Die baden-württembergischen Abgeordneten Karin Binder und Heike Hänsel (Fraktion DIE LINKE) nutzten die Fragestunde im Deutschen Bundestag am 22. April 2009 zu kritischen Nachfragen bzgl. der massiven Einschränkungen des Demonstrationsrechts anlässllich des NATO-Gipfels Anfang April in Straßburg.
Auszug aus der Fragestunde im Deutschen Bundestag am 22. April 2009Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich komme zur Frage 47 der Kollegin Karin Binder.
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Umstand, dass die französische Polizei bei den Demonstrationen am 4. April 2009 in Straßburg Tausende friedlicher Demonstranten unter stundenlangen Tränengasbeschuss genommen hat und Schallgranaten auf sie abfeuerte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, zu Ihrer Frage kann ich Ihnen nur sagen, dass die Bundesregierung keine Stellung zu Maßnahmen nimmt, die in der Verantwortung eines anderen Landes oder eines Bundeslandes liegen. Frankreich ist ein anderes Land. Deshalb bitte ich, mir nachzusehen, dass wir uns dazu im Detail nicht äußern.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Karin Binder (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung war letztlich Mitveranstalterin und Mitgastgeberin dieses Gipfels. Der Gipfel war ganz bewusst eine zweiseitige Veranstaltung, nämlich von Baden-Baden über Kehl nach Straßburg. Nach meiner Erkenntnis war Bundespolizei mit auf französischer Seite. Daraus schließe ich, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Behörden und letztlich zwischen französischer und deutscher Polizei stattgefunden haben muss. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Bundesregierung eine Auffassung dazu haben muss, wie ihr Partner - in dem Fall Frankreich - mit Grundrechten umgeht. Meine erste Nachfrage lautet: Sind Sie davon in Kenntnis gesetzt worden, wie die französische Polizei vorzugehen gedenkt?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, man muss da sehr genau unterscheiden - das sollte sich auch in Ihrer Frage widerspiegeln: Das eine ist die Tatsache, dass wir gemeinsam einen NATO-Gipfel durchgeführt haben. Das andere ist der Aspekt, dass jedes Land im Rahmen seiner eigenen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Sicherheit auf seinem Territorium zu sorgen hat. Dementsprechend oblag die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung auf der deutschen Seite den deutschen Behörden, in diesem Fall den Behörden des Landes Baden-Württemberg; die Sicherheit auf französischer Seite oblag den französischen Behörden. Die Frage ist, inwieweit man sich dabei gegenseitig - auch grenzüberschreitend - unterstützt. Sie wissen, dass es rechtlich möglich ist, Einheiten der Bundespolizei sowohl den Polizeien der Bundesländer als auch grenzüberschreitend den Polizeien anderer Mitgliedstaaten zu unterstellen. Genau dies geschieht seit vielen Jahren immer wieder und ist auch in Straßburg erfolgt. Ich weise in diesem Zusammenhang beispielsweise darauf hin, dass wir seit dem Jahr 2003 jährlich anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos etwa 70 Beamte mit Wasserwerfern zur Unterstützung der Schweizer Kantonspolizei einsetzen
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)
und der Schweizer Polizei unterstellen. Wir haben auch im Rahmen des NATO-Doppelgipfels zwei Einsatzhundertschaften und vier technische Einheiten mit Gerät - unter anderem auch sechs Wasserwerfer einschließlich Besatzung - der französischen Polizei unterstellt. Ein solcher Einsatz in Straßburg erfolgt selbstverständlich nach französischem Recht und in der Verantwortung Frankreichs. Sie haben davon gesprochen, dass bestimmte Grundrechte nicht eingehalten worden sind. Das kann ich nicht beurteilen, weil dies nach französischem Recht und vor französischen Gerichten zu überprüfen ist. Frankreich ist ein Mitgliedstaat der Europäischen Union. Damit spricht viel dafür, dass Frankreich genau wie Deutschland ein Rechtsstaat ist und die dortigen Polizeibefugnisse nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgeübt werden. Ich habe jedenfalls keine anderen Erkenntnisse.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ihre zweite Nachfrage.
Karin Binder (DIE LINKE):
Verstehe ich es also richtig, dass die deutsche Bundespolizei auf französischem Boden quasi auf Anweisung der französischen Polizei gehandelt hat? War das auch der Grund dafür, dass zum Beispiel ein deutsches Feuerwehrfahrzeug nicht zum Löschen des Brandes an der Zollstation, der sich über Stunden hinzog, durchgelassen wurde? Ich verstehe in diesem Zusammenhang einiges nicht. Ich war vor Ort und konnte vieles beobachten, über das ich nur den Kopf schütteln kann. Ich verstehe nicht, wie die deutschen Behörden da einfach zuschauen konnten.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, Sie werden mir recht geben, dass es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Einsatz der technischen Einheiten und der Wasserwerfer und den Problemen gibt, die es möglicherweise mit dem Feuerwehrfahrzeug gegeben hat. Mir ist ein solcher Zusammenhang nicht bekannt. Deshalb halte ich es auch nicht für zulässig, dass man ihn andeutet oder insinuiert. Die Kräfte der deutschen Bundespolizei, die der französischen Polizei unterstellt worden sind, haben ihre Aufgaben im Rahmen der französischen Einsatzleitung nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt. Daran habe ich keinen Zweifel. Im Übrigen sind in der Vergangenheit auch schon Polizeikräfte aus befreundeten EU-Mitgliedstaaten der deutschen Polizei unterstellt worden. Ich darf daran erinnern, dass bei der Fußballweltmeisterschaft etwa 220 Beamtinnen und Beamte aus elf verschiedenen europäischen Ländern in Deutschland im Einsatz waren. Sie haben ihre Befugnisse nach deutschem Recht - auf der Grundlage des Bundespolizeigesetzes - und unter der Verantwortung der deutschen Bundespolizei ausgeübt. Dies ist ein Beispiel dafür, wie weit die Zusammenarbeit im europäischen Rahmen inzwischen gediehen ist. Das ist aus der Sicht der Bundesregierung ein sehr positives Zeichen dafür, dass man sich in Europa gegenseitig unterstützt.
[…]
Vizepräsidentin Petra Pau:
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Heike Hänsel das Wort.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär, wenn man einen weltweiten Vergleich anstellt, dann muss man sagen, dass es viele Länder gibt, in denen sich die Bundesregierung sehr aktiv einmischt und sich dazu äußert, wie sich die jeweiligen Polizeien verhalten. Wir kritisieren Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Ländern der Erde. Ich denke, in Frankreich gab es massive Übergriffe, übrigens auch auf deutsche Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. Es waren auch etliche Abgeordnete dieses Parlaments unter denen, die von massivem Tränengaseinsatz und von Angriffen mit Blend- und Schockgranaten betroffen waren. Kann ich davon ausgehen, dass Sie sagen, Frankreich sei ein Rechtsstaat und insofern interessiere Sie das nicht, es werde schon alles seinen richtigen Gang genommen haben, oder - wenn dem nicht so ist - was gedenken Sie zu tun, um diesen Vorfällen nachzugehen und aufzuklären, ob das Recht von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern auf Demonstrationsfreiheit verletzt worden ist?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, ich habe nicht gesagt, dass man bestimmten Vorwürfen nicht nachgehen soll. Nur, man muss immer genau unterscheiden, wer ihnen nachgeht und wo man ihnen nachgeht. So wie Sie es mit Recht für verwunderlich hielten, wenn beispielsweise im Bayerischen Landtag über den Einsatz der Polizei im Land Berlin diskutiert würde, bei dem möglicherweise bayerische Touristen in der Landeshauptstadt beteiligt waren, so würde man es mit Recht auch für befremdlich halten, wenn beispielsweise im spanischen, portugiesischen oder italienischen Parlament über den Einsatz der Bundespolizei in Deutschland diskutiert würde. Das, was den Einsatz der französischen Polizei in Frankreich, auch bei diesem NATO-Gipfel, betrifft, sind Fragen, die von der französischen Öffentlichkeit und im französischen Parlament und in den dafür vorgesehenen Ausschüssen diskutiert werden und die gegebenenfalls durch französische Gerichte überprüft und von diesen entschieden werden, so wie es umgekehrt in Deutschland der Fall wäre. Ich glaube, das ist ganz normal in einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Deshalb sollten wir das akzeptieren. Sie haben die Möglichkeit, im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen diese Fragen in der französischen Assemblée nationale und im französischen Senat, also dort, wo sie hingehören, zu thematisieren.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Bodo Ramelow.
Bodo Ramelow (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär Altmaier, ich kann Sie informieren, dass im Thüringer Landtag die CDU einmal den Polizeieinsatz in Berlin thematisiert hat, weil es ihr gerade opportun erschien, über Vorkommnisse am 1. Mai zu reden, um von Ereignissen in Thüringen abzulenken. Aber ich pflichte Ihnen bei: Eigentlich gehört sich das nicht; das ist jeweils dort zu klären, wo die Verantwortung liegt. Die Frage, über die wir gerade reden, betrifft aber Folgendes: Wenn deutsche Staatsbürger im Rahmen eines Polizeieinsatzes außerhalb des deutschen Staatsgebiets, an dem deutsche Polizeibeamte beteiligt sind, in eine solche Situation kommen, wird man doch im Deutschen Bundestag darüber reden können. Die deutschen Polizisten unterliegen doch weiterhin dem deutschen Dienstrecht. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass sie disziplinarrechtlich weiterhin unserer Diensthoheit unterliegen?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Kollege Ramelow, man muss genau differenzieren. Sie haben jetzt danach gefragt, wie sich deutsche Polizisten in Frankreich verhalten haben. Mir ist nicht bekannt, dass von irgendeiner Stelle Vorwürfe gegen deutsche Polizisten, die in Frankreich eingesetzt worden sind, erhoben worden wären. Sollte dies der Fall sein, würde ich dem selbstverständlich nachgehen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Kollege Ramelow, Sie haben nur eine Nachfrage. Ich rufe jetzt die Frage 48 der Kollegin Karin Binder auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass die polizeilichen Maßnahmen, wie zum Beispiel die Art der Grenzkontrollen, die Aus- bzw. Einreiseverbote, der Beschuss der Demonstrationsteilnehmer und -teilnehmerinnen mit Tränengas und Schallgranaten, die Blockade der Abschlusskundgebung und andere Repressionsmaßnahmen, schwerwiegende Eingriffe in die demokratischen Grundrechte der NATO-Kritiker und -Kritikerinnen darstellen, und wie begründet sie ihre Auffassung?
Der Herr Staatssekretär hat weiterhin das Wort.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Ich kann die Frage für die Bundesregierung wie folgt beantworten: Erstens. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit war und ist gewährleistet. Zweitens. Zu Maßnahmen, die in der Verantwortung eines anderen Landes liegen, nimmt die Bundesregierung keine Stellung. Die Veranlassung sicherheitspolitischer Maßnahmen anlässlich dieses Gipfels lag in der Verantwortung der zuständigen Behörden; das habe ich bereits ausgeführt. Was die Grenzkontrollen der Bundespolizei angeht - das ist etwas, was in die Verantwortung des Bundesinnenministeriums fällt -, kann ich Ihnen sagen, dass sie zeitlich und örtlich flexibel erfolgt sind und sich an dem notwendigen Maß der Kontrollintensität orientiert haben. Das heißt, wir haben uns bemüht, die Menschen so wenig wie möglich in ihrer Mobilität und Reisefreiheit zu beeinträchtigen. Sofern im Einzelfall hinreichende Indizien vorlagen, dass sich Personen an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligen, hat die Bundespolizei gemäß der geltenden Rechtsvorschriften Ausreiseuntersagungen bzw. Einreiseverweigerungen verfügt. Das war allerdings nur in Einzelfällen der Fall.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Karin Binder (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass die Maßnahmen, die im Vorfeld dieses Gipfels getroffen wurden - gerade was die Themen „Ein- und Ausreise“, die Kontrollen und die Polizeipräsenz angeht -, eher provozierend als deeskalierend gewirkt haben? Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal ansprechen, dass ein ordnungsgemäß angemeldeter Demonstrationszug nicht stattfinden konnte; der Zugang zur Europabrücke nach Straßburg wurde verwehrt. Es war Abgeordneten, die sich ein Bild vor Ort machen wollten, definitiv nicht möglich, den Demonstranten dazu zu verhelfen, ihr Grundrecht wahrzunehmen, das heißt das Grundrecht wahrzunehmen, über die Brücke nach Straßburg zu gehen, um dort mit friedlichen Demonstranten, die auf der anderen Rheinseite auf den Demozug aus Kehl warteten, auf einer dort angemeldeten Kundgebung eine gemeinsame Aktion durchzuführen. Ich muss einfach sagen: Mir reichen Ihre Ausführungen leider nicht.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Binder, Sie hatten Ihre Frage schon am Anfang formuliert. Ich rege an, dem Herrn Staatssekretär die Möglichkeit zu geben, die Frage zu beantworten.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Das will ich gerne tun, Frau Präsidentin. - Zum einen zu der zeitlich befristeten Wiedereinführung von Grenzkontrollen: Das europäische Recht gibt uns dazu die Möglichkeit. Es muss begründet werden; es gibt Verfahren dazu. Wir haben dies bei ähnlichen Ereignissen, etwa dem G-8-Gipfel in Rostock und Heiligendamm, bei der Fußballweltmeisterschaft, bei der Fußballeuropameisterschaft, in der Vergangenheit getan. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass eine solche Maßnahme die Gewaltbereitschaft von Demonstranten steigert. Ganz im Gegenteil: Wir haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass allein die Ankündigung, dass solche Grenzkontrollen punktuell möglicherweise wieder stattfinden - zeitlich befristet -, dazu führt, dass gewaltbereite Demonstranten abgeschreckt werden. Das ist eine Wirkung, die beabsichtigt war und ist. Ich glaube, das hat auch bei dem NATO-Gipfel durchaus dazu beigetragen, dass es auf der deutschen Seite der Grenze jedenfalls nicht zu schweren Ausschreitungen gekommen ist und dass die Demonstranten, die auf der deutschen Seite demonstriert haben, in ihrer ganz großen Mehrheit friedlich und friedliebend waren. Was nun die Sperrung der Brücke über den Rhein angeht: Dies war eine Einsatzmaßnahme, über die unter Würdigung der Gesamtumstände vor Ort von der zuständigen Polizei - das war die Polizei des Landes Baden-Württemberg - zu entscheiden war; darüber ist also nicht von der Bundesebene entschieden worden. Ich kann daher dazu nicht en détail Stellung nehmen. Ich will aber sagen, dass nach meiner Kenntnis die Überlegung, die dazu geführt hat, die Brücke zu sperren - das war keine Entscheidung, die einem leicht fällt; schließlich ist die Demonstrationsfreiheit ein hohes Gut -, dadurch mit bedingt war, dass es auf der einen Seite der Brücke, auf deutscher Seite, friedliche Demonstranten gab, und dass es auf der anderen Seite der Brücke, auf französischer Seite, zu schweren Ausschreitungen gekommen war, unter Beteiligung einer erheblichen Anzahl gewaltbereiter Demonstranten. Nun war die Absicht, zu verhindern, dass sich beide Demonstrantengruppen vermischen, um Übergriffe und Auswirkungen von Gewalt auf unschuldige und friedliche Demonstranten zu vermeiden. Das hat zu der Sperrung der Brücke geführt, die ich nicht kommentieren kann, weil sie nur unter Kenntnis der genauen Situation vor Ort, die sich zu diesem Zeitpunkt gestellt hat, zu beurteilen ist.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. - Sie verzichten. Dann hat der Kollege Ramelow das Wort zu einer Nachfrage.
Bodo Ramelow (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär Altmaier, mein Hinweis gerade bestand aus einer Feststellung und einer abstrakten Frage. Die Feststellung war: Wenn Parlamentarier des Deutschen Bundestages in einem anderem Land durch Polizeimaßnahmen oder durch andere Umstände in kritische Situationen kommen, ist es durchaus üblich, dass wir hier darüber debattieren. Ich erinnere daran, dass, nachdem Volker Beck in Russland auf schlimme Art und Weise zusammengeschlagen worden ist, darüber hier im Parlament debattiert worden ist. - Das war eine Feststellung. Meine Frage bezog sich auf das Dienstrecht für die Beamten. Ich habe keinen Vorwurf erhoben, sondern habe Sie nach dem Dienstrecht gefragt. Meine Frage war: Wenn deutsche Beamte einer anderen Polizeiführung unterstellt werden, unterliegen sie dann nicht dem deutschen Dienstrecht und dem deutschen Disziplinarrecht?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Dem unterliegen sie selbstverständlich. Ich möchte Ihnen vorschlagen, dass wir die Antwort auf die Frage, welche dienstrechtlichen Konsequenzen sich während des Unterstellungszeitraumes im Einzelnen ergeben, schriftlich nachreichen, weil ich vermeiden möchte, dass ich Ihnen sozusagen aus der hohlen Hand heraus ungenau antworte. Im Übrigen ist es selbstverständlich das gute Recht jedes Parlamentes, darüber zu diskutieren, wenn einzelnen seiner Mitglieder in rechtswidriger Weise Schaden zugefügt worden ist. Das ist aber eine Feststellung, die in den Fragen, die der Bundesregierung hier vorliegen, nicht enthalten war.
[…]
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die letzte Nachfrage zur Frage 48 stellt nun die Kollegin Heike Hänsel.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Herr Staatssekretär, Sie haben sich noch einmal zur Sperrung der Europabrücke geäußert. Das war aber nicht die einzige Sperrung. Es waren zahlreiche Brücken über den Rhein mehrere Tage lang gesperrt, auch noch bis Sonntag. Das gilt gleichfalls für etliche Autobahnausfahrten und -zufahrten. Straßburg/Kehl, die gesamte Region, war großflächig abgesperrt. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang fragen: Halten Sie das für verhältnismäßig und auch angemessen angesichts der Tatsache, dass auf Straßburger und auf Kehler Seite Demonstrationen, Friedenskonferenzen, Camps, umfassende Aktionen stattfinden sollten, die alle angemeldet und genehmigt waren? Der Zugang dazu war Tausenden von Menschen gar nicht möglich, weil sie stundenlange Umwege fahren mussten und zum Teil gar nicht mehr zu den Veranstaltungsorten kamen. Ich selbst habe für die Strecke von Kehl nach Straßburg fast eine Stunde gebraucht.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin, ich kann nur wiederholen, dass zu den Einsatz leitenden Entscheidungen der Polizei in Baden-Württemberg von hier aus nicht Stellung genommen werden kann; das wäre völlig unverantwortlich. Im Übrigen ist mein Eindruck, dass die große Mehrzahl der vielen angemeldeten Aktionen und auch Demonstrationen, von denen Sie gesprochen haben, stattgefunden hat. Es spricht, glaube ich, auch für die Demonstrationsfreiheit in Deutschland, dass es trotz der Behinderungen aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen - die im Übrigen gerade wegen der Anwesenheit von Staats- und Regierungschefs aus so vielen NATO-Ländern zu stellen waren, denn wir waren ja auch für die Sicherheit der ausländischen Gäste verantwortlich - gelungen ist, in diesem sehr kleinräumigen Gebiet, das sehr dicht besiedelt ist, den Sicherheitsaspekt und den Demonstrationsaspekt, denen aufgrund der großen Anzahl von ausländischen Gästen einerseits und der sehr großen Anzahl von - auf deutscher Seite ganz überwiegend friedliebenden - Demonstrantinnen und Demonstranten andererseits Rechnung zu tragen war, in einer schonenden Weise zum Ausgleich zu bringen. Das ist, wie ich finde, alles in allem sehr gut gelungen. Da gibt es auch keinen Anlass, der baden-württembergischen Polizei oder irgendeiner anderen Stelle einen Vorwurf zu machen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Wir kommen zur Frage 49 der Kollegin Heike Hänsel:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Abriegelung der Europabrücke deutsche Seite - Kehl - durch Landes- und Bundespolizei am 4. April 2009, die einen angemeldeten Demonstrationszug über die Brücke verhinderte und es auch mehreren Mitgliedern des Deutschen Bundestages der Fraktion Die Linke - namentlich Sevim Dağdelen, Heike Hänsel - erst nach mehrmaligem Protest und halbstündiger Wartezeit ermöglichte, die Brücke bis zur Mitte zu passieren, während der Durchgang für andere Mitglieder des Deutschen Bundestages - namentlich Hans-Christian Ströbele, Sylvia Kotting-Uhl - von der Polizei an gleicher Stelle schneller organisiert wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Ich glaube, ich habe diese Frage bereits in der Diskussion eben beantwortet. Wie ich es auch beurteile, dass es mehreren MdBs der Fraktion Die Linke - namentlich Ihnen selbst und Frau Dağdelen - erst nach mehrmaligem Protest und halbstündiger Wartezeit möglich war, die Brücke bis zur Mitte zu passieren, und dass die Passage für andere MdBs - namentlich Hans-Christian Ströbele und Sylvia Kotting-Uhl - von der Polizei an gleicher Stelle schneller organisiert wurde: Die polizeilichen Absperrungen oblagen dem Einsatz führenden Land Baden-Württemberg, und der Bundesregierung lagen dazu keine Kenntnisse vor. Aber dass der Kollege Ströbele und die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl es offenbar geschafft haben, in einer angemessenen Zeit die Brücke zu passieren, zeigt, dass die Kolleginnen und Kollegen in Baden-Württemberg vor Ort sich sehr wohl darum bemüht haben, den Bundestagsabgeordneten im Rahmen ihrer Möglichkeit die Arbeit zu erleichtern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Bloß ein bisschen selektiv!)
Vizepräsidentin Petra Pau: