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Foto: Rico Prauss

Dietmar Bartsch: Wir kämpfen gegen Steueroasen und Amthor arbeitet für eine

Rede von Dietmar Bartsch,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie als Koalition haben sich ja darum bemüht, dass die Aktuelle Stunde nahezu ins Wochenende fällt, damit der Fall Philipp Amthor, der ja im Netz Amthor-Gate genannt wird, möglichst unbemerkt bleibt.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Amthor-Gate! Amthor geht!)

Dass der Betroffene in dieser Situation nicht hier ist, ist allerdings wirklich feige. Ich finde das unentschuldbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es passt aber offensichtlich zu seinem Mandatsverständnis.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Er ist in Mecklenburg-Vorpommern, und das wissen Sie!)

Meine Damen und Herren, die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sind in der Regel ruhige und bescheidene Menschen, Menschen, die hart und ehrlich arbeiten. Das sind in der Regel keine Wichtigtuer. Das erklärt übrigens auch die Wahlerfolge der Kanzlerin, meine Damen und Herren. Da wird abends gerne mal ein kühles Bier getrunken, aber Champagner ist bei uns nur etwas für Schiffstaufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass ausgerechnet ein Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern ein Faible für Luxushotels in Sankt Moritz, New York und für Champagner hat, ist wirklich völlig daneben.

(Beifall bei der LINKEN)

Philipp Amthor hat zumindest versucht, sein politisches Mandat mit ökonomischen Interessen zu verbinden. Mit Mitte 20 in den Bundestag gekommen, und wenige Monate später ist das nicht mehr genug. Da musste er sich noch eine Beratungstätigkeit für eine riesige Kanzlei an Land ziehen, und dann hat er eben auch noch einen dritten Job als Lobbyist in einer New Yorker Firma mit Sitz in der Steueroase und Briefkastenfirmenhochburg Delaware angenommen. Wie konnte bei einem Mann von der Küste der Kompass nur so versagen?

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir alle, im Übrigen auch die Abgeordneten der Union – zumindest viele –, kämpfen hier im Plenum gegen Steueroasen. Und Amthor arbeitet für eine? Das ist doch unfassbar, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Und dann spricht er von einem Fehler – nicht einmal von seinem Fehler, sondern von einem Fehler. Was für eine Verniedlichung! Das ist doch völlig unangemessen. Ein Fehler kann nicht zwei Jahre andauern. Und das wurde aufgedeckt. Er wurde enttarnt. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Solange er zwischen Sankt Moritz, Korsika und New York unterwegs war: Immer für eine US-Firma – nicht etwa für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern –, für eine Firma für künstliche Intelligenz. Wenn er das nur für einen Fehler hält, dann ist das nicht ein Fall von künstlicher Intelligenz; es ist ein Fall von fehlender natürlicher Intelligenz und von fehlendem Anstand, meine Damen und Herren. Das ist die Lage.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Und es sind so viele Fragen offen: Wer hat denn die Rechnungen bezahlt, die Flüge, die Übernachtungen, das teure Essen? Was hat denn der ganze Spaß gekostet? Der Mann muss endlich mal reinen Tisch machen. Das wäre notwendig.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Nun ist er aus dem Amri-Untersuchungsausschuss zurückgetreten. Das ist, ehrlich gesagt, kein Grund für ein Lob. Dass er, auch noch als Jurist, überhaupt in den Untersuchungsausschuss gegangen ist, das ist doch ein Skandal. Er wusste, dass sein dicker Kumpel, der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, Herr Maaßen, dort befragt werden würde. Er war faktisch befangen und hätte den Ausschuss sofort verlassen müssen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum hat er nur diese Dreistigkeit besessen, es dennoch zu tun? Der hat völlig die Bodenhaftung verloren. Das ist Selbsterhebung. Er hat alle Regeln des politischen Anstands für sich ausgehebelt, meine Damen und Herren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Verhalten von Amthor schadet dem Ansehen der Politik, dem Ansehen des Deutschen Bundestages, dem Ansehen meines Heimatlandes Mecklenburg-Vorpommern. Aber – und das ist das Problem der CDU; das schadet Ihnen – er hat sich eben auch gegen Transparenz gewehrt. Ich will in diesem Zusammenhang meinen Vorschlag wiederholen, dass jeder die Firmenlogos der Firmen, für die er oder sie arbeitet, auf dem Jackett tragen muss.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da würde manch einer hier im Plenum aussehen wie ein Formel-1-Fahrer. Das ist die reale Situation, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und das ist der Punkt: Handelt es sich hier um einen Einzelfall, oder ist das Struktur? Das ist die Frage, und sie ist entscheidend. Zumindest ist die Bilanz der Union in dieser Legislaturperiode dafür höchst problematisch: Millionenverträge für externe Kumpels und frühere Kollegen unter Frau von der Leyen, ein Megaschaden für die Steuerzahler beim Mautmurks durch Verkehrsminister Scheuer, die Aserbaidschan-Affäre von Frau Strenz und jetzt Philipp Amthor, der für Champagner, Austern und Luxusreisen steht und nicht für Parlament, Arbeit und Demokratie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sind in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit Jahrzehnten. Millionen sind in Kurzarbeit, wie wir alle wissen. Die Arbeitslosigkeit steigt. Tausende Unternehmer werden ihr Geschäft verlieren. Wissen Sie eigentlich, was Sie da anrichten, wie viel Vertrauen sein Verhalten zerstört? Wenn die CDU in Mecklenburg-Vorpommern Anstand besitzt, lehnt sie die Kandidatur von Amthor für den Landesvorsitz dankend ab. Das wäre das Mindeste.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)