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Die Menschen lehnen ein marktradikales Europa nicht wegen eines diffusen Unbehagens, sondern wegen ihrer Erfahrung mit der Lissabon-Strategie ab

Rede von Monika Knoche,

Nichts braucht der Kongo so wenig wie deutsche Soldaten. Die Menschen dort brauchen eine gute, unabhängige Polizei, sie brauchen eine Besoldung für ihr eigenes Militär und vor allen Dingen einen sehr langen Atem für Friedensbildungs- und Aussöhnungsprozesse. Aber sie brauchen keinesfalls deutsches und europäisches Militär vor Ort. Monika Knoche in der Debatte zur Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 23./24. März 2006 in Brüssel

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Herr Außenminister Steinmeier, Sie haben Ihre Rede zur Lissabonstrategie und dem EU-Gipfel damit begonnen, dass Sie gesagt haben: Die Menschen haben ein diffuses Unbehagen, was Lissabon angeht. Ich bin nicht der Meinung, dass die Menschen von ihrem Gefühl her dagegen sind. Aber sie haben mit der Lissabonner Strategie Erfahrungen gesammelt. Deshalb lehnen sie sie ab. Diese Ablehnung ist richtig. (Beifall bei der LINKEN) Man kann den Menschen doch nicht vorenthalten, dass es sich in Gesamteuropa um ein konzertiertes Vorgehen handelt, wenn überall Arbeitsrechte und soziale Sicherungsstandards abgebaut werden. Das Ziel ist doch die Privatisierung aller sozialen Sicherungssysteme, um börsennotierten Aktienunternehmen Zuwächse zu verschaffen, die sich dann im Ergebnis als Arbeitsplatzabbau niederschlagen. Das ist doch die Realität, die die Menschen erfahren. (Beifall bei der LINKEN) Die Ablehnung der Lissabonner Strategie zeigt doch - genauso wie die Arbeitskämpfe, die wir derzeit in Deutschland erleben -, dass der Abbau der sozialen Standards nichts mit Zugewinn an Freiheiten zu tun hat. Wir wollen ein freiheitliches Europa und für ein freiheitliches Europa ist es existenziell wichtig, dass die Menschen soziale Sicherheit haben. (Beifall bei der LINKEN) Denn kollektive Rechte sind die Ausgangsbasis für individuelle, freie Entscheidungen im Blick auf die Lebensgestaltung. Alle diese Prozesse muss man doch zusammenfügen. Die Menschen sind nicht gefühlig dagegen, sondern sie haben ein politisches Bewusstsein, (Zuruf von der CDU/CSU: Freiheit für Kuba!) das Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Hätten Sie es zur Kenntnis genommen, dann hätten Sie eine Abstimmung über die europäische Verfassung zugelassen. Doch das haben Sie nicht gemacht. (Beifall bei der LINKEN) In der europäischen Verfassung sind sowohl das Lissabonner Konzept - in zusammengefasster Weise - als auch eine Militarisierung der europäischen Außenpolitik enthalten. (Zuruf von der CDU/CSU: Unfug! - Zuruf von der SPD: Unsinn!) Bevor ich darauf zu sprechen komme, noch einen Satz: Ich habe sehr wohl verfolgt, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel gesagt hat: Es kommt darauf an, demnächst eine Debatte über unser Verständnis von Freiheitsbegriff zu führen. Ich sehe das in einem sehr engen Zusammenhang mit dem Abbau der Sozialsysteme und meine, eine Definition der Marktwirtschaft, die hinter die Definition der sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards zurückfällt, kann doch nicht die Zukunft sein. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite Tagesordnungspunkt des Gipfels ist die Energiepolitik. Ich möchte in diesem Zusammenhang bewusst über die deutsche und europäische Außenpolitik sprechen. Wir haben uns vorgestern zu Beratungen im Auswärtigen Ausschuss und im Verteidigungsausschuss zusammengefunden. Wir haben dort erfahren, dass es tatsächlich das ernste Vorhaben Europas ist, im Kongo militärisch präsent zu sein. Niemand im Kongo will eine europäische Präsenz. Womöglich muss Solana noch hinfahren, um Kabila davon zu überzeugen, dass er europäische Hilfe braucht. (Markus Löning [FDP]: So ein Quatsch!) Nichts braucht der Kongo so wenig wie deutsche Soldaten. Die Menschen dort brauchen eine gute, unabhängige Polizei, sie brauchen eine Besoldung für ihr eigenes Militär und vor allen Dingen einen sehr langen Atem für Friedensbildungs- und Aussöhnungsprozesse. Aber sie brauchen keinesfalls deutsches und europäisches Militär vor Ort. (Beifall bei der LINKEN) Warum tut Europa das? Bislang hieß es immer, die Bündnisverpflichtungen und die Ausrichtung der NATO sowie die transatlantischen Beziehungen seien für uns maßgeblich. Plötzlich spielt die NATO gar keine Rolle mehr. Es geht um eine europäische militarisierte Außenpolitik. Aber wenn es in diesem Fall zum Konflikt kommt, sollen die Truppen wieder zurückgezogen werden. Warum soll das Militär dann überhaupt dorthin? Die Fragen für mich lauten: Welche strategischen Absichten sind damit verbunden? Welche Gewöhnungseffekte für die Bevölkerung sollen bereits jetzt erzielt werden? (Beifall bei der LINKEN) Ein weiterer Aspekt: Gestern Abend sah ich zu Hause in den Nachrichten, dass im Irak wieder gebombt wird. Das muss doch einen deutschen Außenminister veranlassen, dieses Geschehen in seiner Regierungserklärung mit einigen Worten zu verurteilen. (Beifall bei der LINKEN) Dort findet ein Krieg um Ressourcen, ein Krieg um Öl statt. Es war von vornherein klar - jedenfalls für alle, die diesen Krieg abgelehnt haben -, dass es niemals zu einer Befriedung dieses Landes kommen kann, weil man mit militärischen Mitteln keinen Frieden schaffen und keine Demokratie herstellen kann. So sieht derzeit die Situation im Irak aus. (Beifall bei der LINKEN) Dann muss ich auch noch hinsichtlich des hochsensiblen Bereichs der Iranpolitik beobachten, dass die EU 3 jetzt sozusagen eine Vortruppe gebildet haben, um es den US-Amerikanern zu ermöglichen, ihre Drohkulisse gegen den Iran aufzubauen. Das ist nicht die deutsche Beteiligung an einer europäischen konzertierten Außenpolitik, wie wir sie uns als Friedenspolitikerinnen und -politiker vorstellen. Das ist nicht das, was Deutschland in der Welt zeigen muss. (Beifall bei der LINKEN) Bei aller Kritik am iranischen Staatspräsidenten ist doch offenkundig, dass der Iran nicht gegen den Atomwaffensperrvertrag verstößt. Aber sein Nachbarland Indien, das massiv dagegen verstoßen hat, kommt zu Vertragsabschlüssen mit den USA. Warum das Ganze? Steht das nicht doch im Zusammenhang damit, dass die einen die „Have“ und die anderen die „Have not“ sind? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind in Germany, please! Wir sind ein deutsches Parlament! Da sollte man auch deutsch sprechen! Von mir aus auch bayerisch!) Geht es nicht vielleicht darum, dass die Staaten, die einen großen Energiehunger zu befriedigen haben, sowohl über Atomkraftwerke als auch über Atombomben verfügen dürfen, während die Staaten, die produzieren und exportieren müssen, nicht die Souveränität über ihre Ressourcen behalten sollen? (Beifall bei der LINKEN) Ist das nicht die eigentliche Energiefrage, um die es geht? Ich will, dass die neue Regierung im Deutschen Bundestag - nicht für uns Abgeordnete, sondern für die Bevölkerung - deutlich macht, wie sie die Interessen Deutschlands definiert. Gehört die Energie - ähnlich wie in Polen, wo schon von einer Energie-NATO die Rede ist - zu unseren neuen Interessen, die in der Welt gesichert werden sollen? Wir müssen in Deutschland dringend eine Debatte darüber führen, worin die Interessen Deutschlands bestehen. Danke. (Beifall bei der LINKEN)