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Die Neufassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes wird der Regierung erneut um die Ohren fliegen

Rede von Wolfgang Neskovic,

Die Neufassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes ist aus europarechtlicher Sicht und auch mit Blick auf das Grundgesetz hochbedenklich. Auch das neue Gesetz wird daher vor demBundesverfassungsgericht scheitern. Wolfgang Neskovic in der Debatte zum Europäischen Haftbefehl. Die Rede wurde zu Protokoll gegeben.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Als das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli des vergangenen Jahres feststellte, dass der Patient „Europäisches Haftbefehlsgesetz“ an schweren Verfassungsmängeln krankte, da hat man das Gesetz rasch in den Operationssaal geschoben, um sich seiner Krankheit anzunehmen. Seitdem wurde der Teint des Patienten aufgefrischt, es wurden Vitaminspritzen verabreicht und eine Sauerstoffkur durchgeführt. Jetzt hat der Patient wieder einigermaßen rosige Wangen, aber die Ursache des Leidens wurde nicht behoben. Die Ursache des Leidens war dem Patienten nämlich bereits mitgegeben, als er auf die Welt kam. Bereits der dem Europäischen Haftbefehlsgesetz zugrunde liegende Rahmbeschluss des Rates ist eine ernste Bedrohung für die Prinzipien der Würde und der Freiheit des Menschen. Es ist hoch fraglich, ob dieser Rahmenbeschluss überhaupt auf einer rechtmäßigen Legitimationsgrundlage erlassen wurde. Anstelle eines Rahmenbeschlusses wäre nämlich ein europäisches Übereinkommen erforderlich gewesen. Es ist weiterhin äußerst fraglich, ob die mit dem Rahmenbeschluss geschaffenen Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger mit dem Legalitätsprinzip in Strafsachen vereinbar sind. Hier wird ein europäisches Strafrecht durch die Hintertür des Prozessrechtes eingeführt. Wer ein europäisches Strafrecht will, muss es so nennen und dafür Mehrheiten gewinnen. Eben diese ernsten Bedenken hatten auch die Richter des Belgischen Verfassungsgerichtes, als sie sich am 13. Juli 2005 entschlossen, den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren zu ersuchen, den Rahmenbeschluss auf seine Nichtigkeit hin zu überprüfen. Ich meine, wir dürfen ziemlich sicher davon ausgehen, dass die Richter am Belgischen Verfassungsgericht kein Stück weniger juristisch gebildet und begabt sind, als die Juristenmannschaft im Ministerium von Frau Zypries. Es wäre daher angebracht gewesen, vor der Erstellung endgültiger Neufassungsentwürfe zunächst einmal die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abzuwarten. So aber wird der Deutsche Bundestag mit der Beratung eines Gesetzes befasst, dem schon in kurzer Zeit die Grundlage abhanden kommen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erteilen Sie diesen Gesetzesentwürfen eine Absage! Lassen Sie die Heilbemühungen am Patienten „Haftbefehlsgesetz“ nicht zum Totentanz geraten! Doch nicht nur durch die europäische Brille betrachtet sind die Entwürfe hoch bedenklich. Sie sind es - auch in ihrer aufgefrischten Form - mit Blick auf das Deutsche Grundgesetz. Die für den neuen § 80 vorgesehene Abgrenzung von Taten mit maßgeblichen Auslandbezug, maßgeblichen Innlandsbezug und Mischfällen ist kaum mehr als eine Ansammlung von Unbestimmtheiten. Im deutschen Verfassungsrecht haben wir eine sehr klare Formel: Je intensiver eine Maßnahme des Gesetzgebers in Grundrechte eingreift, um so strenger sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm. Diesem einfachen Grundsatz wird der Entwurf nicht gerecht. Vielleicht liegt das daran, dass man sich für die Neufassungen darauf beschränkt hatte, die Empfehlungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil trotzig abzuschreiben - anstatt für die inhaltliche Umsetzung dieser Empfehlungen Sorge zu tragen. Und wenn man sich schon aufs Abschreiben verlegt, sondern sollte man es sorgfältig tun: Das Bundesverfassungsgericht hatte zum Problem der gesicherten Rücküberstellung ausgeführt: „Die bloße Zusage einer Rücküberstellung ist insoweit unzureichend, weil damit noch nichts über die [rechtliche] Möglichkeit der Strafverbüßung in Deutschland gesagt ist.“ Dennoch findet sich in den Neufassungen dieselbe ungenügende Formulierung wie schon im gerügten ersten Gesetz. In der Begründung der Gesetzesentwürfe werden wir dazu auf einen in der Zukunft erwarteten Rahmenbeschluss zur Vollstreckungshilfe auf europäischer Ebene verwiesen. Der soll dann klären, was heute ungeklärt bleibt. Das ist befristeter Verfassungsbruch mit unsicherem Fristablauf - und keine Behebung des vom Verfassungsgericht gerügten Misstandes. Des Weiteren verschlechtern die Neufassungen die Rechtslage der in Deutschland lebenden Ausländer - ohne dass es dafür überhaupt eine Aufforderung vom Verfassungsgericht gab. Während der alte § 80 Absatz 3 für alle Ausländer, die sich in Deutschland rechtmäßig aufhalten, dieselben Schutzkriterien wie für Deutsche bereithielt, beschränkte der neuere § 80 Absatz 4 diesen Schutz auf die sehr viel kleinere Gruppe der Ausländer, die in familiärer oder in Lebensgemeinschaft mit Deutschen leben. Im neuesten Änderungsvorschlag des Justizministeriums ist dann selbst dieser zwingende Schutz gestrichen und durch eine fakultative Regelung ersetzt worden. Ich finde es unerträglich, dass Menschen, die Sitte und Recht dieses Landes achten, die hier Steuern zahlen, nicht auch in den Genuss des üblichen Auslieferungsschutz hinein genommen werden sollen. Schließlich ist der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Rechtschutz nicht verwirklicht worden. Das Festhalten am zweistufigen Verfahren und die nur eingeschränkt übertragene Ermessenkontrolle an die Oberlandesgerichte sind den Maßstäben eines Rechtstaates schlicht unwürdig. Meine Damen und Herren, ich bin ohne Mitleid für den sprichwörtlichen Patienten „Haftbefehlsgesetz“, denn ich sorge mich um die wirklichen Menschen, die dieses Gesetz betreffen soll. Ich meine, dass die Menschen im Land sicher sein, müssen, dass die Prinzipien des Rechtsstaates auch auf europäischer Ebene gewahrt werden. Ich hoffe daher, dass der Europäische Gerichtshof den zugrunde liegenden Rahmenbeschluss samt seiner Ausführungsgesetze endlich beerdigen wird. Ich danke Ihnen.