Rede in der Aktuellen Stunde am 25.1.2006 zum Thema "Vorschlag des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, bei einer entsprechenden Entwicklung der Steuereinnahmen 2006 auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verzichten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Meine Fraktion, die Fraktion DIE Linke, hält diese Aussprache im Deutschen Bundestag ausdrücklich für erforderlich, aber nicht deshalb, weil wir hier nachzuprüfen hätten, ob der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt - den ich ganz herzlich begrüße - dies so oder so gesagt hat, sondern weil die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ein Recht darauf haben, zu erfahren, „was hier abgeht“.
(Beifall bei der LINKEN - Simone Violka (SPD): Das steht im Koalitionsvertrag! Das ist nachlesbar!)
Dies gilt erst recht vor Wahlen. Ich will erinnern: Am Sonntag wurde die Meldung verbreitet, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt habe gesagt, dass bei erwarteten höheren Steuereinnahmen die für das nächste Jahr geplante Mehrwertsteuererhöhung zur Disposition gestellt werden kann.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das lassen Sie den Ministerpräsidenten gleich selbst erläutern!)
Nun hat er das am Dienstag dementiert, aber zugleich will er ausgemacht haben, dass eine Front gegen ihn aufgebaut werde. Nun will ich einmal daran erinnern, dass es nicht nur meine Fraktion war, die hier Aufklärungsbedarf sah, sondern anscheinend hat auch sein eigener Finanzminister, Herr Paqué, diese Äußerungen als eine Distanzierung von der beschlossenen Erhöhung der Mehrwertsteuer verstanden. Die Mehrwertsteuererhöhung wiederum - das muss ich Ihnen von der Koalition nicht erklären - ist eine der wenigen Kernaussagen, die in Ihrem Koalitionsvertrag stehen.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die Absenkung der Lohnnebenkosten ist die Kernaussage!)
Deshalb sollte die Bundesregierung hier klarstellen, ob der Ministerpräsident Recht hat dann kann man sich diese Mehrwertsteuererhöhung sparen oder ob er nicht Recht hat dann muss klargestellt werden, dass Unredlichkeiten auch in Wahlkämpfen nichts zu suchen haben.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die sozialdemokratische Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt hat festgestellt, dass der Ministerpräsident einen Zickzackkurs fahre. Mir fehlte als Ergänzung dazu nur noch: Das können wir Sozialdemokraten besser!
(Heiterkeit bei der LINKEN)
Um es klarzustellen: Es geht hier nicht um Pillepalle; eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte bedeutet im Durchschnitt jährliche Mehrkosten von etwa 270 Euro. Nun werden wir als Bundestagsabgeordnete das überhaupt nicht merken. Aber für eine Verkäuferin bedeutet diese 270 Euro im Portemonnaie nicht zu haben, dass der obendrein schon geplante Miniurlaub nun auch noch gestrichen werden muss. Das ist die traurige Wahrheit!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Weil Herr Böhmer sich im Lande auskennt, weiß er das natürlich und bringt es hier zur Sprache. Nun wird meiner Partei, der Linkspartei, und der Linksfraktion gerne Populismus vorgeworfen.
(Johannes Kahrs (SPD): Genau! Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich merke schon, da spreche ich Ihr Lieblingsthema an. Aber auch hier gilt: Populismus ist an sich nicht schlecht, aber es geht dann darum, wenigstens einen „Populismus mit beschränkter Haftung“ an den Tag zu legen und nicht den Leuten vor der Wahl etwas anderes zu versprechen, als hinterher eintritt.
(Beifall bei der LINKEN)
Noch etwas, was wir derzeit erleben, geht nicht, meine Damen und Herren von der Koalition: dass Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel hier die Maggie Thatcher gibt und Franz Müntefering den Robin Hood, der sich um das Soziale bemüht.
(Johannes Kahrs (SPD): Franz Müntefering ist ein Guter!)
Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, heute nicht und auch in Zukunft nicht. Die Internet-Rothäute von der SPD kämpfen noch heute gegen die geplante Mehrwertsteuererhöhung; ich kann Ihnen das zeigen -
(Abg. Roland Claus (DIE LINKE) zeigt dem Plenum einen Ausdruck - Beifall bei der LINKEN)
Die Plakate von Ihnen sind nach wie vor zu erreichen. Da heißt es ausdrücklich: 2 % Merkelsteuer auf alles! Und jetzt kommt’s: "Deutschland kann sich CDU/CSU nicht leisten.“ Wenn Sie sich schon distanzieren, dann bringen Sie wenigstens Ihre aktuellen Veröffentlichungen in Ordnung.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun kommt das Kuriosum: In den Aussagen im Wahlkampf zum Thema Mehrwertsteuererhöhung stand die rote Null gegen die schwarze Zwei. Man könnte meinen, dass es möglich ist, hier zu einem Kompromiss zu kommen. Herausgekommen ist aber eine Mehrwertsteuererhöhung von 3 Prozentpunkten. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe etwas Neues über Kompromisse gelernt.
(Dr. Uwe Küster (SPD): Herr Claus, das ist höhere Mathematik!)
Wenn das Ihre höhere Mathematik ist, wie Sie dazwischenrufen, dann muss den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land vor dieser Politik angst und bange werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
So wenig SPD war nie zuvor und Sie sind auch noch stolz darauf. Aber bitte, das ist Ihr Problem. Wir sagen: Das, was Sie betreiben, ist nicht mehr nur Populismus, das ist Betrug an den Wählerinnen und Wählern. Das sollte man Ihnen nicht durchgehen lassen.
(Beifall bei der LINKEN und der FDP, Johannes Kahrs (SPD): Von Sachkenntnis ungetrübt! Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das, was Sie hier vortragen, ist Populismus!)
Sie wissen doch wie wir: Eine solche Mehrwertsteuererhöhung ist Gift für den Sozialstaat. Aber wie wir inzwischen aus sehr vielen Veröffentlichungen wissen, ist eine solche Mehrwertsteuererhöhung auch Gift für die Wirtschaft, gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, deren Unterstützung so notwendig ist, und für Existenzgründer. Für sie geht dieser Schritt ausdrücklich in die falsche Richtung.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb muss immer auch über Alternativen gesprochen werden. Es gibt solche Alternativen. Im Steuerkonzept der Linkspartei.PDS werden die Mehreinnahmen für den Staat mit 60 Milliarden Euro beziffert. Wir wollen für arbeitsintensive Dienstleistungen, das Handwerk und den Tourismus einen Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Wir wollen, um überhaupt wieder Spielraum für kommunale Selbstverwaltung zu eröffnen, für die Kommunen einen Anteil an der Mehrwertsteuer von 20 Prozent. Das sind die Dimensionen, in denen wir denken müssen.
(Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Claus, kommen Sie bitte zum Schluss.)
Das will ich gerne tun, Herr Präsident. Doch machen Sie bitte eines nicht: Erklären Sie uns heute nicht, die Mehrwertsteuererhöhung sei alternativlos. Politik ist Menschenwerk. Es geht deshalb immer auch anders. Das ist natürlich auch bei der unsäglichen geplanten Mehrwertsteuererhöhung so. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN, Johannes Kahrs (SPD): Schwache Rede!)