist ein Skandal, wie hier mit gut ausgebildeten jungen Menschen umgegangen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb bleiben wir als Linke ganz eindeutig dabei: Wer eine Ausbildung hat, muss ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, und zwar ein vollwertiges, erhalten.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Per Gesetz!)

Praktikanten sind keine billigen Arbeitskräfte. Praktika als Lernverhältnisse müssen ganz klar von Arbeitsverhältnissen abgegrenzt werden. Wir brauchen auch Mindeststandards für Praktika. Statt nach diesen jahrelangen Diskussionen endlich gesetzliche Grundlagen und Regelungen zu schaffen, hat sich diese Regierung auf den Weg gemacht, einen Praktikantenleitfaden auszuarbeiten. Ich gebe zu: Sie haben wirklich begonnen, Kritikpunkte aufzugreifen, zum Beispiel die Dauer von Praktika, und Möglichkeiten der Vergütung aufzuzeigen. Außerdem haben Sie Musterverträge erstellt.

Aber die zentrale Frage heute ist doch: Kann man sich auf diesen Praktikantenleitfaden tatsächlich verlassen? Ich sage Ihnen: Nein, das geht nicht. Es ist doch wieder nur eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber, frei nach dem Motto: Alles kann, nichts muss. Mit solchen freiwilligen Selbstverpflichtungen haben wir doch schon genügend Erfahrung gemacht. Die letzte hat gezeigt: Nur 1 500 von insgesamt 3,5 Millionen Betrieben, also nur etwa 0,05 Prozent aller Betriebe, haben sich daran betei¬igt und tatsächlich faire Praktika angeboten.

(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das war 2010!)

Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie ersetzen hier doch nur eine misslungene Selbstverpflichtung durch eine andere. Mehr machen Sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen abschließend: Wer Missbrauch tatsächlich verhindern will, muss gesetzliche Mindeststandards setzen – gesetzlich, Herr Neumann, ohne Wenn und Aber.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)