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Die Zwei-Klassen-Medizin muss endlich abgeschafft werden - Für eine umfassende, solidarische Gesundheitsversorgung

Rede von Frank Spieth,

Für eine umfassende, solidarische Gesundheitsversorgung

Rede im Plenum des Deutschen Bundestages zur
Ersten Lesung Antrag DIE LINKE.

Für eine solidarische Gesundheits- und Pflegeabsicherung

Do, 07.05.2009, TOP 17

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Frank Spieth von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Frank Spieth (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wer arm ist, muss früher sterben. Wenn Sie im wohlhabenden Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf in die U-Bahn steigen und ins ärmere Friedrichshain-Kreuzberg fahren, nimmt die Lebenserwartung von Männern in Ihrer Umgebung mit jeder Station, an der sie halten, um ein gutes halbes Jahr ab. In Charlottenburg- Wilmersdorf ist die Lebenserwartung um vier Jahre höher als in Friedrichshain-Kreuzberg. Dies belegt die Berliner Gesundheitsberichterstattung.

Diese Armutsfolgen sind nicht nur in Berlin zu beobachten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt, dass Frauen mit geringem Einkommen im Vergleich zu Frauen, die der Gruppe der Bezieher höchster Einkommen angehören, in Deutschland acht Jahre früher sterben. Bei Männern beträgt dieser Unterschied bundesweit sogar 14 Jahre. Ich meine, das ist ein ungeheuerlicher Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wird deutlich gemacht, dass diese Unterschiede sogar eher zu als abnehmen. Das darf unmöglich folgenlos bleiben. Die Politik muss endlich Schlussfolgerungen aus dieser Fehlentwicklung ziehen. Wir müssen die Probleme an der Wurzel packen. Dazu brauchen wir einen anderen gesundheits- und sozialpolitischen Ansatz. Wir müssen dort ansetzen, wo die Menschen wohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen.

Gesunde Wohnbedingungen und gesunde Arbeitsbedingungen - kurz: gesunde Lebensbedingungen - sind lebenswichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Aldi-Chef kann sie sich leisten, die Aldi-Kassiererin aber nicht. Deshalb muss die Gesundheitsförderung an dieser Stelle ansetzen. Das versprochene Präventionsgesetz ist leider in der Koalition gescheitert. Auch die aktuelle Gesundheitspolitik ist nach meiner Auffassung gescheitert. Die Privatisierung und die Kommerzialisierung des Gesundheitssystems zementieren die Zweiklassenmedizin in Deutschland geradezu.

Ein Beispiel: Bei den Hilfsmitteln hat die Koalition den Krankenkassen vorgegeben, dass sie Leistungen ausschreiben können.

(Elke Ferner [SPD]: Ja, sie können!)

In einer Ausschreibung steht in der Regel aber nichts von Qualität. Der billigste Anbieter erhält den Zuschlag. Wenn es um Inkontinenzwindeln geht, hat dies zur Folge - das haben wir bereits des Öfteren erlebt -, dass die Patientinnen und Patienten über Nacht einnässen, weil bei ihren Windeln ein paar Cent eingespart werden sollen.

Das ist doch Unfug! Diese Einsparungen werden an anderer Stelle Mehrkosten auslösen, zum Beispiel bei der dadurch notwendig gewordenen Behandlung von Hautkrankheiten. Die dadurch entstehenden Kosten betragen in vielen Fällen ein Vielfaches der Einsparungen. Das ist nicht logisch und nicht schlüssig.

(Beifall bei der LINKEN)

Fakt ist: Wer es sich leisten kann, kauft sich privat bessere Windeln. Wer sich das nicht leisten kann, schläft im Nassen. Das ist die Zweiklassenmedizin in Deutschland.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Die Linke sagt: Jeder hat das gleiche Recht auf die erforderliche gesundheitliche Versorgung. Union, SPD und Grüne hingegen haben Leistungen gekürzt und Zuzahlungen eingeführt.

(Elke Ferner [SPD]: Nein! Wo denn? - Mechthild Rawert [SPD]: Was? Wo denn, Herr Spieth? Beweise!)

Rezeptfreie Arzneimittel muss man komplett selbst zahlen, rezeptpflichtige Medikamente kosten den Patienten 5 bis 10 Euro pro Packung, beim Arzt, auch beim Zahnarzt, wird Eintritt fällig, und im Krankenhaus kostet jeder Tag 10 Euro, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Zuzahlungen sind ungerecht; denn sie belasten Geringverdiener über Gebühr.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke will diese Zuzahlungen abschaffen. Denn infolge dieser Zuzahlungen lassen Menschen mit geringem Einkommen häufig wichtige Behandlungen ausfallen. Die Zweiklassenmedizin wird auch an einer anderen Stelle des Gesundheitswesens deutlich. Selbstzahler und Privatversicherte erhalten sämtliche Leistungen und einen bevorzugten Zugang zu einem Arzt oder einem Krankenhaus. Für die gesetzlich Krankenversicherten allerdings werden nicht mehr alle Leistungen bereitgestellt, und sie müssen lange auf Termine warten. Etwa 1 Million sogenannter Illegaler sind von der Gesundheitsversorgung in Deutschland völlig ausgeschlossen.

Dies, meine Damen und Herren, ist mit dem UN-Sozialpakt, dem die Bundesrepublik 1973 beigetreten ist und den sie vorbehaltlos ratifiziert hat, nicht vereinbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch einmal: Jeder hat das gleiche Recht auf gesundheitliche Versorgung. Die Linke lehnt eine Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitssystems ab.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir wollen stattdessen, dass alle Bürger in einer bezahlbaren Bürgerversicherung versichert sind, der Pförtner wie der Chef, und dass eine umfassende wohnortnahe Versorgung, und zwar unabhängig vom Einkommen, garantiert wird.

(Mechthild Rawert [SPD]: Aha! Also eine Zwangsversicherung für alle!)

Dazu brauchen wir Ärzte, die sich wieder weniger mit der Vergütung und mehr mit dem Patienten beschäftigen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen öffentliche Krankenhäuser, die wohnortnah qualifizierte Versorgung gewährleisten. Wir brauchen Apotheken, die nicht nur Arzneimittel verteilen, sondern auch gut beraten. Dazu brauchen wir Krankenkassen, die ausreichend Geld zur Finanzierung dieser Aufgaben erhalten. Das ist durch den Gesundheitsfonds nicht dauerhaft gesichert.

Der Gesundheitsfonds ist unterfinanziert, mit der Folge, dass die Krankenversicherten schon bald flächendeckend Zusatzbeiträge von bis zu 1 Prozent ihres Einkommens zahlen müssen. Ich rechne damit - ich sage das ganz offen -, dass selbst die Deckelung von 1 Prozent des Einkommens nach der Bundestagswahl fällt.

(Elke Ferner [SPD]: Nicht, wenn wir in der Regierung bleiben, Herr Spieth!)

Die Krankenkassen werden gezwungen sein, ihr Leistungsangebot immer stärker einzuschränken. Das ist mit Sicherheit nicht zum Vorteil der Versicherten. Auch die Pflegeabsicherung ist chronisch unterfinanziert. Die Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversicherung. Deshalb können sich arme Menschen keine ausreichende Pflegeassistenz leisten. Die Linke findet es gut, dass jetzt eine Kommission empfohlen hat, die Leistungen der Pflegeversicherung zukünftig danach zu bemessen, wie stark die Selbstständigkeit eingeschränkt ist.

Die jetzige Regelung, in der auf die Minute genau festgelegt ist, wie viel Zeit zum Beispiel für Waschen und Kämmen aufgewendet werden darf, ist nicht akzeptabel. Es geht um die Pflege von Menschen, nicht um Maschinen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um Zuwendung, und es geht darum, dass pflegebedürftige Menschen weiter am Leben teilnehmen können. Die anderen Fraktionen werden uns jetzt vorwerfen, dass wir mit unserem Antrag einen Wünsch-dir-was-Katalog erstellt hätten,

(Elke Ferner [SPD]: Genau! - Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

der nicht bezahlbar ist. Dieser Vorwurf ist mit Sicherheit falsch. Würde unser Vorschlag, eine Bürgerinnen-und- Bürger-Versicherung einzuführen, umgesetzt, könnten wir die Leistungen mit einem Beitragssatz von 10 Prozent gewährleisten, und das bei Abschaffung aller Zuzahlungen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN - Mechthild Rawert [SPD]: Ein bisschen mehr Mathematik täte gut! Die Berechnung müssen Sie uns vorlegen! Erst heißt es: „Unterfinanziert“, und dann kommen Sie mit 10 Prozent an!)

Das Gesundheitssystem wird durch die derzeit zu beobachtende Kommerzialisierung immer mehr auf diejenigen ausgerichtet, die mit der Krankheit der Versicherten Profit machen wollen. Das ist eine absolute Fehlentwicklung. Mit unserem Antrag wollen wir das Gesundheitssystem vom Kopf wieder auf die Füße stellen: Der Patient gehört in den Mittelpunkt des Geschehens - damit jeder, unabhängig von seinem Einkommen, die bestmögliche Versorgung erhalten kann. Darum gilt es zu streiten. Ich bin gespannt auf die weiteren Beratungen.

(Beifall bei der LINKEN - Mechthild Rawert [SPD]: 10 Prozent, ist das nur der Beitrag der Arbeitnehmer, und es kommen noch 10 Prozent vom Arbeitgeber hinzu? Dann ist das ein Beitrag von 20 Prozent!)