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Die Nationale Engagementstrategie führt zur Privatisierung des Staates

Rede von Heidrun Dittrich,

Ihre Bürgergesellschaft ist das Gegenmodell zum Sozialstaat

Heidrun Dittrich (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Die Nationale Engagementstrategie gibt vor, die Eigeninitiative der Bürger zu stärken. Aber welche Initiative ist gemeint? Viele Eltern, die Grundschulkinder haben, kennen das aus eigener Erfahrung: Es wird notwendig, ein Klassenzimmer zu streichen. Aber ach, die Stadtverwaltung hat kein Geld für ihre Schule.

(Markus Grübel (CDU/CSU): Dann sind sie rot-rot regiert!)

Also streichen die Eltern das Klassenzimmer selbst. Besser wäre es, Sie streichen die Steuervergünstigungen bei den Reichen.
Stellen Sie lieber den arbeitslosen Maler ein, damit er über guten Lohn am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann und in die Sozialversicherungssysteme einzahlt! Das wäre aus meiner Sicht besser, als ihm über Freiwilligen- oder Seniorenagenturen ein ehrenamtliches Engagement zu vermitteln.

Wenn die Eltern selbst streichen, übernehmen sie Aufgaben des Staates, für die eigentlich er zahlen sollte. Ich frage mich: Wozu zahlen wir Steuern? Was macht die Bundesregierung mit unseren Steuern? Das Klassenzimmer wird jedenfalls nicht renoviert. Die Steuereinnahmen werden stattdessen dafür verwendet, die Steuerbelastung einer großen Hotelkette zu senken. Dafür ist sogar in der Wirtschafts- und Finanzkrise Geld da.

Nehmen wir die 480 Milliarden Euro, die allein in der Bundesrepublik Deutschland für die Rettung der Banken bereitgehalten werden. Kein Wunder, dass dem Staat das Geld fehlt, um die Schulen zu sanieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht Deutschland schafft sich ab, wie ein SPD-Mitglied kürzlich äußerte, sondern der Sozialstaat wird abgeschafft.
Noch steht in Art. 20 unseres Grundgesetzes, dass wir ein sozialer Bundesstaat sind. Der hauptsächliche Inhalt des staatlichen Handelns sollte nicht die Umverteilung zu Unternehmen und Banken sein, sondern die Bereitstellung von Schulen und Kindertagesstätten und die Vorsorge bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Aber gerade dafür geht das Geld aus.

An dieser Stelle bietet die Nationale Engagementstrategie eine unternehmerfreundliche Lösung. Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin nicht dagegen, eine Stiftung für krebskranke Kinder ins Leben zu rufen - aber nicht zur Ergänzung sozialstaatlicher Aufgaben.

Es wurde immer behauptet, der Sozialstaat sei nicht mehr bezahlbar. Erst wurde er arm gemacht, und jetzt wird er abgeschafft.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Unglaublich!)

Beim bürgerschaftlichen Engagement sind die ganz Großen aber dabei. Die Deutsche Bank und die Bertelsmann AG sind bereit, mit Stiftungsmitteln staatliche Aufgaben privat zu finanzieren. Was geschieht eigentlich beim Einsatz von Stiftungsmitteln? Die Stiftungen erhalten einen Teil des eingesetzten Geldes vom Staat, also vom Steuerzahler, zurück. Gleichzeitig wird kostenlos Werbung gemacht. Außerdem wählen sie aus, wo ihr Geld eingesetzt wird. Jetzt wird es völlig undemokratisch: Diese Gelder fließen an den demokratischen Institutionen unseres Staates vorbei. Wir bestimmen nicht mehr durch Wahlen, Wahlprogramme oder das Parlament, wo die Kinder gleichmäßig zu fördern sind. Wir bestimmen nicht mehr, wie in den Kitas Gruppen verkleinert und mehr Erzieherinnen eingestellt werden können.

(Katharina Landgraf (CDU/CSU): Das muss doch das Land bestimmen! Das ist doch gar nicht unsere Kompetenz!)

Nur einzelne Projekte werden befristet gefördert. Die eine Stadt hat Glück; die andere geht leer aus. Auch das widerspricht dem Grundsatz, gleiche Lebensbedingungen für alle herzustellen. Wer kennt sie nicht, die Sponsorenläufe in der Schule oder die Drittmitteleinwerbung, damit noch Bundeszuschüsse an Mehrgenerationenhäuser gewährt werden können?

(Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Reden Sie eigentlich noch über bürgerschaftliches Engagement?)

Ihre Bürgergesellschaft ist das Gegenmodell zum Sozialstaat.

(Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt kommt sie langsam zum Thema!)

Sie ist der privatisierte Staat. Vorsorgeeinrichtungen wie private Krankenhäuser sollen Profit bringen. Bildung soll Geld kosten. Krankheit soll Geld kosten.

Es ist demokratischer, wenn die großen Unternehmen höher besteuert werden und die Steuerhinterziehung beendet wird. Dann können soziale Leistungen dauerhaft bezahlt werden. Nur so stellen Sie den Sozialstaat wieder her.

Was aber ist in diesem Land Realität?
Freiwillige des neuen Bundesfreiwilligendienstes werden als Pflegedienstleistende mit Taschengeld oder gleich als Ehrenamtliche eingesetzt. Deutschland ist weltweit der Lohndrücker Nummer eins geworden, wie die Internationale Arbeitsorganisation in Genf feststellt. Das stempelt Deutschland zum Hauptschuldigen der Krise in Europa.

(Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Das glauben Sie doch selber nicht! Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Menschen ernst in ihrem Engagement, statt das Ehrenamt zu benutzen, um in der Pflege Lücken zu schließen! Frau Bär hat sich schon dafür bedankt, aber sie meint es bestimmt anders als ich. Nehmen Sie die Menschen ernst, die gegen Stuttgart 21 sind!

(Markus Grübel (CDU/CSU): Die Mehrheit hat sich nach der Umfrage geändert!)

Nehmen Sie die Menschen ernst, die in Gorleben und Lubmin gegen den Castortransport demonstrieren!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

In Stuttgart haben sich Tausende für ihre Interessen eingesetzt. Das wurde mit einem Wasserwerfer beantwortet. Gehen Sie morgen um 9 Uhr zum Bundesrat! Dort wollen die Menschen gegen die ungerechte Hartz-IV-Gesetzgebung demonstrieren. Denn die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht Niedriglohnland Nummer eins sein. Beenden Sie endlich die soziale Kälte in unserem Land!

(Beifall bei der LINKEN)