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Foto: Rico Prauss

Dietmar Bartsch: Nichts ist gut in Afghanistan, der Krieg gegen den Terror gescheitert

Rede von Dietmar Bartsch,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Wochenende haben die Taliban erklärt, dass sie nach dem Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan ein echtes islamisches System errichten wollen. Meine Damen und Herren, der Rückzug der NATO ist nicht, wie der Titel der Aktuellen Stunde beschreibt, ein geordneter Rückzug. Im Gegenteil: Er ist überstürzt. 20 Jahre nach Beginn des Krieges sind die Taliban zurück, vielfach an den Schalthebeln der Macht. Der Krieg gegen den Terror ist gescheitert.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie hinterlassen ein kaputtes Land. Nichts ist gut in Afghanistan.

Ich will daran erinnern: Zwei Jahrzehnte ist es her, dass es den grauenvollen Anschlag auf das World Trade Center gab, den Angriff auf das Pentagon und den Absturz eines weiteren Flugzeugs. Wir haben damals parteiübergreifend am Brandenburger Tor eine Solidaritätsveranstaltung durchgeführt. Dann hat Gerhard Schröder die uneingeschränkte Solidarität versprochen. Das war die Grundlage für die Beteiligung Deutschlands am Krieg.

Wir haben damals gefragt: Haben Sie eigentlich einen Plan, haben Sie einen Zeitplan? Die einzige Antwort, die es sehr übergreifend gab, war, wir seien Terroristenfreunde. Ich kann heute im Ergebnis nur sagen, dass das auf jeden Fall wenig korrekt war. Es ist mehrfach genannt worden: 59 Bundeswehrsoldaten haben den Krieg mit dem Leben bezahlt; ganz viele sind traumatisiert. 12,5 Milliarden Euro hat der Einsatz gekostet. Wofür eigentlich? Was sagen Sie den Hinterbliebenen?

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Kritik richtet sich ans Parlament; es ist keine Kritik an Ihnen, den Soldatinnen und Soldaten. Hier in diesem Hause liegt die Verantwortung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schätzungsweise 185 000 zivile Opfer hat der Krieg in Afghanistan gekostet. Allein im letzten Jahr sind 9 000 Zivilisten und 10 000 afghanische Soldaten getötet worden. 380 000 Menschen haben ihre Dörfer verlassen, 2,7 Millionen Menschen haben ihre Heimat komplett hinter sich gelassen. Ich will die Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins, Nadia Nashir, zitieren. Sie sagte vor Kurzem:

"Viele Frauen fühlen sich im Stich gelassen, und sie betrachten den Einsatz der Nato als gescheitert. Es wurde … so viel versprochen: Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Frauenbefreiung. … im Großen und Ganzen wurden diese Ziele nicht erreicht."

Diese Aussage ist wirklich mehr wert, als wenn wir uns hier mit guten Ergebnissen beweihräuchern.

(Beifall bei der LINKEN)

Internationale Beobachter gehen davon aus, dass 50 bis 70 Prozent des Landes heute schon von den Taliban kontrolliert werden. Jahrelang wurde auch den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land etwas anderes erzählt. Die vermeintlichen Erfolge wurden ins Schaufenster gestellt – ich will das gar nicht alles leugnen –, etwa die Verbesserung der Situation von Frauen und Mädchen und der Brunnenbau. Ich war einige Jahre im Aufsichtsrat der GIZ und weiß, wie viel persönliches Engagement es gegeben hat; das ist völlig unbestritten.

Aber wie ist denn die Realität heute? Im März wurde Frauen und Mädchen das Singen in der Öffentlichkeit verboten; der Musikunterricht durch einen Mann ist verboten; einst geöffnete Schulen sind längst wieder geschlossen. Das alles ist das Ergebnis von Zugeständnissen gegenüber den Terrorfürsten der Taliban. Die NATO hat den Menschen keine Sicherheit gebracht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach 20 Jahren kann von Menschenrechten nun wirklich nicht die Rede sein.

Ich will Sie daran erinnern, wie Sie im letzten Jahr noch den Einsatz begründet haben. In Ihrer Begründung stand:

"Das deutsche zivile Engagement hat zur Entstehung eines demokratisch kontrollierten Staatswesens, das sich zur Wahrung universeller Menschenrechte bekennt, zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, zum Zugang zu Bildung sowie insbesondere zur Stärkung der Rechte von Frauen und Kindern beitragen können."

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Märchenstunde!)

Was für ein Hohn für die Menschen in Afghanistan, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der LINKEN)

Die einzigen Profiteure, um das klar zu sagen, waren die Taliban und eben auch die Rüstungsindustrie. Der Grund dafür, dass der Einsatz jetzt beendet wird, ist ja nicht, dass Sie heute andere Einsichten haben, oder die Verbesserung der Menschenrechtslage, sondern die Hinterherdackelei hinter den USA. Das ist doch der Grund dafür. Wenn die USA noch dageblieben wären, hätten Sie eine Begründung für eine einjährige Verlängerung gefunden. Das ist die Wahrheit! Das Problem ist, dass deutsche Verteidigungspolitik weder in Berlin noch in Brüssel, sondern in Washington entschieden wird. Und das ist meines Erachtens wirklich ein schwerwiegendes Problem.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])

Deswegen sage ich Ihnen: Legen Sie auch für die anderen Einsätze Exitstrategien vor. Der Abzug aus Afghanistan ist überfällig. Wir fordern eine tiefgreifende Evaluierung der letzten zwei Jahrzehnte und nicht nur einen Abschlussbericht, wie ihn der Bendlerblock ankündigt, sondern eine wirkliche Evaluierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Folgen Sie doch zum Beispiel den Norwegern; sie richten eine unabhängige Kommission ein, um die gesamten Vorkommnisse der letzten zwei Jahrzehnte aufzuarbeiten. Das sollten wir tun und dann die richtigen Schlüsse ziehen. Kriege mit deutscher Beteiligung müssen enden. Unser ziviles Engagement für die Notleidenden muss allerdings ausgebaut werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein letzter Satz sei mir gestattet, ich kann dazu leider nicht mehr ausführen. Sie haben es angekündigt, und ich hoffe, das wird dann auch so sein: Alle Afghaninnen und Afghanen, die die deutsche Bundeswehr unterstützt haben, brauchen selbstverständlich unsere Hilfe. Niemand – und ich betone: niemand – darf dort im Stich gelassen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)