Rede von Kerstin Kassner, kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, zum Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel "Integration ist gelebte Demokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt" (Drs.-Nr. 18/7651) in erster Lesung.
Kerstin Kassner (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir schaffen das“: Das ist die Botschaft. Sie ist mutig und ganz klar solidarisch, aber sie weckte auch manchen Zauderer und manchen, der etwas dagegen tut. Genau deshalb ist es höchst wichtig, dass wir etwas tun, um dieses Zitat zu untersetzen. Es bedarf der klaren Ansage: Wer ist „wir“? Ist es die Weltbevölkerung? Schwierig, sie blutet an vielen Stellen dieser Welt. Die Europäische Union? Wohl kaum. Sind es wir hier, die wir als Bundestag und Bundesregierung, aber auch vor Ort, in den Ländern und in den Kommunen, Verantwortung haben?
Wenn man sich genau anguckt, wer das Gros der Aufgaben bewältigt hat, dann sieht man, dass das in den Kommunen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber vor allem und in ganz hohem Maße auch Vereine, Verbände und ehrenamtlich Tätige waren. Hier muss man noch einmal sagen: Ich bin wirklich begeistert, dass so viele Menschen nach wie vor uneigennützig mitarbeiten und bei dieser Hilfe und Unterstützung nicht aufgeben.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD))
Neben der Aussage dazu, wer „wir“ ist, fehlen vor allem auch die Unterstützung und die Aussage dazu, was wir und wie wir das erreichen wollen. Das Integrationskonzept, das eigentlich von allen gefordert wird und dringend notwendig ist, ist hier das Gebot der Stunde, und es werden klare Aussagen zur Untersetzung dieser Aufgabe gebraucht.
Dieses Integrationskonzept muss Aussagen zu ganz wichtigen Fragen enthalten. Ich denke natürlich auch an die Sprache. Wir haben hier gehört, dass es Integrationskurse gibt. Aber es sind viel zu wenige; das ist ganz klar.
Es gibt auch die Entscheidung, dass Menschen, die keine optimistische Bleibeperspektive haben, an diesen Integrationskursen nicht mehr teilnehmen dürfen. Stellen Sie sich einmal vor, der Lehrer geht morgens in die Klasse und sagt einigen, dass sie nicht mehr am Unterricht teilnehmen dürfen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unsere Hilfe und unsere Unterstützung wollen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen klare Aussagen dazu, wie die Teilhabe am Arbeitsmarkt möglich ist. Ich sage ganz deutlich: Es geht hier um die Teilhabe aller Menschen am Arbeitsmarkt. Hier brauchen wir Lösungen, und wir wissen: Die Wirtschaft wird das nicht alleine stemmen können. Deshalb ist hier staatliche Unterstützung durch entsprechende Arbeitsmarktprogramme gefordert. Dies verlangen wir, und dies muss finanziell untersetzt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen im Übrigen für alle einen Zugang zu Bildung. Das gilt für Kindertagesstätten genauso wie für die Schulen und für die berufliche Bildung. Hier ist es wichtig, dass die Schulpflicht nicht mit dem 18. Geburtstag ausläuft, sondern dass der Schulbesuch fortgesetzt werden kann. Wir haben davon gehört - das sind wirkliche Schicksale -, dass Menschen über Jahre nicht zur Schule gehen konnten. Sie müssen diesen Schulbesuch, zu dem noch Sprachschwierigkeiten kommen, nachholen. Hier müssen also die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Natürlich muss die Politik allen einen Zugang zu höherer Bildung ermöglichen. Die Anerkennung von Berufsausbildung und von Studien muss geregelt werden, damit dies realisierbar wird.
Nicht zuletzt müssen auch die Finanzen geregelt werden. Wenn den Gemeinden und Kreisen die Aufwendungen nur zu einem geringen Teil erstattet werden, dann wird das in den Kommunen zu neuen Schwierigkeiten führen. Deshalb müssen wir hier Aussagen treffen, wie wir helfen können.
Ich war kürzlich im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Der Kreis hat schon seit vielen Jahren 100 Millionen Euro Schulden. Trotzdem muss er zusätzliches Personal einstellen, was er auch will, um Flüchtlingen helfen und sie integrieren zu können. Der Kreis hat auch eine schwierige Aufgabe bei der Unterbringung von nichtbegleiteten Jugendlichen zu bewältigen. Das wird in diesem Jahr etwa 7 Millionen Euro zusätzlich kosten. Wir brauchen eine Ausstattung, die demgemäß ist. Da kann der Bundesfinanzminister nicht sagen: Die Länder haben einen Überschuss, jetzt seht zu, wie ihr das hinbekommt. - So werden wir das nicht schaffen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir werden die Aufgabe nur lösen, wenn wir, Bund, Länder, Gemeinden und die vielen Ehrenamtlichen, an dieser Aufgabe gemeinsam arbeiten. Das ist das Einzige, was zum Erfolg führt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)