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Diether Dehm: EU kann mehr als seelen- & sozialstaatslose Freihandelszone!

Rede von Diether Dehm,

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ja, die Koalition hat, so wie die Grünen, in ihren Anträgen richtige Verweise auf klare Klima- und Sozialstandards im Abkommen gegeben. Aber natürlich hätte das Abkommen ins Parlament gehört, und zwar in alle Parlamente, auch hier in den Bundestag. Und es fehlt die Verbindlichkeit. Wenn man Klimaschutz wirklich mit den Menschen machen möchte – es geht nicht anders, es geht nicht über Eliten, und es geht nicht nur übers Schüren von schlechtem Gewissen –, dann muss man das verbindlich festschreiben. Klimaschutz geht nur sozial.

(Beifall bei der LINKEN)

Da sind wir beim zentralen Problem, wie es zum Brexit kam. Das geht leider die Bundesregierung in ihrem Antrag nicht an. Die Unzufriedenheit und der Zorn, die zum Brexit führten, gingen nicht nur auf ein Projekt der Ausschöpfung elitärer und chauvinistischer Potenziale von rechts zurück, sondern es gab dabei eben auch eine sehr große Beimischung von Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet hatten und sich dann einfach abgehängt und verachtet fühlten, Menschen, die weniger laut über das Ende der Welt klagen als über das Ende des Monats, weil sie nicht wissen, wie sie über die Runden kommen. Es ist die mangelnde Sozialstaatlichkeit, die den Gegnern jeglicher europäischer Integration die Hasen in die Küche treibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich etwas zur Sozialstaatlichkeit sage, spreche ich nicht nur über Beiwerk. Sie ist von den Müttern und Vätern der meisten Verfassungen in der EU als Replik auf den Faschismus in den 40er-Jahren in die Verfassungen – so auch ins Grundgesetz mit den Artikeln 14 und 15 – implantiert worden. Warum? Weil man eine Kapitalübermacht begrenzen wollte, die sich erstens einen Hitler finanziert, zweitens auf Fingerschnipp einen Weltkrieg initiiert – das sage ich im Jahr des 80. Jahrestages des Beginns des Überfalls auf die Sowjetunion –, und die drittens den Alltag der Menschen durch das Auspressen beim Lohn bis zur Zwangsarbeit, bis zur Sklavenarbeit geprägt hat. Deswegen findet sich die Sozialbindung des Eigentums im Grundgesetz und in vielen anderen Verfassungen. Das gehört in das Primärrecht der Europäischen Union, wenn Sie die Herzen der Menschen, und zwar der Menschen, die sich wirklich vor dem Brexit in Großbritannien ausgegrenzt fühlten, jetzt zurückerobern möchten.

Es ist also ein Gebot der Sozialstaatlichkeit und des Antifaschismus – das sage ich gerade in diesem Jahr –, dass das, was im Grundgesetz, in der italienischen Verfassung, der spanischen Verfassung, in anderen Verfassungen möglich ist, im Primärrecht der EU festgelegt wird.

Einige waren vielleicht schadenfroh, dass sich die Labour Party zerlegt hat, über das soziale Gefälle und über den Brexit. Aber allmählich zerlegt sich auch die ganze EU, wenn im Streitfall soziale Grundrechte, Löhne, Streikrecht, Kapitalsteuern immer hinter dem freien Kapital zurückbleiben. Schauen Sie sich doch das Impfchaos an: Das weckt nun wirklich kein Vertrauen in die EU.

(Beifall bei der LINKEN)

Der letzte Satz, liebe Frau Präsidentin: Deswegen lehnen wir in letzter Konsequenz den Antrag ab. Die Linke kämpft an der Seite der Gewerkschaften für die soziale Fortschrittsklausel, die die Gewerkschaften wollen, und an der Seite der Klimabewegung für Umweltstandards, die nicht mehr auf dem Altar des großen Kapitals und der Konzerne geopfert werden können.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)