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DIE LINKE ist für doppelte Staatsbürgerschaft

Rede von Petra Pau,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

1940 schrieb Bertolt Brecht seine Flüchtlingsgespräche. Darin geht es auch um das Verhältnis von Pass und Mensch, von Staat und Bürger. Ich zitiere:

Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.

Derselbe Streit ‑ Mensch oder Pass? ‑ steckt letztlich hinter der anhaltenden Debatte über eine doppelte Staatsbürgerschaft.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel (SPD))

CDU und CSU favorisieren offenbar den Pass, die Linke favorisiert den Mensch.

(Lachen bei der CDU/CSU - Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nicht nur die Linke! ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist aber eine sehr mutige Aussage, Frau Kollegin!)

Deswegen sind wir für eine doppelte Staatsbürgerschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen wähnten wir uns darin bis vor kurzem einig mit der SPD,

(Rüdiger Veit (SPD): Das ist so und bleibt so!)

zumal Sigmar Gabriel erst kürzlich klargestellt hatte ‑ noch ein Zitat ‑:

Ich werde ... keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist.

Sie wissen: Es kam anders. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hat erneut der Pass über den Mensch obsiegt. Ich bedaure das.

Ich teile auch die Kritik von Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland; denn herausgekommen ist keine große europäische Lösung, sondern eine kleine deutsche Geste, und die spaltet erneut.

Ja, ich erkenne an: Der Optionszwang soll fallen. Hier geborene junge Menschen sollen nicht mehr entscheiden müssen, ob sie Deutsche oder beispielsweise Türken sind. Aber Ältere oder neu Eingewanderte stehen weiter vor der Qual der Wahl. Sie dürfen nicht einfach Mensch sein; über sie entscheidet weiter der Pass.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Natürlich dürfen sie Mensch sein! Das ist doch Quatsch!)

Das ist engstirnig und obendrein ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kenne im Übrigen keine triftigen Gründe gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft. In zahlreichen EU-Staaten ist eine doppelte Staatsbürgerschaft längst Usus und obendrein ein Erfolgsmodell; in Deutschland nicht. Es ist wie bei der direkten Demokratie: Auch im Staatsbürgerschaftsrecht ist Deutschland nicht etwa spitze, sondern ein EU-Entwicklungsland. Ich finde, das ist blamabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun ist selbst die Abschaffung des unsäglichen Optionszwangs bislang lediglich eine pure Ankündigung der Großen Koalition. Bündnis 90/Die Grünen fordern mit ihrem Antrag ein schnelleres Handeln, und das unterstützen wir natürlich. Aber es bleibt die kleine Lösung auf Koalitionsniveau. Wir als Linke drängen weiter auf weitergehende Änderungen.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine Sorge! Da kommen unsere Gesetzentwürfe auch noch! Nicht alles an einem Tag!)

‑ Das machen wir dann vielleicht gemeinsam, Kollege Beck; das ist ja in Ordnung.

Wir wollen, dass das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht grundlegend modernisiert wird und Einbürgerungen unbürokratisch erleichtert werden. Wir möchten, dass der Pass der Pass bleibt und dass der Mensch ‑ jetzt sind wir bei Ihrem Widerspruch ‑ auch Bürger sein kann, anerkannt und gleichberechtigt. Dazu gehört, dass Bürgerinnen und Bürger, die seit Jahren hier leben, auch ohne deutschen Pass mitbestimmen und wählen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie dürfen es bislang nicht, und so bleiben sie Bürger zweiter Klasse. Das lehne ich ab, und das will die Linke grundlegend ändern.

(Beifall bei der LINKEN)